/

Kommissar Daquin und die Büchse der Pandora

Roman | Dominique Manotti: Schwarzes Gold

Nachdem zuletzt in der Ariadne-Reihe des Hamburger Argument Verlages vor allem ältere Bücher von Dominique Manotti erschienen sind, hat man mit Schwarzes Gold nun den jüngsten Roman der erst spät zum Schreiben gekommenen Wirtschaftshistorikerin auf Deutsch herausgebracht (Übersetzerin ist die im Verlag für Lektorat und Produktion verantwortliche Iris Konopik). Er besitzt alle Qualitäten, für die man seine Autorin seit dem Erscheinen ihrer Romane hierzulande rühmt, hat 2016 in Frankreich den Grand prix du roman noir gewonnen und präsentiert mit Théo Daquin eine Hauptfigur, die Manotti-Leser bereits kennen. Von DIETMAR JACOBSEN

1213_Manotti_Schwarzes-Gold_Bezug.inddThéodore Daquin ist neu in Marseille. Man schreibt den März 1973, als der junge Kommissar seinen ersten Job bei der Polizei antritt und gleich Verantwortung übernehmen muss. »Groß, athletisch, ein Tier, das auf Gefühlsregungen und Überraschungen lauert«, wird er in der für den Stil Manottis typischen, kurz angebundenen, Emotionales meidenden Erzählweise beschrieben.

Und kaum in der Stadt, die es vor Kurzem noch mit der so genannten »French Connection« – dem Heroin-Schmuggelring, der die USA in den 60er/70er Jahren des letzten Jahrhunderts via Frankreich mit harten Drogen belieferte – zu tun hatte, findet er sich schon verwickelt in Bandenkämpfe, bei denen es scheinbar um die Nachfolge des legendären Mafiapaten Antoine Guérini geht.

Marseille 1973

Für eifrige Manotti-Leser ist Daquin kein Unbekannter. Zum erstenmal ließ die Autorin ihn in ihrem Roman Hartes Pflaster (1995, deutsch 2004 bei Assoziation A) im Pariser Drogenmilieu ermitteln. Anschließend durfte er sich um Korruptionsfälle im Pferderennsport (Zügellos, 1997, deutsch 2013) und im Profi-Fußball (Abpfiff, 1998, deutsch 2015, die letzten beiden Romane im Argument Verlag Hamburg) kümmern. Mit Schwarzes Gold kehrt man nun sozusagen zu Théo Daquins Karriereanfang zurück.

27 Jahre ist er alt, als er, sorgsam seine Homosexualität vor den neuen Kollegen verbergend, den Fall eines mit zehn Schüssen auf offener Straße hingerichteten Marseiller Unternehmers zu untersuchen beginnt. Und schnell merkt: Mit Abrechnungen im Milieu, wie sie gerade an der Tagesordnung sind, hat dieser Mord wenig zu tun – stattdessen scheint ein neuer Markt zu locken, in den einzusteigen jedes kriminelle Risiko lohnt.

Denn Maxime Piéri, das Opfer, ehemals Held der Résistance, war nicht nur in die Drogengeschäfte der Guérini-Brüder verstrickt, sondern hatte nach dem Ende seiner dubiosen Vergangenheit als Reeder einen neuanfang gesucht. Und da scheint gerade jetzt der Zeitpunkt günstig, sich im illegalen Handel mit Erdöl eine goldene Nase zu verdienen, wenn man ohne Skrupel ist und die Zeichen der Zeit zu interpretieren weiß.

Für dieses Geschäft freilich ist der Marseiller Piéri, der sein kleines Imperium aus Drogenerlösen aufbaute, der Falsche. Damit seine Schiffe in Zukunft statt Waffen das begehrte schwarze Gold transportieren können, müssen er und seine engsten Vertrauten sterben. An ihre Stelle tritt ein neuer, international vernetzter Player namens Michael Frickx. Der hat selbst seine schöne Frau Emily, Enkelin des Besitzers der Südafrikanischen Minengesellschaft, nur aus geschäftlichen Gründen geheiratet – im 1966 spielenden Prolog ihres Romans nimmt uns Dominique Manotti mit auf die New Yorker Hochzeit des Startraders, auf der die Weichen für die globalisierte Zukunft gestellt werden. Nun sorgt Frickx skrupellos dafür, dass er freie Hand hat, um das Monopol der sieben bis dahin den Ölmarkt beherrschenden Gesellschaften zu brechen.

Triebkraft Erdöl

Manottis Roman über jene Jahre, in denen sich der Rohstoff Erdöl als das Handelsgut etablierte, mit dem sich die größten Profite realisieren ließen, ist gut recherchiert – was bei dem wirtschaftshistorischen Hintergrund der Autorin nicht weiter verwundert –, verwirrt aber gelegentlich doch etwas durch seinen Detailreichtum.

Dass sich ihr Held, je länger er in der Affäre Piéri ermittelt, in der der Mord an dem angesehenen Reeder nicht das einzige Verbrechen bleibt, heillos in einen kaum durchschaubaren Dschungel aus gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen Politik und Wirtschaft, Polizeiführung und organisiertem Verbrechen, Spielern diesseits und jenseits des Atlantiks, denen die beginnende Globalisierung die Taschen bis zum Platzen füllt, verstrickt, nimmt ihm mehr und mehr von seiner freien Handlungsfähigkeit. Und so ist es keine große Überraschung mehr, wenn Daquin zwar Licht ins Dunkel eines Kriminalfalls zu bringen vermag, gegen die skrupellosen Hintermänner des Menschenleben kostenden Öl-Deals am Ende aber nicht die Spur einer Chance besitzt.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Dominique Manotti: Schwarzes Gold
Aus dem Französischen von Iris Konopik
Hamburg: Argument Verlag 2016
320 Seiten. 17.- Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Interview mit Dominique Manotti
| mehr zu Dominique Manotti in TITEL kulturmagazin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Die Heiterkeit des Unerträglichen

Nächster Artikel

Eine ganz neue Welt

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Du bist überall

Roman | Michael Kumpfmüller: Wir Gespenster

»Mein Glück besteht darin, dass ich immer schreiben wollte, spät damit angefangen habe, jetzt aber seit über Jahren schreibe – ich auch weiter schreiben kann, was ja immer eine ökonomische Frage ist«, bekannte Erfolgsautor Michael Kumpfmüller in einem Interview. Die Erfolgsgeschichte des inzwischen 63-jährigen Autors begann im Jahr 2000 mit seinem von der FAZ damals vorab gedruckten Romanerstling Hampels Fluchten. Mit Nachfolgewerken wie den verfilmten und in 27 Sprachen übersetzten Roman Die Herrlichkeit des Lebens (2011), Die Erziehung des Mannes (2016) und Tage mit Ora (2018) feierte er respektable Erfolge. Von PETER MOHR

Entführt für einen großen Plan

Roman | Robert Wilson: Die Stunde der Entführer Zum dritten Mal lässt Robert Wilson seinen »Kidnapping Consultant« Charles Boxer aktiv werden. Diesmal werden innerhalb von 24 Stunden gleich 6 Milliardärskinder in London entführt. Über ihre Forderungen schweigen sich die Täter erst einmal aus. Lediglich eine Aufwandsentschädigung von insgesamt 150 Millionen Pfund – je 25 Millionen von jedem der Superreichen aus aller Welt – soll zu einem bestimmten Termin bereitstehen. Damit die Opfer freilich zu ihren Familien zurückkehren können, verlangt man kein Geld, sondern Signale für ein globales Umdenken. DIETMAR JACOBSEN hat Wilsons Die Stunde der Entführer gelesen.

Morde, die keine waren

Roman | Jack London: Mord auf Bestellung Es lebe das Dezimalsystem! 2016 hat’s für etwas Flashlight auf Jack London gesorgt: Vor 140 Jahren wurde er geboren, vor 100 Jahren ist er gestorben, der autodidaktische Tausendsassa unter den US-amerikanischen Weltbestsellerautoren – Schwerarbeiter, Weltreisender, Goldsucher, Robbenfänger, Farmer und erklärter Sozialist. 50 Romane und jede Menge kleine Prosa sind die Ausbeute seines Schriftstellerlebens. Von PIEKE BIERMANN

Kriminelle Spediteure

Roman | David Schalko: Schwere Knochen David Schalko genießt bei unseren südöstlichen Nachbarn so etwas wie Kultstatus. Für Josef Hader hat er nicht nur den Habitus eines Genies, sondern ist auch eines, andere sehen in dem heute 45-jährigen Wiener ein »Phänomen« und einen »Kreativgeist«, der dem Fernsehen neue Impulse verliehen hat. Jetzt ist mit ›Schwere Knochen‹ Schalkos vierter und bislang umfangreichster Roman erschienen. Von DIETMAR JACOBSEN

Projekt »Seelenfrieden«

Roman | John Ajvide Lindqvist: Signum

Mit Signum setzt der schwedische Bestsellerautor John Ajvide Lindqvist nach Refugium seine Mittsommer-Trilogie fort. Wieder stehen die Schriftstellerin und Ex-Polizistin Julia Malmros und der 20 Jahre jüngere Hacker Kim Ribbing im Mittelpunkt. Letzterer hatte am Ende von Band 1 den »Schockdoktor« Martin Rudbeck in seine Gewalt gebracht. Denn er war eines jener jugendlichen Opfer, denen Rudbeck mit rabiaten, an Sadismus grenzenden Methoden ihre Psychosen auszutreiben versuchte. Nun findet sich der Mann im Keller von Ribbings Haus genauso angekettet wieder, wie er einst die ihm anvertrauten jungen Menschen in seiner Klinik in Fesseln gelegt hatte, um sie mit Elektroschocks zu quälen. Aber worauf soll Kims Racheaktion eigentlich hinauslaufen? Derweil recherchiert Julia im Umkreis der rechtsradikalen »Wahren Schweden« und bringt sich und ihre Freunde erneut in große Gefahr. Von DIETMAR JACOBSEN