American Pie-Rugby – Mix

Jugendbuch | Andrew Smith: Winger

Die Annahme, dass männliche Jugendliche vornehmlich hormongesteuert sind, scheint in vielen Köpfen unausrottbar verankert und wird dementsprechend als Naturgesetz tradiert. Das kann hin und wieder lustig sein. Andrew Smith allerdings mixt in seinem ausufernden Teenager-Sex-Sport-Roman einen am Ende unbekömmlichen Cocktail. Von MAGALI HEISSLER

Andrew Smith - WingerRyan Dean ist vierzehn. Das ist ein Problem, wenn man hochbegabt und wegen der schulischen Leistungen im Internat mit Jungen zusammen sein muss, die zwei Jahre älter sind. Es ist ein noch größeres Problem, dass all den süßen heißen Mädels bei seinem Anblick nur einfällt, was Ryan Dean für ein »niedlicher Bubi« ist, wegen seines zarten Alters aber zu näherem Körperkontakt ungeeignet.

Körperkontakt bieten eher andere Jungen, allerdings in Form von Prügeln. Das wiederum ist auch nicht akzeptabel. Körperkontakt mit dem gleichen Geschlecht nimmt Ryan Dean nur in der Rugby-Mannschaft hin, wo er als schnellster Läufer der Schule als Winger spielt. Alles in Ehren versteht sich. Zwar ist sein bester Freund schwul, aber der Held der Geschichte weiß sich abzugrenzen. Sicher ist sicher.

Als sich die Gelegenheit bietet, lässt er sich allerdings von der derzeitigen Freundin eines Mannschaftskameraden immer wieder mal abknutschen. Nur nichts verkommen lassen. Und ein bisschen Gefahr macht den ohnehin brutalen Alltag im Internat für reiche, leicht gestörte Jugendliche gleich noch lebendiger. Dass Ryans Angebetete, Annie, die Knutscherei mit einer anderen nicht gut findet, ist eher Pech. Aber vielleicht kann man das ausnützen, schließlich ist es vornehmlich Annie, die ihn für viel zu jung für Sex hält.

Testosteron und krude Witze

Die Sprache wie auch die Witzeleien, die Smith aufbietet, sind grundsätzlich und jedes Mal eindeutig. Wenn man sich gelegentlich anstrengen muss, um einen Witz zu verstehen, liegt das eher daran, dass Ryan Deans Humor in solcher Bodennähe fliegt, dass man den Luftzug an den Knöcheln erst einmal als Humor identifizieren muss. Hin und wieder trifft er ins Schwarze, die Überraschungen gelingen und sind ihrer Seltenheit wegen zu den freudigeren zu zählen. Damit man im Verständnis auch bestimmt nicht fehlgeht, gibt es immer wieder einmal gezeichnete Szenen aus Ryan Deans Leben. Der Junge ist eben ein Alleskönner.

Die flapsig-krude Sprache war für den Übersetzer Hans-Ulrich Möhring ganz sicher eine Herausforderung. Dass er sie ganz, ganz ausgezeichnet gelöst hat, liegt auch daran, dass er sich nicht gescheut hat, sich Hilfe zu suchen, wie die Danksagung am Ende zeigt. Das ist eine Vorstellung von Zusammenwirken, um das beste Ergebnis zu erzielen, die man bei den Figuren im Buch vermisst.

Dass die Sprache dennoch eintönig wirkt, liegt am pubertären Duktus, der kaum Variationen zulässt und daran, dass Ryan Dean einfach nicht den Mund halten kann. Er plappert 450 Seiten lang, ohne dass ihm größere Erkenntnisse geschenkt werden, auch wenn sein Schöpfer deutlich der gegenteiligen Meinung ist. Das ist nichts als verbales Muskelprotzen, ebenso einfältig wie das reale, das in der Geschichte häufig vorkommt. Testosteron und Denken schließen sich eben völlig aus, behauptet Smith. Gibt es eigentlich Menschen, die gegen Biologismus bei Männern protestieren?

Vorurteile biologistischer Art gelten selbstverständlich auch für die weiblichen Figuren. Ihre Eigenschaften ist vornehmlich, »heiß« zu sein, abgesehen von Annie, die auch noch sportlich und rasend gescheit ist, also der Preispokal par excellence für ein Super-Kerlchen wie Ryan Dean. Dazu gibt es noch eine böse Hexe, die unseren Helden mit Flüchen belegt. Gemeint ist eine Lehrerin, die das Verbrechen begeht, erzieherisch auf den merkbefreiten Helden einzuwirken. Zu ihnen gesellt sich die Mutter Annies, die dem getroffenen Helden seelisch wieder auf die Beine hilft. Hure, Hexe, Heilige, Mutter, damit ist das Weltbild komplett. Das ist dermaßen platt und rückständig, dass es schon fast wieder komisch ist. Aber das Buch soll auch vor allem eine Komödie sein.

Wackelpuddingmoral

Vielleicht hätte man das Ganze hingenommen, schulterzuckend, vielleicht, wäre es nicht so schrecklich in die Länge gezogen und wäre Smith bei einer oberflächlichen Sex-Komödie für Teenies geblieben. Das genügt ihm aber nicht. Er muss noch einiges über Körperlichkeit unter Männern beim Sport klarstellen. Dazu fiel ihm nichts Besseres ein, als ein schwules Teammitglied zu kreieren. Der Jungen ist zugleich Ryan Deans bester Freund, klar, unser Held ist auch noch politisch korrekt. Mit einem wenig korrekten Haken.

Smiths Umgang mit gerade diesem Thema verfolgt man als Leserin zuerst leicht verwundert, bald jedoch mit wachsendem Ärger. Nicht nur der Protagonist, auch die anderen Teammitglieder benutzen »schwul« samt den Variationen des Worts durchgängig als Schimpfwort, auch für ihren Mannschaftskameraden. Kommt es zu Berührungen außerhalb des Spielfelds, muss nachdrücklich darauf hingewiesen werden, dass man selbst auf gar keinen Fall »so« ist. Die Charakterisierung des betreffenden Jungen tut ein Übriges. Er ist freundlich, immer ausgleichend, zeigt Verständnis, wo die anderen schon draufhauen. Schwule sind eben die besseren Männer. Falls sie welche sind.

Er wird von Schlägern aus der Schule verfolgt. Ist das Team dabei, und zwar als Team, verteidigen sie ihn. Teamgeist rulez! Sonst darf er sein Problem mit den Rowdies selber lösen. Er schafft es nicht, weil er im entscheidenden Moment allein ist.
Wer auf nachfolgende Erkenntnisse bei Ryan Dean oder dem Team hofft, hofft vergeblich. Dafür schwelgt Smith im Nachwort in Sentimentalitäten darüber, wie ehrenvoll die Rugbyspieler sind, die er kennt.

Ausrede oder Unfähigkeit zu begreifen, dass eine derart offen zelebrierte Feindseligkeit gegen Schwule kein Thema für eine Firlefanz-Komödie sind? Ebenso wenig wie offen zelebrierte Frauenfeindlichkeit, übrigens.

Ach, so: abgesehen von einem Toten, gibt es ein Happy End. Annie sieht ein, dass sie Ryan Dean schon immer mehr als »süß« fand und Ryan Dean sieht ein, dass es immer nur um Liebe und gar nicht so sehr um Sex ging. Woher das Thema Liebe plötzlich kommt, bleibt das Geheimnis des Autors. Vor allem darf Ryan Dean sein Lebensmotto bestätigt sehen: Crede quod habes, et habes.

Der Autor glaubte offensichtlich auch, dass er ein taugliches Buch für Teenager vorgelegt hat. Wie man sich irren kann, wenn man einfach so ins Blaue hineinglaubt.

| MAGALI HEISSLER

Titelangaben
Andrew Smith: Winger
(Winger, 20139) Aus dem US-Amerikanischen von Hans-Ulrich Möhring
Hamburg: Königskinder Verlag 2016
458 Seiten. 19,99 Euro
Jugendbuch ab 15 Jahre
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