Qual der Wahl?

Kinderbuch | Brigitte Minne: Hexenfee

Rosmarinchen ist eine Fee. Und damit alles andere als glücklich. Sie wäre viel lieber eine Hexe. Es spricht vieles dagegen, dass dieser Wunsch Wirklichkeit wird. Von ANDREA WANNER

Minne HexenfeeFeen sind niedlich. Sie wohnen, wie Rosmarinchen mit ihrer Mutter und vielen anderen Feenmädchen und -müttern, auf einer großen Wolke in einem Luftschloss mit goldenen Türmen. Es ist eine rosarote Zuckerwattewelt mit hübschen Kleidchen, Schleifchen, Täschchen, Söckchen, alles in Rosa, Pink, Lila, Rot, Altrosa, Beerenrosa, Korallenrosa, Purpur, Orange …

Zum Geburtstag bekommt Rosmarinchen einen Zauberstab. Dabei wollte sie eigentlich Rollschuhe. Doch die gehen gar nicht, findet nicht nur die Mutter, sondern auch die anderen Feenmädchen. Weil Feen lieb, brav und ordentlich zu sein haben, sich nicht schmutzig machen, laut schreien oder hinfallen dürfen.
Langweilig findet Rosmarinchen das und hat einen weiteren Wunsch – sie will lieber eine Hexe sein. So packt sie ihre Taschen und kehrt der Feenwelt den Rücken.

Die Geschichte von »Rosmarine« wurde bereits 15. März 1999 beim belgischen Verlag ›De Eenhoorn‹ in niederländischer Sprache als ›Heksenfee‹ veröffentlicht und erschien erstmals 2006 im Residenz Verlag auf Deutsch. Illustriert hat sie schon damals Carll Cneut, der aus dem Märchen von der kleinen Fee, die tatsächlich mit Rollschuhen durch den Wald fährt, Bootsausflüge macht, auf dem Hexenbesen fliegen lernt, dabei dreckig wird und sich Kratzer holt, aber glücklich ist, ein kleines Kunstwerk gemacht hat.

Spielt Brigitte Minne im Text, wenn auch gekonnt und auf dem Weg zu etwas Neuem, noch mit Klischees, ist der belgische Illustrator Cneut längst darüber hinaus gewachsen. Für die Bohem-Ausgabe, die von Rolf Erdorf neu übersetzt wurde, hat er sich neue Bilder ausgedacht. Er verniedlicht an keiner Stelle.

Scharf kontrastiert stößt die rosarote Feenwelt auf eine schwarz-graue Hexenwelt, treffen die gerundeten Blütenformen auf gerade Strukturen, die von den Baumstämmen gebildet werden. Kitsch ist ihm fremd. Harte Gesichter mit mürrischen oder gelangweilten Blicken prägen die sonst so filigranen Feen. Nein, nach Glück sieht das nicht aus. Eher nach Anpassung und Unterordnung. Es wird getuschelt, Köpfe werden geschüttelt: So was wie Rosmarinchen kann es nicht geben!

Doch, es kann! Selbstbewusst setzt sich die Kleine über alle Rollenerwartungen hinweg, wagt den Bruch mit den Konventionen sowie der Mutter – und geht. Aber nicht um verängstigt, unglücklich und reumütig zurückzukehren, sondern um das zu leben, was sie möchte. Zugeständnisse macht nicht Rosmarinchen – sondern ihre Mutter. Und dieses Entgegenkommen, in der Geschichte ganz wörtlich als ein Hinterherreisen umgesetzt, macht dann einen Kompromiss möglich: Rosmarinchen kann beide Seiten, die sie in sich trägt, leben. Ungestraft, ohne negative Konsequenzen. Sie muss keine Fee sein. Aber auch nicht immer eine Hexe, denn schließlich genießt sie die gemeinsame Zeit mit ihrer Mutter auch sehr. In der Hexenfee vereinigen sich die Eigenschaften, mit denen sie durchs Leben kommt. Vermutlich ist das nicht nur bei Rosmarinchen so.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Brigitte Minne: Hexenfee
Mit Illustrationen von Carll Cneut
Aus dem Niederländischen übersetzt von Rolf Erdorf
Münster: Bohem 2017
48 Seiten, 24,95 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
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