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Du bist immer willkommen hier

TITEL-Textfeld | Ole Petras: Du bist immer willkommen hier

Du bist immer willkommen hier
du weißt das, wir warten
die Sonne steht tief und der
Kirschbaum im Garten
verblüht und die Felder sind leer

Die letzte Minute

Eine alte Dame hält den Regenschirm
wie ein Maschinengewehr
kann sein, die Wolken brechen auf
wir sind gerüstet

Zwei brünftige Eber laufen
Schaum vor dem Mund
an einem niedrigen Zaun entlang
auf und ab, in immer gleichen
Bahnen, das ist der Prozess
der Zivilisation: ein niedriger
Zaun, der verhindert, dass
die geilen Eber sich gegenseitig
die Zähne ins Fleisch hauen
die Kultur, ein niedriger Zaun
im Zoo für Nutztierrassen

Drei Krähen sitzen auf
den Ästen des Kastanienbaums im Hof
du bewirfst sie mit Kartoffeln
damit sie nicht schreien, wenn wir schlafen
und nicht schweigen, wenn wir schreien

Vier alkoholisierte Männer
rennen nackt ins Meer
und sehen mit Entsetzen
wie ich ihre Sachen nehme

Fünf Gedichte schreibt jeder Mensch:
eins über die Geburt
eins über die Liebe
eins über das Alter
und eins über den Tod

Die Dinge werden sich nicht ändern

Die Dinge werden sich nicht ändern
weil unsere Herzen träge sind
die Körper fransen an den Rändern
an deinen Haaren zerrt der Wind

Und nur das Lassen ist zu lernen
und nur die Liebe hält uns auf
da draußen brennen die Laternen
die alten Wunden bluten aus

Eins zu null für die digitale Welt

Die schwefelgelben Routinen
das Aufstehen
ein Blin
zeln und zu Bett
zwischendrin und unterhalb des Exis
tenzminimums
mit dem Gefühl leben
es nicht schlecht getroffen zu haben
seinen Kopf auf das weiche Kissen betten
dann fällt der Schlaf wie ein Messer
und die führerlosen Gehirn
platinen rasten aus:
eins zu null für die digitale Welt

| OLE PETRAS

Ole Petras liest am Mittwoch, den 15. März, 19 Uhr, im Hamburger Kulturcafé Chavis, Detlev-Bremer-Straße 41, größtenteils unveröffentlichte Gedichte aus seiner Textgruppe „Alltag in Versen“. Dazu trägt er Lieder vor, die sich – so der Autor – „einerseits mit den Selbstwidersprüchen westlicher Industriegesellschaften und anderenteils mit dem Wetter“ befassen.

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um den Tag aufzuhellen
und den Stift sicher zu führen,
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in der Mittagszeit und manchmal
fast eine Ahnung von Frühling,
festgemacht an einfallenden
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