Einschneidende Veränderung

Jugendbuch | T.A. Wegberg: Meine Mutter, sein Exmann und ich

Die Familie ist nicht der stabile Bau, für den man sie gern hält. Veränderungen durch Trennung bis hin zum Tod gehören dazu. Was aber geschieht, wenn ein Familienmitglied das bisher gelebte Geschlecht ablehnt und ein anderes annimmt? Diese Veränderung geht tief. Von MAGALI HEISSLER

Wegberg - Meine Mutter, sein Exmann und ichJoschka weiß es schon einige Jahre, aber glauben will er es nicht. Seine Mutter hat sich entschieden, nicht mehr als Frau zu leben, sondern in dem Geschlecht, dem sie sich wirklich zugehörig fühlt, als Mann. Was soll Joschka denn davon halten? Hat er nun zwei Väter?

Geschieden sind seine Eltern schon länger. Der Vater hat eine neue Frau und bereits ein Kind mit ihr, den lästigen kleinen Halbruder Leon. Joschkas Schwester Liska dagegen findet nichts dabei, Mama von nun an Frederik zu nennen und bei ihm zu wohnen, wie sie eben vorher bei Mama gewohnt hat. Joschka zieht es vor, zunächst bei Papa zu bleiben. Die neue Frau kann er zwar partout nicht leiden, aber immerhin gibt es in der Familie keine Geschlechterverwirrung.
Die größte Schwierigkeit ist aber eine ganz andere. Wie soll er seinen Freunden klarmachen, dass aus seiner Mutter Frederik geworden ist? Das ist unmöglicher als unmöglich!

Teenagergedöns vor Berlinkulisse

Wegberg wirft zunächst wichtige Fragen zu Transgender auf, widmet sich ihnen aber nicht mit der nötigen Konsequenz. Im Gegenteil ist man nach wenigen Seiten im eingeschränkten Kosmos eines Fünfzehnjährigen, der mit der Welt hadert, weil diese sich als größer erweist, als ihm sein Kinderblick bisher gezeigt hat. Der für Pubertierende hochsensible Bereich der eigenen Geschlechtsidentität findet kaum Beachtung. Das Leid, das die grundlegende Veränderung seiner Vorstellung von »Mutter« auslöst, ist nicht erkennbar. Das Beziehungsgeflecht, das der großartige Titel suggeriert, wird nicht ausgelotet, auf die dahinterstehenden Fragen gibt es keine Antworten.

Joschka gerät eher zum verwöhnten Kind, das seine Launen auslebt. Statt die Facetten des zugrundeliegenden Themas zu diskutieren, füllt der Autor die Seiten mit oberflächlichen Details des Alltagslebens von Teenagern, bis hin zu den inzwischen offenbar unvermeidlichen SMS-Dialogen. Das schenkt der Geschichte auch in diesem Fall nicht die angestrebte Authentizität, sondern macht sie erwartungsgemäß austauschbar und belanglos.

Joschkas Hobby, alle Linien des Berliner Nahverkehrs abzufahren, gerät in die Nähe zu Zeilenschinderei, weil es als Bestandteil eines Romans keine Funktion für den Handlungsablauf hat. Ebenso wenig hat Berlin eine Funktion, es ist einfach nur Bühnenbild. Hier wird nicht gestaltet, es werden Beschreibungen aneinandergereiht. Das gilt auch für die Figuren, sie entwickeln keinen eigenen Charakter, sie haben bloß Eigenschaften und legen Verhaltensweisen an den Tag. Grundsätzlich sind sie blasse Skizzen, weich im Strich, wenn sie positiv sind, hartschwarz im gegenteiligen Fall.

Transgender kommt etwas offensiver ab der zweiten Hälfte des Buchs zur Sprache, in Gestalt eines Klassenprojekts über LGBT. Ein paar Wissensbrocken werden verteilt und ein paar Einsichten von der Tiefe einer Pfütze auf glattem Asphalt. Joschkas wachsenden Leidensdruck muss man glauben, spüren kann man ihn nicht, umso weniger, als der Autor brav den Genregesetzen entsprechend mit sauberen Lösungen auf ganzer Linie aufwartet.

Gut gemeint statt gut gedacht

Die Welt, die junge Leserinnen und Lesern präsentiert wird, erweist sich beim genauen Hinsehen nicht als regenbogenfarbig, sondern als abwechselnd rosarot und höllenschwarz. Joschka wandelt sich allein dadurch, dass er nach und nach das Vorhandensein von Transpersonen akzeptiert, zu einem Galahad des 21. Jahrhunderts, der hilfreich die Hand ausstreckt, sobald irgendwo ein Notsignal im lauen Sommerwind weht. Geht es darum, denjenigen zur Seite zu eilen, auf die sein von keinerlei Erfahrung und noch weniger von Wissen getrübter Blick zufällig fällt, ist er zur Stelle. Wer allerdings nicht mit Tränen der Dankbarkeit auf seinen Edelmut reagiert, hat schlechte Karten.

Eine Frau, die deutlich psychisch krank ist, wird als »ganz normale Berliner Irre« bezeichnet. Zwei sehr leichtsinnigen, sehr jungen Mädchen, darf Joschkas bester Freund, der die Rolle des immer weisen Ratgebers hat, eine Hartz-IV-Zukunft voraussagen. Papas neue Frau ist eine Bitch, die natürlich gemein zu Frederik ist und wer sich verhält, wie Joschka vor seiner wunderbaren Wandlung, ist ein Spießer und dumm obendrein. Egoismus und Rassismus sind auch nicht fern, Erziehrinnen benehmen sich wie »Maschinen«, wenn sie auf Feierabend bestehen, ein nebenbei erwähnter Tanz eines Mannes aus Ghana wird zum »Stammestanz« und überhaupt ist Afrika am besten, wenn man es aus lecker gefüllten Schüsseln essen kann.

Nicht zu vertreten sind die Zuschreibungen geschlechtertypischen Verhaltens. Mädchen haben vor allem Kleider und Partys im Kopf, außer Emma – der Preispokal unseres Helden – die auch noch ehrgeizig ist und Bestnoten hat. Die Darstellung von Frauenfiguren überschreitet die Grenze zu Frauenfeindlichkeit. Je älter die Frauen, desto schlimmer. Frederik sagt es gleich am Anfang deutlich: »Es war schon schlimm genug, als Frau zu leben. Aber eine alte (Hervorhebung im Original) Frau will ich nicht sein.«

Mütter kommen ganz schlecht weg, was im Übrigen keine Besonderheit dieses Buchs ist, sondern grundsätzlich ein Problem in zeitgenössischen Jugendbüchern. Dass es hier auftaucht, liegt gleichfalls an den unreflektiert übernommenen Techniken des Genres.

Gute Mütter sind die klassischen Versorgerinnen, die mit dem Hintergrund verschmelzen und nur auftauchen, wenn der Held Futter, saubere Wäsche und Nestwärme braucht. Bessere Frauen sind allein Transmenschen, die besten Menschen allerdings sind Männer, keine Frage.

Dass auch dieser Jugendroman zu Transgender nicht gelungen ist, liegt wieder einmal in erster Linie daran, dass das Thema nur als Vehikel einer einzigen Botschaft dient: das Glück des Individuums ist das wichtigste und wer der Verwirklichung im Weg steht, ist rückständig und intolerant. Übersehen wird die eigentliche Sprengkraft der Thematik. Ernst genommen ist Transgender eben das, was endgültig an den Grundfesten der Gesellschaft rüttelt. Vorstellungen, die über Jahrtausende Gültigkeit haben, müssten überdacht werden. Zuschreibungen nach Geschlecht stünden zur Disposition, es wäre eine kulturelle Revolution. Das muss diskutiert werden und kann durchaus auch Jugendlichen zugemutet werden, zumal in einer Gesellschaft, in der »schwul« ebenso als Schimpfwort gebraucht wird wie »Mädchen«.

Wenn man das Thema nicht konsequent und stringent durchdenken und ebenso bearbeiten will, produziert man zwangsläufig oberflächliche Geschichtchen, die statt mit Scheidung, Drogen, schwerer Krankheit oder Selbsttötung mit Transgender aufgepeppt sind. Transgender also als Aufreißer für einen Jugendbuchmarkt, der ohnehin bis zum Überlaufen gefüllt ist.
Das kann niemand wollen.

| MAGALI HEISSLER

Titelangaben
T.A. Wegberg: Meine Mutter, sein Exmann und ich
Hamburg: Rowohlt Rotfuchs 2017
253 Seiten. 12,90 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren
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