Film | Im Kino: Ghost in the Shell
Was macht einen Menschen aus? Braucht man ein organisches Herz, um menschlich zu sein? Oder reicht das bloße Gehirn? Ist es die Sterblichkeit – oder sind es die Erinnerungen, die den Menschen von der Maschine unterscheiden … wird es bald keinen Unterschied mehr geben? ANNA NOAH über die Realfilm-Adaption des Cyberpunk-Anime-Klassikers Ghost in the Shell.
Die Geschichte schildert eine dystopische Zukunft, in der die meisten Menschen ihre Körperteile mit künstlichen Elementen ersetzt haben und so zu »Cyborgs« mutieren. Das menschliche Gewebe reduziert sich auf den Teil des Gehirns, der die Persönlichkeit ausmacht. Diese Zellen – Ghost genannt – sind die menschlichen Elemente in der künstlich hergestellten Shell. »Major«, verkörpert von Scarlett Johansson, wird nach einem Unfall in einen Cyborg mit übermenschlichen Fähigkeiten verwandelt. Sie ist nahezu unverwüstlich und kann sich unsichtbar machen. Dadurch wird Major für die Regierung zu einer perfekten Waffe im Kampf gegen die Unterwelt.
Sie wird auf den Cyber-Terroristen Kuze (Michael Pitt) angesetzt, dem es gelungen ist, sich in den Verstand von Menschen zu hacken und diese dadurch zu kontrollieren. Die mit Daten angereicherten Cyborgs bieten eine gute Angriffsfläche für terroristische Hacker-Angriffe. Um Kuze dingfest zu machen, setzt die Regierung eine Spezial-Einheit (»Section 9«) ein, Teil dieses Kommandos ist Major. Während ihrer Jagd auf Kuze macht sie eine folgenschwere Entdeckung: Die Wissenschaftler, die ihr angeblich das Leben gerettet haben, löschen in Wahrheit Menschenleben für ihre Experimente aus.
Dies bewegt Major dazu, sich auf die Suche nach den Verantwortlichen zu machen; um zu verhindern, dass andere dasselbe Schicksal erleiden müssen. Gleichzeitig findet sie nach und nach heraus, wer sie vor ihrem Leben als Cyborg war.
Ghost In The Shell ist einer der bekanntesten japanischen Animationsfilme. Als der Science-Fiction-Film von Mamoru Oshii (Manga-Vorlage von Masume Shirow) 1995 in Japan erschien, stillte er die Neugier vieler nach Fragen zur Weiterentwicklung der Menschheit durch die Technik. Er spielt in einer Zeit, in der die Menschen den Maschinen so ähnlich geworden sind, dass sie mehr mit ihnen gemeinsam haben, als mit anderen Menschen. Das Bewusstsein verschiebt sich in vielfältige Daten-Formen und die Vernetzung lässt die Individualität sterben. So sagt die Hauptakteurin Motoko (Major) über ihr Selbst: »Menschlicher Körper und Geist setzen sich aus unzähligen Ingredienzien zusammen. All diese Komponenten machen mich zu einem Individuum mit einer eigenen Persönlichkeit. […] Ich nehme Information auf und verarbeite sie auf meine Weise. Aus dem Zusammenwirken all dieser Vorgänge entsteht mein Ich und das Bewusstsein meiner Persönlichkeit.«
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
In seiner Realfilm-Neuauflage besetzt Regisseur Rupert Sanders (#Film) die japanische Kultrolle des Cyborgs Major mit der amerikanischen Schauspielerin Scarlett Johansson. Auch viele weitere Rollen sind nicht – wie in der Vorlage – mit asiatischen Charakteren besetzt. Diese Verschiebung unterstreicht einerseits die Surrealität des Themas und symbolisiert die globalisierte Welt. Auf der anderen Seite setzt Sanders sich, ganz real, dem Vorwurf des »Whitewashings« aus – der Besetzung beispielsweise asiatischer Rollen durch nicht-asiatische Schauspieler. Ein Thema übrigens, mit dem sich die Filmindustrie Hollywoods in letzter Zeit häufig auseinandersetzen musste.
Im Vergleich zum Anime aus den 90er Jahren fällt noch ein gravierender Unterschied auf: Damals stellte sich die Frage, was Major werden wird. In der Neuverfilmung findet sie heraus, wer sie einst war. Diese Neuinterpretation der Rolle könnte für manche Fans der Vorlage enttäuschend sein. Trotz aller Kritikpunkte bietet der Film eine philosophische Tiefe – aber auch Ablenkung durch actionreiche Szenen brillante Farben. Hier liegt eine besondere Stärke des Films: Mittels neuester 3D-Technik fühlt sich der Zuschauer direkt ins Geschehen katapultiert. Auch die anderen Spezialeffekte, wie die Darstellung von Verletzungen, Waffentechnik und Effektglas sind klug eingesetzt und erledigen, was sie sollen – die Erlebnisintensität des Zuschauers steigern.
Der Wert des Menschen
Mit einer aufwendig gestalteten Hologrammgroßstadt und lebensechter Geräuschkulisse schafft es Ghost in the Shell auch 2017, dynamische Action und philosophische Konzepte zu vereinen. Die kreierte Welt wirkt beängstigend real. »Kuze« stellt mit seinen Möglichkeiten, jedes menschliche Gehirn zu manipulieren, das Menschsein an sich infrage.
Über den Wert des Menschen wird in diesem Zukunftsentwurf nicht mehr diskutiert. So, wie die Protagonistin plötzlich ganz persönlich betroffen ist, so sind es auch die Zuschauer. Jeder erhofft sich Antworten zu den aufgeworfenen existenziellen Fragen. Ihre Identitätskrise wird zu unserer! Spannend bleibt der Film bis zum Schluss. Und bis sich am Ende viele Fragen auflösen, merkt man, dass man fast durchgängig die Luft angehalten hat. »Es sind nicht die Erinnerungen, die einen Menschen ausmachen, es ist das, was er gegenwärtig tut.«
›Ghost in the Shell‹ ist ein temporeicher, actiongeladener Film, der mit wenigen Dialogen auskommt. Der Soundtrack tut sein Übriges: Der Titelsong ›Enjoy the Silence‹, ein Elektro-Industrial-Pop-Klassiker von Depeche Mode gibt die Stoßrichtung des Films vor: »Words like violence, break the Silence« … Passend gewählt, denn im Film hackt sich Kuze in Majors Shell und überträgt ihr nach und nach seine Wahrheiten. Dies lässt sie »aufwachen« und an ihrer Identität zweifeln.
Direkter Zugang zum Gehirn
Wie weit sind wir an einem solchen Science-Fiction-Szenario heutzutage entfernt? Der Tech-Milliardär Elon Musk (Tesla, Hyperloop, SpaceX) lässt bereits erforschen, wie das menschliche Gehirn über eine Schnittstelle direkt mit Computern vernetzt werden kann. Im ›SPIEGEL‹ sprach er von einem »direkten Interface zur Hirnrinde«, das es zu bauen gelte. Ein konkretes Projekt oder eine Technik-Fantasie? Die Frage nach der Individualität ist eine der wichtigsten im anbrechenden Zeitalter des Cyber-Menschen. Doch kann man den Menschen in einer zukünftigen Gesellschaft, in der Gedanken als Daten gelesen und der Körper durch technische Bauteile ergänzt – oder gar ersetzt wird – überhaupt noch klar definieren? Was genau ist dieser Ghost bzw. die menschliche Seele oder auch das Bewusstsein, in seiner Shell – und welchen Stellenwert wird er gegenüber der artifiziellen Umgebung einnehmen? Wo werden die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verlaufen, wenn sich die Unterschiede zwischen den beiden mehr und mehr verwischen?
Ganz neu sind diese Fragen nicht: Ähnliche Überlegungen stellte an bereits im antiken Griechenland; so gibt es das Paradox des Schiffs des Theseus, ein Gedankenexperiment, welches sich damit beschäftigt, ob ein Gegenstand seine Identität verliert, wenn einige seiner Einzelteile nacheinander ausgetauscht werden. Der Mensch als Versuchskaninchen im Spannungsfeld zwischen Menschlichkeit und Technik ist eine Weiterentwicklung dieses Gedankens.
Diese existenzialistischen Themen dürften sich vielleicht eher an ein älteres, technikkritisches Publikum richten – und damit möglicherweise die Zielgruppe des aktuellen Films nicht erreichen. Dennoch bietet ›Ghost in the Shell‹ lohnenswerten Filmgenuss, wenn man ihn nicht dauernd mit der Anime-Vorlage vergleicht. Und wenn man bereit ist, sich auf die Konventionen des Hollywoodkinos einzulassen.
Titelangaben
Ghost in the Shell
Regie: Rupert Sanders
Drehbuch: Jamie Moss and William Wheeler
Grundlage: Manga von Masamune Shirow
Darsteller/Cast
Major: Scarlett Johansson
Batou: Pilou Asbæk
Aramaki: Takeshi Kitano
Dr. Ouelet: Juliette Binoche
Kuze: Michael Pitt u.v.a.
Musik/Music: Lorne Balfe und Clint Mansell
Kamera: Jess Hall
Schnitt: Billy Rich und Neil Smith