Familienfluch und Patriotismus

Film | Comedy-Crime | Logan Lucky

Was würden Sie tun, wenn Sie in jungen Jahren für ein Land in den Krieg gegangen wären, dabei einen Arm verloren oder eine bleibende Knieverletzung davongetragen hätten und deswegen mit Anfang 30 »aus Versicherungsgründen« jeden Job wieder verlören? Und noch dazu permanentem Spott ausgesetzt wären? Genau das passiert den Logan-Brüdern Jimmy und Clyde aus West Virginia. Doch mit der Geldnot und dem Hohn ist jetzt Schluss! Jimmy Logan hat einen Plan. ANNA NOAH ist höchst gespannt, ob er funktionieren wird.

»Hoffentlich geht der Fluch der Logans nicht auf uns über.«

Die Brüder Jimmy und Clyde Logan (Channing Tatum und Adam Driver) sind vom Pech verfolgt. Niemand will etwas mit ihnen zu tun haben. Und nichts will ihnen so recht gelingen – weder die Jobs noch die zwischenmenschlichen Beziehungen. Doch dann hat Jimmy eine brillante Idee, die alles verändern soll. Das legendärste Rennen der Welt, der Coca-Cola Cup 600 steht im Nachbarstaat an und mit ihm die Voraussetzungen für den perfekten Raubzug. Denn Jimmy hat bei einem seiner unfreiwilligen Gelegenheitsjobs herausgefunden, dass es ein unterirdisches System gibt, in dem Rohrpostkapseln mit Geld an einen Banktresor geschickt werden.

Für den Coup brauchen die Logan-Brüder den berüchtigten Safeknacker Joe Bang (Daniel Craig). Doch der muss noch fünf Monate im Gefängnis verbringen und hat wenig Lust, seine Freiheit erneut aufs Spiel zu setzen. Außerdem ruht er sich gedanklich auf einem Schatz vom letzten Raubzug aus, den er sicher unter einem Baum wähnt. Letztendlich können ihn die Logans überzeugen, denn sie wissen zufällig, dass seine Ex-Frau das Geld bereits ausgebuddelt hat. Dumm gelaufen!

Zusammen mit Mellie Logan (Riley Keough) und zwei weiteren Bang-Brüdern machen sie sich plump, aber charmant ans Werk. Natürlich geht schief, was schiefgehen kann.
Soderbergh, den man von der ›Ocean’s 11, 12, 13‹ – Reihe bereits kennt, inszeniert eine Gangsterkomödie der besonders schrägen Art.

Das Klischee-Universum und der Patriotismus

Die Rennstrecke Charlotte Motor Speedway in North Carolina als Zielscheibe des Coups zu wählen, ist ein geschickter Schachzug für einen Film voller Klischees. Denn kaum einer weiß, worum es bei NASCAR wirklich geht – aber viele Amerikaner machen sich lustig darüber.

Ebenso ergeht es einem anderen Vorurteil, mit dem der Film aufräumt. ›Logan Lucky‹ lebt durchweg von Slapstick durch scheinbar mangelnde Intelligenz der Agierenden. Nicht umsonst wurden eine Friseurin, ein Safeknacker und dessen Methchristenbrüder aus den finsteren Ecken des Hinterlandes sowie die zwei körperlich eingeschränkten Kriegshelden ausgesucht. Personen, von denen man wohl alles erwartet, aber keinen ausgeklügelten Raubzug.

Am Rande wird in einer kurzen Zwischensequenz bei einem der NASCAR-Rennfahrer die als modern geltende, gesunde Lebensweise aufs Korn genommen – mit katastrophalen Auswirkungen. Der Zuschauer muss lachen, aber das berühmte Fünkchen Wahrheit schwebt immer mit im Raum.

Beim Soundtrack sowie Drehbuch regiert West Virginia. Das liegt zum Großteil daran, dass die Drehbuchschreiberin aus diesem US-Staat stammt. Und sie hat ihre Wurzeln stark einfließen lassen. Nicht zuletzt ist John Denvers ›Take me home, country roads‹ Jimmy Logans Lieblingslied. Dieser perfekt durchschimmernde Patriotismus zieht sich durch, bis ins kleinste Detail – beispielsweise den Stars’n’Stripes-Unterhosen der Darsteller.

»In meinem Gefängnis gibt es keine Aufstände.«

Nationalbewusstsein herrscht auch im Knast, in dem Joe Bang einsitzt. Das macht er sich für den anstehenden Coup zunutze. Denn laut Direktor gibt es keine Schlägereien, keine Aufstände und schon gar keine Brände in seiner Institution – wegen der Quote. Natürlich!
Daher können die Gefangenen einiges anstellen, ohne, dass auch nur ein Fünkchen nach draußen dringt. Unter anderem auch Wärter fesseln und als Geißel nehmen. Wie würde der Herr Gefängnisdirektor denn dastehen, wenn er das melden würde?

Die Haftanstalt ist genauso schräg dargestellt, wie der Rest des Films. Vom Gefühl her passt nichts richtig zusammen. Man ist regelrecht gezwungen, abzuwarten, ob sich am Ende alles logisch zusammenfügt. Bis dahin darf eine Menge über die grandiose Mimik der Darsteller und deren Hinterweltler-Akzente geschmunzelt werden.

Eine Gangsterkomödie mit Herz

Letztlich ist ›Logan Lucky‹ kein lupenreiner Gaunerfilm. Er zeigt einfache Menschen eines eigentlich uninteressanten Bundesstaats. Mit allen ihren Sorgen und Nöten. Unter der witzigen Oberfläche bietet der Film viele Denkanstöße. Vor allem die Sozialkritik fernab vom Weißen Haus kommt nicht zu kurz. Sei es durch die Darstellung der Kriegsversehrtheit und dessen Folgen oder die Zustände im Vorzeige-Gefängnis. Alle dargestellten Menschen sind vom Leben derart »gebeutelt« worden, dass man ihnen, noch bevor der Coup überhaupt startet, bereits jeden Cent gönnt.

›Logan Lucky‹ bietet feinste ironische Unterhaltung mit Starbesetzung und einem Soundtrack der nordirischen Techno-Eminenz David Holmes.

| ANNA NOAH

Titelangaben
Logan Lucky
Regie: Steven Soderbergh
Drehbuch: Rebecca Blunt
Darsteller/Cast:
Channing Tatum: Jimmy Logan
Adam Driver: Clyde Logan
Riley Keough: Mellie Logan
Katie Holmes: Bobbie Jo Logan Chapman
Daniel Craig: Joe Bang
Gastrolle: Hilary Swank
u.v.a.
Kamera: Howard Cumming
Musik: David Holmes

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ein Leben im Rückspiegel

Nächster Artikel

Folkdays … Blues im Gestern und Heute des Genres und Lebens

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Begegnungen der Warmherzigkeit

Film | Im Kino: Augenblicke – Gesichter einer Reise Wenn sich die 89jährige Agnès Varda mit dem 33jährigen Streetartist JR auf eine Reise durch ihre Heimat Frankreich begibt, kann das nur eins bedeuten: einen Film voller Kunst und Überraschungen. Und tatsächlich! Beide erkunden die Möglichkeiten der künstlerischen Zusammenarbeit verschiedener Generationen. Dabei entdecken sie nicht nur andere Menschen, sondern finden auch zueinander. ANNA NOAH freut sich über diese gelungene Dokumentation.

Filmemacher Peter Weiß

Film | Auf DVD: Peter Weiß – Filme Auf der Hülle der DVD steht: »Peter Weiss: Filme«. Auf dem Rücken aber steht: »Peter Weiss: Die Filme«. Das ist irreführend. Von THOMAS ROTHSCHILD

Die Unbeugsamen

Film | Fimfestival Mannheim-Heidelberg. Marine Place: Souffler plus fort que la mer Er habe, so Michael Kötz, künstlerischer Direktor des Fimfestivals Mannheim-Heidelberg, in seiner Begrüßung zur Aufführung von Souffler plus fort que la mer, nicht damit gerechnet, daß der kapitalismuskritische Film überhaupt noch lebe. Doch hier sei der Beleg für dessen Existenz. Er habe sich zwar geändert, sei poetischer geworden. Aber er lebe. Von DIDIER CALME

Eine Allegorie für sozial-revolutionäre Ordnungs-Systeme?

Film | Der Schacht 2

Der 2020 auf Netflix veröffentlichte Film ›Der Schacht‹ begeisterte Kritiker wie Zuschauer. Nun erschien der lang erwartete zweite Teil. Die Erwartungen waren hoch, ließ die Handlung des ersten Teiles doch Pre- und Sequels zu. Beide Teile sind schon rein stilistisch äußerst gut umgesetzte Horrorthriller. Vorliegend soll es aber nicht um eine Filmkritik gehen. Filme sind Kunst, und Kunst ist subjektiv. Hier nun geht es um den neutralen Blick des Medienhistorikers. Denn ›Der Schacht 2‹ vollbringt es innerhalb seiner 100 Minuten nicht nur eine dystopische Szenerie aufzubauen, sondern diese auch noch bis zum Rand mit komplexer – und in den meisten bisher veröffentlichten Besprechungen offensichtlich nicht verstandener – politischer Ideengeschichte zu füllen. Diese wird hier in den Blick genommen. Anspielungen auch jenseits des Subtextes finden sich zuhauf in Namen, Bezeichnungen und Weiterem, vor allem für die Französische Revolution und die Frühsozialisten. Historisch betrachtet können sie auch im Sinne der kommunistischen Systeme verstanden werden. Bei einer solchen Mehrschichtigkeit des Filmes empfiehlt es sich, den Streifen einmal vor und einmal nach dem Artikel zu sehen – empfiehlt Dr. DANIEL MEIS

»Mutig, wie ein schwuler James Bond«

Interview | Film | Im Kino: Tom of Finland. Interview mit dem Regisseur Dome Karukoski Dome Karukoskis Filmbiografie ›Tom of Finland‹ ist eine Hommage an die Ikone der queeren Popkultur. Pornografie, Camp oder Kunst – seine homoerotischen Zeichnungen sind ein wichtiger Teil der Schwulenbewegung. Der Film zeigt eine schillernde Coming-out-Geschichte, aus Dunkelheit und Unterdrückung zu Freiheit und Licht. Er ist finnischer Kandidat bei den Auslands-Oscars. SABINE MATTHES sprach mit Regisseur Dome Karukoski.