Mord im verschlossenen Raum

Roman | Adrian McKinty: Rain Dogs

Buch für Buch treibt Adrian McKinty seine Sean-Duffy-Reihe voran. ›Rain Dogs‹ ist bereits der fünfte Roman um den Mann, der aufgrund seiner katholischen Konfession als Bulle nicht so recht passen will in das Nordirland der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Von DIETMAR JACOBSEN

Dennoch geht Duffy Tag für Tag, nachdem er am Morgen die Unterseite seines Autos gründlich nach Bomben abgesucht hat, seinem Job als Detective Inspector beim Carrickfergus CID nach. Und schüttelt am Anfang seines neuen Abenteuers sogar dem großen Muhammad Ali die Hand.

Eine junge Journalistin liegt tot im Hof von Carrickfergus Castle. Lily Bigelow scheint sich in der das kleine irische Städtchen am Meer überragenden Burg in der Nacht vom Turm gestürzt zu haben. Nun wird sie zu einem weiteren Problem des »katholischen Bullen« Sean Duffy, den kurz zuvor bereits seine Freundin verlassen hat.

Wo er Letztere zur Not wiederfinden kann, weiß er freilich – und Adrian McKinty lässt ihn am Ende dieses fünften Romans einer Reihe, die von Buch zu Buch besser wird, sogar auf eine gemeinsame Zukunft zu dritt hoffen –, warum sich die ehrgeizige Journalistin der »Financial Times«, offensichtlich gerade einer tollen Geschichte auf der Spur, aber umgebracht haben sollte, ist ihm ein Rätsel.

Ein Mord – aber kein Mörder

Lange dauert es freilich nicht und die Selbstmordhypothese ist vom Tisch. Was die verkehrt herum angezogenen Schuhe des Opfers für den geübten Kriminalisten sofort nahelegten, bestätigt der Bericht des Gerichtspathologen: Lily Bigelow wurde erschlagen, ihr Körper unter dem Bergfried so abgelegt, dass auf den ersten Blick von einem Suizid auszugehen war. Nun aber stellt sich eine noch viel schwierigere Frage: Wer sollte die Frau ermordet haben, befand sie sich zum Zeitpunkt der Tat doch an einem Ort, der über Nacht auf keine Weise zugänglich war?

Sean Duffy kommt die Sache nur zu bekannt vor. Bereits zu einem früheren Zeitpunkt seiner Karriere hatte er es mit einem so genannten »locked room mystery« zu tun, einem verriegelten Pub, in dem die Leiche einer jungen Frau lag (nachzulesen im dritten Band der Reihe, ›Die verlorenen Schwestern‹, Deutsch 2015). Sollte es ein Zufall sein, dass einer der Männer, die damals dabei waren, als das Rätsel jenes verschlossenen Raums gelöst wurde, plötzlich als Chef einer Sicherheitsfirma wieder auftaucht und Duffy beharrlich für seine gut bezahlte Truppe anzuwerben sucht?

»Wahnsinn, Regen, Irland – passt alles zusammen«

Es ist eine kleine Wirtschaftsdelegation aus Finnland, die sich in Belfasts Nähe nach einem Standort umsieht, wo man zu günstigen Konditionen Mobiltelefone produzieren könnte. Und natürlich rollt man den zwei bejahrten Herren und ihren Begleitern überall, wo sie hinkommen, den roten Teppich aus. Wer will schon in ein Bürgerkriegsland investieren? Also bitte: Jeden Wunsch der Finnen als Befehl auffassen, dem unverzüglich nachzukommen ist. Und damit den Herren nichts passiert während ihres kurzen Aufenthaltes, lässt man sie Tag und Nacht beschützen von Angehörigen eben jenes Security-Unternehmens, an dessen Spitze Duffys alter Bekannter Anthony McIlroy steht. Als sich herausstellt, dass auch die Journalistin Lily Bigelow hinter einer brisanten Story her war, die mit den finnischen Investoren zu tun hatte, fangen die offenen Fragen schließlich an, sich selbst zu beantworten.

Adrian McKinty kommt von Buch zu Buch mit weniger Action aus. Diesmal bietet er seinen Lesern zwar einen prima showdown, aber bis dahin nimmt man teil an nervenaufreibender Polizeiarbeit, die immer wieder an Grenzen stößt. Korrupte Beamte bis in höchste Regierungsstellen Großbritanniens, Amtsmissbrauch auf allen Ebenen der Polizeihierarchie, Gewalt, die man in einem Land, in dem Mordanschläge an der Tagesordnung sind, wunderbar als politisch-religiös motivierte Taten tarnen kann – Sean Duffy bleibt bei seinem Bemühen, den Tod der einen veritablen Skandal witternden Journalistin aufzuklären, nichts erspart.

Bis in den kältesten Norden Finnlands muss er reisen, um einen Verdächtigen zu befragen. Und als er den berühmten Fernsehmoderator Jimmy Savile trifft, ahnt er nicht, dass derselbe Mann – der nichts von Kinderprostitution in einer Belfaster Jugendstrafanstalt, zu deren Aufsichtrat er gehört, gehört haben will – nach seinem Tod 2011, als einer der schlimmsten Sexualverbrecher in der Geschichte Großbritanniens gebrandmarkt werden sollte.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Adrian McKinty: Rain Dogs
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Berlin: Suhrkamp Verlag 2017
404 Seiten. 14,95 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Endlich geht’s bergab

Nächster Artikel

Masse ohne Effekt

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Messer in der Brust

Roman | Julia Jost: Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht

Wie mag es sich anfühlen, in den 80er und 90er-Jahren in der Kärntner Provinz aufzuwachsen, gerade da, Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht? Bitterböse, aber auch herrlich absurd und sarkastisch lässt Julia Jost die originelle Erzählstimme einer aus der Reihe tanzenden, sich jeglicher Zuordnung verwehrenden Elfjährigen aufleben. Von INGEBORG JAISER

Schwein auf Schwejk

Roman | Vladimir Sorokin: Manaraga. Tagebuch eines Meisterkochs Géza Jasnodworski kocht. Doch nur für die, die es sich leisten können. Denn Géza brutzelt und brät über bibliophilen Erstausgaben. Schnitzel über Schnitzler. Steak auf Joyce. Und Stör auf Dostojewski. Denn niemand liest mehr in der gar nicht so fernen Zukunft, in die Vladimir Sorokin den Leser in seinem neuen Roman entführt. Stattdessen plündert man die Bibliotheken und Museen für ultimative Geschmacksevents. Allein die Konkurrenz der neuen Starköche schläft nicht. Und kommt mit einem Produkt auf den Markt, das Géza und den Seinen das Wasser abzugraben droht. Von DIETMAR JACOBSEN

Stimmen aus dem Jenseits

Roman | Patrick Modiano: Unterwegs nach Chevreuse

»Bosmans hatte sich erinnert, dass ein Wort, Chevreuse, in der Unterhaltung immer wieder kehrte.« Mit diesem Satz eröffnet Literatur-Nobelpreisträger Patrick Modiano seinen neuen schmalen Roman. Jean Bosmans ist ein Alter Ego des 77-jährigen französischen Autors. Ein Schriftsteller, der die siebzig überschritten hat und sich an seine Kindheit am südlichen Stadtrand von Paris erinnert – im idyllisch gezeichneten und etwas aus der Zeit gefallenen Chevreuse-Tal. Von PETER MOHR

Ein Arbeitsunfall mit Folgen

Roman | Jo Lendle: Was wir Liebe nennen Was wir Liebe nennen – so heißt der neue Roman des frisch gekürten Hanser-Verlagschefs und Schriftstellers Jo Lendle, der mit seinen Geschichten zu fesseln versteht, diesmal in die Gestalt eines Zauberers schlüpft, mit allerlei Motiven jongliert, den Drahtseilakt über Kontinente hinweg wagt und sein Publikum in den Bann zu ziehen versteht. Manchmal mit doppelbödigen Tricks – findet HUBERT HOLZMANN.

Auszug aus der Einbahnstraße

Roman | Markus Öhrlich: Die beste erstbeste Gelegenheit Den komprimierten Roman Die beste erstbeste Gelegenheit von Markus Öhrlich hat STEFAN HEUER für TITEL kulturmagazin gelesen. Hier seine Leseerlebnisse.