//

Die Krake des Kapitalismus

Gesellschaft | Jakob Weiss: Die Schweizer Landwirtschaft stirbt leise

Wir werden auf den Teppich geholt, und Jakob Weiss ist nicht der erste, der die größenwahnsinnigen Impulse des Menschen, über die Natur regieren zu wollen, ins Visier nimmt. Qua Einblick in schweizerische Verhältnisse werden wir auf grundlegende Probleme der Landwirtschaft gestoßen. Von WOLF SENFF

9783280056516 Die Schweizer Landwirtschaft stirbt leiseNein, es geht diesmal nur am Rande um Gülle und Massentierhaltung. Für die Landwirtschaft zieht Jakob Weiss eine unmissverständliche rote Linie – das bäuerliche Wirtschaften sei mit den Erfordernissen und Abläufen der gegenwärtigen kapitalistischen Ökonomie unvereinbar.

Industrialisierte Landwirtschaft

Das ist nicht unbedingt eine neue Erkenntnis, nur scheint diese Nachricht sich bislang nicht hinreichend herumgesprochen zu haben. Die Lage ist einigermaßen verwirrend. Denn auch mit sauberer Luft und mit reinem Wasser, man weiß das ja längst, ist kapitalistische Ökonomie nicht vereinbar.

Für eine Landwirtschaft, der industrielle Strukturen verordnet wurden, gelten die Prinzipien der Mechanisierung und Rationalisierung, also: Betriebsfläche vergrößern, Produktion steigern, Arbeitskräfte einsparen, Maschinen kaufen. Seit 1950 ging in der Schweiz die Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe von 200.000 auf rund 50.000 zurück, der Anteil der bäuerlichen Bevölkerung von sechzehn auf rund drei Prozent der Gesamtbevölkerung.

Absurde Realität

Jakob Weiss zeigt, dass sich diese Agrarindustrie in eine Sackgasse manövriert hat. Laut Verfassung obliege der Landwirtschaft, dass sie »einen wesentlichen Beitrag« zur sicheren Versorgung der Bevölkerung leiste. Aufgabe von Landwirtschaft sei, uns Energie in Form von Lebensmitteln zu liefern.

Die gegenwärtige industrialisierte Agrarwirtschaft verbrauche jedoch allein durch das eingekaufte Erdöl, Heizöl und Gas weit mehr Energie, als die Früchte des Bodens dann liefern. Eine solche Situation sei absurd, das Wort ›Nachhaltigkeit‹ erweise sich in diesem Zusammenhang als blanker Hohn.

Veränderung und Umbruch

Auch wenn die Empörung über diese Zustände in dieser Publikation oft unüberhörbar ist – Jakob Weiss geht dem Übel an die Wurzel, er fordert einen neuen sprachlichen Umgang, und seinen Überlegungen ist kaum zu widersprechen. Offensichtlich müssen wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass die Krake des Kapitalismus all unsere Lebensbereiche kontaminiert und dass wir sie mit gut gemeinten Reformen nicht wieder loswerden. Sogar eine so stabile Nation wie die Schweiz ist aufgefordert, über Veränderungen nachzudenken.

Die Zeiten, in denen wir uns zurücklehnen durften, um die Ereignisse genüsslich aus der Ferne zu verfolgen, gehören der Vergangenheit an. Der Umbruch in den USA ist bereits einige Monate vorüber, die Wahlen in Großbritannien sind ein wichtiger Schritt zu einer grundlegenden Umgestaltung, und auch in Frankreich scheint man neue Wege gehen zu wollen.

| WOLF SENFF

Titelangaben
Jakob Weiss: Die Schweizer Landwirtschaft stirbt leise
Lasst die Bauern wieder Bauern sein
Zürich: orell füssli 2017
214 Seiten, 28 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Folkdays… Lambchop mit FLOTUS

Nächster Artikel

Knut Schaflinger: Texte

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

Nahöstliche Schrecken

Guido Steinberg: Kalifat des Schreckens. IS und die Bedrohung durch den islamistischen Terror Bis 2013 schien die arabische Welt noch ganz in Ordnung zu sein: der Irak und sein Öl waren trotz aller Unruhen fest in der Hand der USA, die vom Westen favorisierte Fraktion der Assad-Gegner gewann in Syrien an Boden, in Ägypten und Libyen waren besonders beunruhigende Figuren beseitigt. Das hat sich radikal geändert mit der schnellen Ausbreitung des IS. Guido Steinberg von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik will in ›Kalifat des Schreckens‹ zeigen, wie es dazu kam. Von PETER BLASTENBREI

Der Einsturz des Himmels‹ in der Musik

Musik | Ethno und Neue Musik featuren Themen wie Regenwald und Amazonasgebiet Durch europäische Neue Musik transformierte Klänge indigener Bevölkerung, der Natur und des Klimas – Zwei Musikprojekte über den Regenwald: Martina Eisenreich mit ›Rainforest‹ im Jahr 2016 und die Biennale München mit der ›Amazonas-Multimedia-Oper‹ aus dem Jahr 2010. Von TINA KAROLINA STAUNER

Revolutionäre des 20. Jahrhunderts

Kulturbuch | Felix Wemheuer: Linke und Gewalt Gewaltdiskussion? Hat das nicht so’n Bart? Die Welt steckt voller Gewalttätigkeit. »Der reißende Strom wird gewalttätig genannt / Aber das Flußbett, das ihn einengt / Nennt keiner gewalttätig.« (Bertolt Brecht). Ist damit alles gesagt? Nicht? »Nichts auf Erden ist so weich und schwach / Wie das Wasser. / Dennoch im Angriff auf das Feste und Starke / Wird es durch nichts besiegt.« (Lao-tse) Auch nicht? Hm. Von WOLF SENFF

Sie wissen weder ein noch aus

Gesellschaft | Peter & Sabine Ansari: Unglück auf Rezept Für den Außenstehenden ist die Lektüre erschütternd. Man wird das Buch mehrfach beiseitelegen und einen Tag abwarten, bevor man es wieder aufschlägt. Zum Glück gibt es ein Kapitel ›Alternative Behandlungsmöglichkeiten‹. Von WOLF SENFF

Philosophie als Lebenskunst

Gesellschaft | Gerhard Ernst (Hg.): Philosophie als Lebenskunst ›O selig dreimal, wer in Darmes Tiefen blickt! Wie leicht entgeht er vor Gericht den Gläubigern, Wer so der Schnacke Darmkanal ergründet hat!‹ So ruft Strepsiades in Aristophanes Komödie ›Die Wolken‹ aus. Der alte Bauer hat Geldprobleme, die Frau suhlt sich im Luxus, der Sohn interessiert sich mehr für teure Pferde als für den Erhalt des väterlichen Vermögens. Alles in allem eine Situation, die im 4. Jahrhundert vor Christi genauso vertraut ist wie heute. Von JULIAN KÖCK