Kein Plan, nirgends

Jugendbuch | Badey/Kühn: Strom auf der Tapete

Manchmal will man sich einfach nicht mehr damit abfinden, dass wichtige Fragen nicht beantwortet werden. Losziehen und die Antwort selbst finden, ist das Nächstliegende. Wenn aber kein Plan für die Suche vorliegt, sind die Folgen unabsehbar. Ron Robert hat’s erlebt. Von MAGALI HEISSLER

Badey - Strom auf der Tapete 9783407822116Ron Robert will es wissen. Es ist sein siebzehnter Geburtstag und er hat ein Recht darauf, endlich zu erfahren, wer sein Vater ist. Mutter Peggy weicht auch dieses Mal aus, freilich mit einem Manöver, das Ron Robert aus der Fassung bringt. Dabei ist Fassung bitter nötig, denn Peggy hat ein Alkohol- und Männerproblem, eng verbunden mit einem Jugendamt-, Geld– und Nachbarschaftsproblem.

Peggys Schwierigkeiten betreffen naturgemäß auch Ron Robert. Deswegen ist es doppelt ungerecht, dass er unvermutet Clara am Hals hat, mitsamt ihrem Rollstuhl und der scharfen Zunge. Im Unterschied zu ihm hat Clara einen Plan. Der ist allerdings auf ein ureigenes Ziel gerichtet, Ron Robert ist bloß Mittel zum Zweck. Klar, dass Plan und Planlosigkeit kollidieren – und zwar an allen Fronten. Was dadurch ins Rollen kommt, ist nicht nur ein gewisses Cabrio, schneeweiß, mit roten Lederpolstern. Wohin die Reise geht, weiß niemand.

Romantik, zeitgemäß hingebürstet

Die Geschichte funkelt wie frisch gefallener Schnee im Sonnenlicht, wie Schnee ist sie aber alles andere als neuartig. Alle Ingredienzien einer Sozialschnulze sind da, abgesehen von der sehr zart gezeichneten Liebesgeschichte zwischen den Jugendlichen. Das spricht auf jeden Fall für das Buch. Der Rest, nun ja.

Alleinerziehende junge Mutter mit Rosinen statt Verstand im Kopf, ein Sohn, der viel zu früh die Erwachsenenrolle übernehmen muss. Ein reiches armes Mädchen. Villa und Hochhauswohnung, perfekt gestylt die eine, ungeputzt die andere, versteht sich. Spitze Zunge versus mangelnde Beredsamkeit. Kultiviertheit und Trash. Der Ausbruch aus dem Alltag, der zum Befreiungsschlag werden soll, die ach so tiefen Erkenntnisse, die unterwegs aufsprießen. Und natürlich haben alle, alle im Grund ein goldenes Herz. Romantik, wohin man liest.

Dass überhaupt nichts Neues vorkommt in dieser Geschichte, wird versiert übertüncht mit den Kniffen, die gerade als zeitgemäß gelten. Skurrile Figuren und bizarre Situationen zuhauf, dazu eine Menge Jargon der Art, die Erwachsene für Jugendsprache halten und kein Teenager ernsthaft in den Mund nehmen würde. Die Lektüre macht das vergnüglich, Emotionen werden angesprochen, der Verstand ist derweil im Ruhemodus. Man kann entspannt träumen, während alle Klischees vom Leben in der Provinz ostwärts hinter Frankfurt/Oder an einer vorbeiziehen. Dass es für einmal Winter ist, macht die Sache kaum prickelnder.

Bitte keine Fragen

Die jugendlichen Hauptfiguren sind nicht uninteressant angelegt. Leider können die Autorinnen nicht recht entscheiden, wie ernst sie diese nehmen wollen. Ron Robert wird zunächst als jemand mit größeren psychischen Problemen beschrieben, dann aber zu einem handelsüblichen Teenager verwässert, unreif, unfertig, der schon auf leichtes Zureden seine ganze Liebenswürdigkeit offenbart. Hin und wieder wird Clowneskes angedeutet; die Namenswahl ist auch nicht eben glücklich, will man einen ernst zu nehmenden Helden.

Clara wirkt stärker, versinkt in der zweiten Hälfte aber im Burlesken. Der Ausbruch kurz vor dem Ende, ein großer Knall, wirkt nicht schlüssig, sondern nur theatralisch, die Beschreibung grenzt ans Peinliche. Alle anderen Personen sind aus wenigen altbekannten Versatzstücken zusammengesetzt, von der Obdachlosen bis zum alten Hofbesitzer. Eine echte Figurenzeichnung vermisst man. Was man bekommt, sind Figuren wie man sich vorstellt, wie sie zu sein haben. Sie haben keinen Charakter, sie haben nur Eigenschaften.

Die Verweise auf das Schneewittchen-Märchen deuten eine komplexere Geschichte an, darauf wartet man aber vergebens. Was geboten wird, ist Identifikation mit dem Vertrauten, kein Aufbrechen, nicht einmal ein dünner Riss wird erlaubt. Die aufgestellte Wand ist sehr glatt.

Fragt man sich, worum es geht in dieser Geschichte, bleibt man ratlos zurück. Die Abfolge seltsamer Handlungsweisen hat keine tiefergehenden Folgen über die rein privaten Empfindungen der Figuren hinaus. Die Welt da draußen gibt es eigentlich nicht, jede und jeder wurstelt vor sich hin auf der Suche nach der persönlichen Erfüllung, offenbar das Wichtigste im Erdenrund. Die Folgen solchen Verhaltens sind nicht wichtig genug, um von ihnen zu erzählen. Findet man die persönliche Erfüllung gerade mal nicht, findet man etwas anderes Schönes.
Ein bisschen schlicht, das alles. Na, Hauptsache lustig. Isso, oder?

| MAGALI HEISSLER

Titelangaben
Badey/Kühn: Strom auf der Tapete
Weinheim: Beltz & Gelberg 2017
180 Seiten, 12,95 Euro.
Jugendbuch ab 14 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Aural Stimulation For Distracted Minds

Nächster Artikel

An die Töpfe, fertig, los!

Weitere Artikel der Kategorie »Jugendbuch«

Zwei Wege

Jugendbuch | Ingo Haeb: Ingrid und Paul

Ingrid und Paul sind Geschwister, die während des Nationalsozialismus heranwachsen. Wir begleiten ihren Weg von 1933, der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler bis zum Kriegsende 1945. Beeindruckend und wichtig findet ANDREA WANNER diese Graphic Novel.

Zu viele Worte

Jugendbuch | Katherine Catmull: Vogelherz Wenn die Eltern sich trennen, leiden auch die Kinder. Jung, wie sie sind, trifft es sie besonders tief. Eines solche Geschichte wird hier ins Märchenhaft-Fantastische gewendet erzählt. Allerdings macht die US-amerikanische Autorin Katherine Catmull in ihrem Debütroman Vogelherz viel zu viele Worte darum. Von MAGALI HEISSLER

Die Deckung aufgeben

Jugenbuch | Rusalka Reh: back to blue Deckung ist Schutz, das lernen Kinder schnell, wenn ihre engste Umgebung gefährlich ist. Sind sie Teenager, ist ihnen das Deckung suchen in Fleisch und Blut übergegangen, mehr noch, sie finden es normal. Auf dem Weg zum Erwachsenwerden ist Wegducken aber schädlich, denn es bedeutet, dass man auf das verzichtet, was man sich sehnlich wünscht. Das Schreiben z.B. Oder die große Liebe. Welche bösen Konflikte daraus entstehen können, erzählt Rusalka Reh in back to blue. Von MAGALI HEISSLER

Getrübte Wahrnehmung

Jugendbuch | Sina Flammang: Mädchen aus Papier Ein Schock kann dazu führen, dass man weder sich noch die Umgebung realistisch wahrnimmt. Das eigene Verhalten ändert sich dementsprechend. Sina Flammang erzählt eine solche Geschichte nicht nur von einem, sondern gleich von mehreren Teenagern, die infolge eines Schocks seelisch verletzt sind. Von MAGALI HEIẞLER

Zwei rechts, zwei links…

Jugendbuch | T.S. Easton: Ben Fletchers total geniale Maschen Handarbeiten sind wieder in, strickende Jungs dagegen – obwohl »male knitting« durchaus ein Trend ist, dann doch eher die Ausnahme. Und wenn das Stricken dann in einem durch und durch machohaften Umfeld stattfindet, kann es ganz schön schwierig werden. ANDREA WANNER begleitet Ben Fletcher bei seinen ersten Maschen.