Jugendbuch | Badey/Kühn: Strom auf der Tapete
Manchmal will man sich einfach nicht mehr damit abfinden, dass wichtige Fragen nicht beantwortet werden. Losziehen und die Antwort selbst finden, ist das Nächstliegende. Wenn aber kein Plan für die Suche vorliegt, sind die Folgen unabsehbar. Ron Robert hat’s erlebt. Von MAGALI HEISSLER
Ron Robert will es wissen. Es ist sein siebzehnter Geburtstag und er hat ein Recht darauf, endlich zu erfahren, wer sein Vater ist. Mutter Peggy weicht auch dieses Mal aus, freilich mit einem Manöver, das Ron Robert aus der Fassung bringt. Dabei ist Fassung bitter nötig, denn Peggy hat ein Alkohol- und Männerproblem, eng verbunden mit einem Jugendamt-, Geld– und Nachbarschaftsproblem.
Peggys Schwierigkeiten betreffen naturgemäß auch Ron Robert. Deswegen ist es doppelt ungerecht, dass er unvermutet Clara am Hals hat, mitsamt ihrem Rollstuhl und der scharfen Zunge. Im Unterschied zu ihm hat Clara einen Plan. Der ist allerdings auf ein ureigenes Ziel gerichtet, Ron Robert ist bloß Mittel zum Zweck. Klar, dass Plan und Planlosigkeit kollidieren – und zwar an allen Fronten. Was dadurch ins Rollen kommt, ist nicht nur ein gewisses Cabrio, schneeweiß, mit roten Lederpolstern. Wohin die Reise geht, weiß niemand.
Romantik, zeitgemäß hingebürstet
Die Geschichte funkelt wie frisch gefallener Schnee im Sonnenlicht, wie Schnee ist sie aber alles andere als neuartig. Alle Ingredienzien einer Sozialschnulze sind da, abgesehen von der sehr zart gezeichneten Liebesgeschichte zwischen den Jugendlichen. Das spricht auf jeden Fall für das Buch. Der Rest, nun ja.
Alleinerziehende junge Mutter mit Rosinen statt Verstand im Kopf, ein Sohn, der viel zu früh die Erwachsenenrolle übernehmen muss. Ein reiches armes Mädchen. Villa und Hochhauswohnung, perfekt gestylt die eine, ungeputzt die andere, versteht sich. Spitze Zunge versus mangelnde Beredsamkeit. Kultiviertheit und Trash. Der Ausbruch aus dem Alltag, der zum Befreiungsschlag werden soll, die ach so tiefen Erkenntnisse, die unterwegs aufsprießen. Und natürlich haben alle, alle im Grund ein goldenes Herz. Romantik, wohin man liest.
Dass überhaupt nichts Neues vorkommt in dieser Geschichte, wird versiert übertüncht mit den Kniffen, die gerade als zeitgemäß gelten. Skurrile Figuren und bizarre Situationen zuhauf, dazu eine Menge Jargon der Art, die Erwachsene für Jugendsprache halten und kein Teenager ernsthaft in den Mund nehmen würde. Die Lektüre macht das vergnüglich, Emotionen werden angesprochen, der Verstand ist derweil im Ruhemodus. Man kann entspannt träumen, während alle Klischees vom Leben in der Provinz ostwärts hinter Frankfurt/Oder an einer vorbeiziehen. Dass es für einmal Winter ist, macht die Sache kaum prickelnder.
Bitte keine Fragen
Die jugendlichen Hauptfiguren sind nicht uninteressant angelegt. Leider können die Autorinnen nicht recht entscheiden, wie ernst sie diese nehmen wollen. Ron Robert wird zunächst als jemand mit größeren psychischen Problemen beschrieben, dann aber zu einem handelsüblichen Teenager verwässert, unreif, unfertig, der schon auf leichtes Zureden seine ganze Liebenswürdigkeit offenbart. Hin und wieder wird Clowneskes angedeutet; die Namenswahl ist auch nicht eben glücklich, will man einen ernst zu nehmenden Helden.
Clara wirkt stärker, versinkt in der zweiten Hälfte aber im Burlesken. Der Ausbruch kurz vor dem Ende, ein großer Knall, wirkt nicht schlüssig, sondern nur theatralisch, die Beschreibung grenzt ans Peinliche. Alle anderen Personen sind aus wenigen altbekannten Versatzstücken zusammengesetzt, von der Obdachlosen bis zum alten Hofbesitzer. Eine echte Figurenzeichnung vermisst man. Was man bekommt, sind Figuren wie man sich vorstellt, wie sie zu sein haben. Sie haben keinen Charakter, sie haben nur Eigenschaften.
Die Verweise auf das Schneewittchen-Märchen deuten eine komplexere Geschichte an, darauf wartet man aber vergebens. Was geboten wird, ist Identifikation mit dem Vertrauten, kein Aufbrechen, nicht einmal ein dünner Riss wird erlaubt. Die aufgestellte Wand ist sehr glatt.
Fragt man sich, worum es geht in dieser Geschichte, bleibt man ratlos zurück. Die Abfolge seltsamer Handlungsweisen hat keine tiefergehenden Folgen über die rein privaten Empfindungen der Figuren hinaus. Die Welt da draußen gibt es eigentlich nicht, jede und jeder wurstelt vor sich hin auf der Suche nach der persönlichen Erfüllung, offenbar das Wichtigste im Erdenrund. Die Folgen solchen Verhaltens sind nicht wichtig genug, um von ihnen zu erzählen. Findet man die persönliche Erfüllung gerade mal nicht, findet man etwas anderes Schönes.
Ein bisschen schlicht, das alles. Na, Hauptsache lustig. Isso, oder?
Titelangaben
Badey/Kühn: Strom auf der Tapete
Weinheim: Beltz & Gelberg 2017
180 Seiten, 12,95 Euro.
Jugendbuch ab 14 Jahren
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