Geraubte Träume

Jugendbuch | Cherie Dimaline: Traumdiebe

Der 16jährige Frenchie ist mit einer Gruppe von wenigen Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen auf der Flucht durch Kanada, gnadenlos gejagt von den Traumdieben. Von ANDREA WANNER

Die Traumdiebe von Cherie DimalineCherie Dimalines Dystopie war auf Platz eins der kanadischen Bestsellerliste und webt die Geschichte der kanadischen Ureinwohner und eine schreckliche Zukunft zu einem packenden Roman. Dimaline selbst gehört zu den Métis, den Nachfahren europäischer Pelzhändler und Frauen indianischer Abstammung und beton, sie wolle als Autorin indigener Geschichten anerkannt werden und nicht als kanadische Schriftstellerin.

So beginnt die Geschichte damit, wie Frenchie, der mit seinem älteren Bruder Mitch unterwegs ist, als letztes Familienmitglied auch ihn an die Anwerber verliert. Die wenigen überlebenden Ureinwohner der Klimakatastrophe, zu denen auch Frenchies Familie gehörte, werden gejagt, weil sie als einzige Menschen die Fähigkeit zu träumen nicht verloren haben.

Sie werden gefangen und in Sammelzentren gebracht, wo ihnen ihr Knochenmark entnommen wird. So lautet auch der treffendere Originaltitel der 2017 erschienen Geschichte: ›The Marrow Thieves‹, die Knochenmarkdiebe, die besser darauf einstimmt, dass es in diesem Buch teilweise äußerst brutal und grausam zugeht.

Frenchie kämpft sich allein durch die Welt, bis er sich einer Gruppe anschließt, die seine neue Familie wird. Ihr Ziel ist der Norden, wo es sicherer sein soll. Und die jungen Menschen lernen auf diesem Weg alles, was sie zum Überleben brauchen, vor allem aber im Einklang mit der Natur zu leben, diese als wertvoll zu achten und nicht auszubeuten.

Die Reise umfasst mehrere Jahre, die Schicksale der Gruppe werden als eigene kleine Erzählungen eingearbeitet und auch das Schicksal der kanadischen Ureinwohner in der Vergangenheit wird immer wieder thematisiert. Diese Form der Vergangenheitsbewältigung stößt natürlich in Kanada auf größeres Interesse als in Europa. Dennoch ist Frenchies Geschichte in Zeiten, in denen die Klimaveränderungen für alle ein Thema sind, mehr als nur ein Stück Landeskunde mit düsterem Zukunftsentwurf.

Es zeigt die Willensstärke, die notwendig ist, um auch unter extremen Bedingungen zu überleben. Es beweist, dass sich der Glaube an eine bessere Zukunft immer lohnt und dass jede und jeder etwas dazu beitragen können. Es liest sich an manchen Stellen wie ein Abenteuerroman, geht aber weit darüber hinaus. Es betont die Wichtigkeit, dass Alte und Junge zusammenhalten und voneinander lernen. Und ganz nebenbei erzählt es auch eine Liebesgeschichte, oder eigentlich sogar zwei.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Cherie Dimaline: Traumdiebe
(The Marrow Thieves, 2017), aus dem kanadischen Englisch von Stefanie Frida Lemke
München: heyne fliegt 2020
304 Seiten, 15 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Tilman träumt

Nächster Artikel

Erntezeit

Weitere Artikel der Kategorie »Jugendbuch«

Warum nur, warum?

Jugendbuch | S. Munk Jensen; G.Ringtved: Wir wollten nichts. Wir wollten alles Es gibt Schicksalsschläge, die existenzielle Fragen aufwerfen. Warum nur ist geschehen, was geschehen ist? Eindeutig zu beantworten ist das nicht. Das hat seine eigene Tragik, eine echte, schließlich hängt es mit dem Leben zusammen. Dann gibt es Bücher, die existenzielle Fragen aufwerfen. Warum nur wurden sie geschrieben? Wie immer die Antworten lauten mögen, nichts davon ist tragisch. Schließlich wäre es vermeidbar gewesen. Von MAGALI HEISSLER

Ein Wintermärchen

Jugendbuch | Abiola Bello: Love in Winter Wonderland

Wonderland, eine kleine Buchhandlung mitten in London, die seit drei Generationen in Familienbesitz ist, steht kurz vor der Pleite. Es sind noch genau siebzehn Tage bis Weihnachten – und es bräuchte ein Wunder. Aber zu Weihnachten sind die ja bekanntlich möglich, findet ANDREA WANNER.

Schräge Vögel – ganz normal

Jugendbuch | Endre Lund Eriksen: Der Sommer, in dem alle durchdrehten Manchen Gedanken geht man am besten hinter verschlossenen Türen nach. Die sicherste Tür dafür ist wohl die der Toilette. Endre Lund Eriksen bietet seinem jungen Helden diese Sicherheit. Aber sie ist trügerisch. Wie so vieles im Leben. Von MAGALI HEIẞLER

Verschwommenes

Jugendbuch | Anne-Laure Bondoux: Von Schatten und Licht Märchen haben sich Menschen von jeher erzählt. Im Lauf der Jahrtausende änderte sich ihre Bedeutung, manchmal waren sie wichtig, manchmal weniger, sie wurden gefördert oder verteufelt. Da sind sie immer noch und in letzter Zeit erfreulicherweise wieder häufiger. Bloß sollte nicht übersehen werden, dass Märchen, gleich, wie fantastisch sie daherkommen, im Kern eng an die jeweilige Lebensrealität ihres Publikums gebunden sind. Bondoux hat das ihrem neuesten Roman, einem Märchen, nicht beachtet und präsentiert Verschwommenes. Von MAGALI HEISSLER

Mädchen, Junge – was ist das?

Jugendbuch | Lisa Williamson: Zusammen werden wir leuchten Nachdem sich, zögernd und über viel zu viele Jahre, das Thema Homosexualität ins Mainstream-Jugendbuch geschlichen hat und dort seither ein bescheidenes Plätzchen verteidigt, scheint der Zeitpunkt gekommen, die Fußspitze noch ein Stück weiter über die Grenzlinie zu bewegen. »Transgender« lautet das neueste Schlachtgeflüster in dem deutlich unverändert hochsensiblen Marktsegment. Lisa Williamson war mit ihrem Jugendroman zum Thema im letzten Jahr in England erfolgreich genug, dass es ihr eine Übersetzung ins Deutsche eingebracht hat. Verdient oder unverdient, das ist die Frage. Von MAGALI HEISSLER