/

Mörderisches Flickwerk

Roman | Daniel Cole: Ragdoll

Je einen Körperteil von sechs Leichen hat ein Mörder benutzt, um eine grauenvolle Flickenpuppe, eine »Ragdoll«, zusammenzunähen und sie der Londoner Polizei in einer gespenstischen Performance zu präsentieren. Aber damit nicht genug: Der Psychopath kündigt über die Medien weitere sechs Morde an. DIETMAR JACOBSEN hat ›Ragdoll‹ von Daniel Cole gelesen.

Cole - Ragdoll 9783548289199Der Mörder ist sich seiner Sache so sicher, dass er nicht nur die Namen der Opfer verrät, sondern auch die Tage, an denen sie einer nach dem anderen sterben sollen. Viel Arbeit für William Oliver Layton-Fawkes – den Topmann der Mordkommission – und seine Kollegen. Zumal Wolf, wie man den erst kürzlich in den Polizeidienst Zurückgekehrten nennt, selbst auf der Todesliste des Killers steht – und zwar als Letzter.

Eigentlich war er schon draußen: vom Dienst suspendiert, körperlich am Ende und für Monate in eine Anstalt weggesperrt. William Oliver Layton-Fawkes, kurz Wolf genannt, hatte sich nach dem skandalösen Freispruch für einen von ihm selbst dingfest gemachten Serienkiller noch im Gerichtssaal von Old Bailey auf den Mann gestürzt, um ihn mittels Selbstjustiz endgültig aus dem Verkehr zu ziehen. Allein der »Feuerbestatter« genannte Psychopath, der seine Opfer, 27 blutjunge Prostituierte, erst sediert und dann bei lebendigem Leib verbrannt hatte, überlebt den Angriff des Polizisten. Um nur kurze Zeit später erneut zuzuschlagen

Der lange Schatten des »Feuerbestatters«

Allein als die Bestie in der Haft an einer Lebensmittelvergiftung stirbt, ist die Sache noch lange nicht ausgestanden. Denn die aus den Leichenteilen von sechs Opfern zusammengenähte »Ragdoll«, vor der schockierte Londoner Polizisten eines Tages stehen, hängt genau gegenüber von Layton-Fawkes Wohnung marionettengleich in einem Fenster und zeigt anklagend mit dem Finger über die Straße. Zufall oder gespenstische Absicht? Und wer könnte es dem Polizisten verübeln, dass er die letzte Tat des »Feuerbestatters« nicht verhindert hat, indem er ihn vorher tötete?

Als zeitgleich der Presse eine Todesliste zugespielt wird, auf der sich nicht nur sechs Namen finden, sondern bei jedem auch der Zeitpunkt seines gewaltsamen Todes, wird Coles Held in den Dienst zurückgeholt. Denn er ist nicht nur der Einzige, dem seine Vorgesetzten zutrauen, das prophezeite Unheil zu verhindern, sondern steht auch selbst als Letzter auf jener Liste, mit der ausgerechnet seine Ex-Frau ihrer Karriere als Star-Reporterin Flügel zu verleihen gedenkt.

Faustische Morde

Was dann beginnt, ist das nicht ungeschickt arrangierte, temporeiche, aber inzwischen aus unzähligen Büchern und Filmen nur zu bekannte Wettrennen zwischen einem Täter, der den ihn Verfolgenden immer um eine Nasenlänge voraus ist, und Polizisten, die versuchen, Taten zu verhindern, die letztlich nicht verhindert werden können.

Daniel Cole (Jahrgang 1984) hat mit ›Ragdoll‹ im Thrillerfach debütiert. Für zwei weitere Romane um den unkonventionellen Ermittler Layton-Fawkes hat ihn sein Heimatverlag bereits verpflichtet. Und natürlich sind auch die Fernsehrechte vergeben. Mit Conny Lösch wurde zudem eine der Besten ihres Fachs für die deutsche Übersetzung gewonnen. Dafür, dass der Roman auch hierzulande viele Leser finden wird, braucht es bei all diesen Voraussetzungen mit Sicherheit keine Propheten.

Und doch bleibt abschließend anzumerken: Mehr als ein weiterer Versuch, dem Genre mit einem noch böseren, noch diabolischeren – wozu auch passt, dass bei Cole keine »normal«-brutalen sondern »faustische« Morde begangen werden –, noch albtraumhafteren und noch angsteinflößenderen Täter zu einem neuen Höhepunkt zu verhelfen, ist ›Ragdoll‹ leider nicht. Um den Serienkillerroman auf ein neues, pfiffiges Level zu heben, ist das freilich noch zu wenig.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Daniel Cole: Ragsdoll
Aus dem Englischen von Conny Lösch
Berlin: Ullstein Verlag 2017
477 Seiten. 14,99 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Lebensbedrohlich

Nächster Artikel

Ein Freund, ein guter Freund…

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Spreu vom Weizen

Film | Im TV: Polizeiruf 110 – Käfer und Prinzessin (RBB), 6. April Das Landleben ist auch nicht mehr, wie’s mal war. Ort der Handlung: Ein Öko-Bauernhof, bewirtschaftet von einer Landkommune. Wie rücksichtsvoll, dass die Leiche in der Jauchegrube des Nachbarhofs auftaucht. »Ach du lieber Himmel. Ist ja furchtbar«, sagt Horst Krause (Horst Krause) beim Anblick der Leiche. Er hat ja völlig recht. Lange Zeit ist nicht geklärt, ob es sich um einen Mord oder um fahrlässige Tötung handelt, doch Olga Lenski (Maria Simon) und Horst Krause ermitteln in alle Richtungen, das ist tröstlich. Von WOLF SENFF

Zeit der Reue

Roman | Arnaldur Indriðason: Tiefe Schluchten

Zum dritten Mal macht sich Arnaldur Indriðasons pensionierter Polizist Konráð auf die Suche nach einem verschwundenen Menschen. Wie in den beiden Vorgängerromanen der Reihe - Verborgen im Gletscher (2017, deutsch 2019) und Das Mädchen an der Brücke (2018, deutsch 2020) – wird er auch diesmal von seiner Ex-Kollegin Marta unterstützt. Die ist meist wenig begeistert, wenn sich Konráð in ihre Arbeit einmischt. Doch weil sie diesmal am Schauplatz eines Mordes einen Zettel mit seiner Telefonnummer findet, versucht sie natürlich herauszufinden, was dahintersteckt, ohne zu ahnen, in welche Tragödie ihr Anruf sie und ihren ehemaligen Kollegen verwickelt. Von DIETMAR JACOBSEN

Tief im dunklen Wald

Jugendbuch | Lucy Christopher: Kiss me, kill me Im Wald wird ein Mädchen getötet. Der Täter ist schnell gefunden und gesteht seine Tat. Es geht nur noch darum, ob Emilys Vater wirklich schuldfähig ist. Ein Thriller, der an dunkle Orte und in Abgründe führt. Von ANDREA WANNER

Utopische Unschuld

Roman | Gunnar Danckert: Mokka Noir Die junge, hübsche Frau betrat ein Büro, in welchem sie sich über vieles wundern sollte. Da war zum Beispiel die Unbekümmertheit des Privatdetektiven, der ein allzu intimes Verhältnis zu seinem Flachmann pflegte, oder dessen Angewohnheit, seine Gehaltsforderungen aus Chandler-Romanen zu rezitieren, oder auch der befremdliche Umstand, dass eine Kochplatte in seinen Tisch eingebaut war. Über eines aber wunderte sich die junge, hübsche Frau nicht: dass der Privatdetektiv Jimmy Risiko ein Hase zu sein beliebte. Von JULIAN KÖCK

Reiko Himekawa ermittelt

Roman | Tetsuya Honda: Blutroter Tod In Japan hatte sie bereits acht Auftritte. Weitere sind geplant. Die deutschen Leser lernen Reiko Himekawa jetzt mit zehnjähriger Verspätung in Tetsuya Hondas (Jahrgang 1969) Roman Blutroter Tod kennen. In ihrem ersten Fall bekommt es die blitzgescheite Ermittlerin der Tokioter Mordkommission gleich mit elf Leichen zu tun. Alle scheinen sie Opfer eines perversen Rituals zu sein – einer Todesshow, die so lange einmal pro Monat weitergehen wird, bis man ihren Organisatoren das Handwerk gelegt hat. Von DIETMAR JACOBSEN