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Und die Großen lässt man laufen

Krimi | Denise Mina: Blut Salz Wasser

Alex Morrow arbeitet als Detective Inspector bei der schottischen Polizei in Glasgow. In ihrem fünften Fall, dem einer vermissten Frau, führt sie eine Spur in die Kleinstadt Helensburgh. Dass die im nahen Loch Lomond treibende Frauenleiche nicht die gesuchte Roxanna Fuentecilla ist, aber mit dem Fall von Drogengeld, das Fuentecilla nach Schottland geschafft hat, damit es über Immobiliengeschäfte gewaschen werden kann, zu tun hat, wird nach und nach klar. Von DIETMAR JACOBSEN

Mina - Blut Salz WasserBeunruhigend ist auch, dass der örtliche Drogenboss sich gerade im Ausland aufhält – aus Helensburgh verschwinden tut er nämlich gewöhnlich nur dann, wenn er ein Alibi braucht. Dazu kommt noch die aufgeregte Stimmung vor dem anstehenden schottischen Unabhängigkeitsreferendum – man schreibt den August 2014 – und fertig ist einer jener ungewöhnlichen, seine Handlungsfäden geschickt miteinander verwebenden Kriminalromane, für die die hierzulande noch relativ unbekannte Denise Mina vielfach preisgekrönt wurde.

Keiner – außer ein paar Kindern und zwei Großmüttern –, der in diesem Roman der schottischen Autorin Denise Mina, ihrem zwölften, nicht irgendwie Dreck am Stecken hat. Drogenhändler, Anwälte, Grundstücksmakler – sie alle eint ihre Gier nach Geld und die Skrupellosigkeit, wenn es um die Wege seiner Beschaffung geht. Nach außen »ehrbare« Bürger in einer Kleinstadt mit Seepromenade und Touristenflair, sind sie innerlich alle zerfressen vom Neid auf jene, die mehr haben, und der Sorge, vom großen Kuchen, den hier, in Helensburgh, der so smarte wie gefürchtete Gangster Mark Barratt verteilt, nicht genug zu erhalten. Davonkommen werden die Großkopferten am Ende freilich alle. Denn es muss ja weitergehen – egal, für welche Zukunft sich die Schotten schließlich auch entscheiden werden.

Doch da sind auch noch die anderen. Kleinkriminelle wie Iain Fraser – gutaussehend, gerade aus dem Gefängnis gekommen und schon wieder auf dem Weg zurück hinter die schwedischen Gardinen. Während Barrett, der Boss, sich in Barcelona um die großen Geschäfte kümmert, muss Iain zusammen mit ein paar ähnlich armen Würstchen zu Hause die Drecksarbeit machen. Sprich: Eine arme Angestellte, die zu viel weiß und dieses Wissen schnell zu Geld machen will, aus dem Verkehr ziehen und ihre übel zugerichtete Leiche anschließend im nahen Loch Lomond versenken.

Eine Leiche im Loch Lomond

Denise Minas fünfter Roman um die grundehrliche, sich Recht und Gerechtigkeit verpflichtet fühlende Polizistin Alex Morrow, deren Privatleben wenig Aufregung bereithält bis auf einen Halbbruder, der auf der anderen Seite des Gesetzes steht und in Blut Salz Wasser nach einem Messerangriff gerade das Gefängnis gegen das Krankenhaus getauscht hat, zieht seine Leser schnell hinein in das soziale Gefüge einer schottischen Kleinstadt kurz vor dem Unabängigkeitsreferendum vom September 2014.

Unruhig sind die Zeiten, in denen sich die einen von der Autonomie Schottlands vieles versprechen, während andere ihre Felle davonschwimmen sehen, sollte das Referendum mit einem »Ja« zur Unabhängigkeit enden. Allein die meisten haben sich – egal, wie das Land schließlich auch abstimmen wird – einfach durchzuschlagen. Und das ist schwer genug, wenn man es auf ein ehrliches Leben abgesehen hat.

Aber wer kann sich Ehrlichkeit überhaupt noch leisten? Der Mörder Iain Fraser, der sich, von Gewissensbissen getrieben, schließlich selbst zu seiner Tat bekennt? Boyd, einer von den »anderen Frasers der Stadt«, der ein Café betreibt, Probleme mit seiner Frau hat, den Preiskampf mit billigeren Wettbewerbern nicht lange durchhalten wird und schließlich gar unter Mordverdacht gerät? Oder die heimgekehrte Susan Grierson, geheimnisvollste Person in einem an mysteriösen Charakteren nicht gerade armen Figurenensemble, die zwanzig Jahre in Amerika lebte, und sich nun um das verfallende Haus und Anwesen ihrer verstorbenen Mutter kümmern will, wie sie vorgibt?

Ja, nicht einmal die schottische Polizei kann im Konkurrenzkampf mit der Londoner Metropolitan Police auf miese Tricks verzichten. Will man doch seinen Anteil an den sieben Millionen Pfund Drogengeld, die in Schottland gelandet sind und über Immobilienkäufe rund um das Seebad Helensburgh gewaschen werden sollen, mit allen Mitteln sichern – und das geht nur, wenn die Hauptstadt-Bullen den Fall der vermissten Roxanna Fuentecilla, die das Geld in den Norden geschafft hat, nicht an sich ziehen.

Jeder ist sich selbst der Nächste

›Blut Salz Wasser‹ ist vieles: Spannungsroman und Sozialreport, Rachetragödie und comédie humaine, gegenwartskritische Gesellschaftsstudie und Auseinandersetzung mit den dem Kapitalismus von jeher eingeschriebenen Gesetzen. Nachdem die ersten Seiten den Leser mit einem Mord, wie er selten in dieser Brutalität zu lesen war, erschüttert haben, verlagert die Autorin ihr Interesse zunehmend auf die Innenwelt ihrer Figuren. Und man bekommt es mit einem Mörder zu tun, der Mitleid erweckt, einer Polizistin, die im Clinch mit ihren Vorgesetzten den Glauben an Recht und Gesetz zu verlieren droht, und einer Kleinstadt, in der jeder nur sich selbst der Nächste ist, im Kampf ums Überleben die Kleinen aber die geringsten Chancen haben.

DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Denise Mina: Blut Salz Wasser
Deutsch von Zoë Beck
Hamburg: Argument Verlag 2018
363 Seiten, 19 Euro
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