Fünf Romane hat Ross Thomas (1926-1995) unter dem Pseudonym Oliver Bleeck geschrieben. In ihnen allen steht der Wiederbeschaffungsexperte Philip St. Ives, ein enddreißiger Ex-Reporter mit Dandy-Appeal, im Mittelpunkt. Das Procane-Projekt ist Nummer 3 und erschien im Original 1971 unter dem Titel The Procane Chronicle. Zu hoch gepokert folgte 1974 als vierter Fall für St. Ives unter dem Originaltitel The Highbinders. Um eine Chronik der besonderen Art geht es im ersten Roman. Um ein Schwert von historischer Bedeutung im zweiten. Einfach wird es für Thomas‘ Helden in keinem der beiden Fälle. Denn wo es um viel geht, wollen meist auch viele ein Stück vom Kuchen abhaben. Von DIETMAR JACOBSEN
Ross Thomas‘ Figur Philip St. Ives kommt als Vermittler immer dann ins Spiel, wenn Lösegelder zu überbringen, schwierige Verhandlungen mit halbseidenen Geschäftspartnern zu managen sind oder heikle Geschäfte in die Graubereiche des Lebens und der Gesellschaft führen. In Das Procane-Projekt, dem dritten seiner insgesamt fünf Abenteuer, macht er die Bekanntschaft eines Mannes, der ihm gar nicht so unähnlich ist. Abner Procane ist ein Dieb mit Prinzipien, vielleicht sogar der beste Langfinger der Welt. Niemand hat den knapp Fünfzigjährigen bisher überführen können. Denn er stiehlt nur Geld – und das ausschließlich von Personen, die selbst nicht auf legalem Weg zu ihrem Reichtum gekommen sind und deshalb tunlichst die Polizei aus dem Spiel lassen.
Lehrreiche Lektionen für Langfinger
In Das Procane-Projekt ist der Meister allerdings selbst zum Opfer eines Diebstahls geworden. Fünf je hundert Seiten umfassende Notizbücher sind aus seinem Safe verschwunden. In ihnen finden sich Anmerkungen zu jedem einzelnen seiner ebenso genau wie aufwändig geplanten Raubzüge der letzten 25 Jahre, Beweismittel, die, fielen sie in die falschen Hände, ihn für den Rest seines Lebens ins Gefängnis bringen würden. Aber er soll sie ja wiederbekommen, wenn auch nur gegen eine ganz bestimmte Summe. 100.000 Dollar verlangt man von Procane. Und Philip St. Ives soll wieder einmal als Überbringer des Lösegeldes dienen.
Doch als der mitten in der Nacht am ausgemachten Ort, einem menschenleeren Waschsalon, erscheint, findet er statt der Tagebücher nur einen Toten, wird von einem Streifenpolizisten und zwei wie aus dem Nichts auftauchenden Detectives festgenommen und wandert zum ersten Mal in seinem Leben für den Rest der Nacht in polizeilichen Gewahrsam. Doch Procane bleibt hartnäckig, zumal der neuerliche Dieb seines Lebenswerks ihm dieses ebenfalls sofort wieder zum Rückkauf anbietet. Und beim nächsten Versuch, der St.Ives auf die Herrentoilette eines Flughafens führt, klappt der Tausch von kompromittierenden Kladden gegen eine deren nicht nur ideellen Wert unterstreichende anständige Geldsumme, von der Thomas‘ Held bereits sein Honorar abgezogen hat, tatsächlich.
Ende gut – alles gut? Pustekuchen! Denn Procane, der die Übergabe extra noch von zwei jungen Menschen überwachen lässt, die unter seiner Anleitung das Diebeshandwerk erlernen wollen, muss feststellen, dass die wertvollen Kladden nun zwar wieder da sind. Doch in der jüngsten fehlen ein paar entscheidende Seiten. Jene nämlich, auf denen der Meisterdieb einen Coup minutiös beschrieben hat, der erst noch über die Bühne gehen soll und eine äußerst lukrative Beute verspricht. Was tun? Den genialen Plan aufgeben oder die dreisten Diebe einfach für sich arbeiten lassen und dann absahnen?
Ein zweischneidiges Schwert
Auch Zu hoch gepokert ist ein typischer »St. Ives«. Im vierten Fall des Wiederbeschaffungs-Experten mit Wohnsitz in Wahington ist es ein historisches Schwert, das einem englischen Brüderpaar gestohlen wurde und dessen Rückgabe an seine Besitzer die Diebe um 100.000 Pfund reicher machen könnte. Ludwig der Heilige soll es einst zur Zeit der ersten Kreuzzüge geschwungen haben, ehe er von den Sarazenen besiegt und gefangen genommen wurde. Darauf verschwand die wertvolle Waffe ein gutes Jahrhundert lang, ehe sie zuerst in Alexandria und wieder 200 Jahre später in Konstantinopel wieder auftauchte. Über Moskau führte ihr weiterer Weg schließlich bis in einen Trödelladen in der Londoner Shaftesbury Avenue, wo ein Kunde das Schwert schießlich für sage und schreibe 12 Shilling und sechs Pence kaufte.
Ein wirklich gutes Geschäft, wie sich herausstellt, als der Sohn des Käufers nach dessen Tod überlegt, die Waffe zu verkaufen, um der permanenten Ebbe in seiner Kasse Herr zu werden. Denn die bei einem ausgewiesenen Fachmann eingeholte Expertise veranschlagt für das mit einem Griff aus massivem Gold, zwei echten Rubinen und einem eigroßen Diamanten als Knauf ausgerüstete Artefakt nämlich einen Zeitwert von mindestens drei Millionen britischen Pfund. Dass das gute Stück den Brüdern Ned und Norbert Nitry, die es möglichst unauffällig und an Versicherung und Steuer vorbei an einen finanzstarken Käufer verscherbeln sollen, gestohlen wurde, macht die Geschichte freilich kompliziert und ruft außer dem aus den USA angereisten Vermittler St. Ives noch eine ganze Reihe anderer, in der Mehrzahl äußerst zwielichtiger Charaktere auf den Plan.
Alte Bekannte und neue Gegner
Und so steckt Philip St. Ives schon bald nach seiner Ankunft wieder in den altbekannten Schwierigkeiten, mit denen er sich immer herumzuschlagen hat, wenn die Gier bei den Menschen, mit denen er es zu tun bekommt, die Regie übernimmt. Dass auch auf ehemalige Bekannte, die der Ex-Reporter und Zeitungskolumnist noch aus seinem Londoner Korrespondentenjahr Anfang der 1960er Jahre kennt, kein Verlass mehr ist, wenn es um Millionen geht, muss er schmerzvoll erfahren. Und auf Ordnungshüter wie den Polizisten William Deskins vom Scotland-Yard-Betrugsdezernat, die immer dann auftauchen und mit unangenehmen Fragen löchern, wenn man sie gerade nicht gebrauchen kann, war Ross Thomas‘ Held noch nie gut zu sprechen.
Auch Zu hoch gepokert besitzt all jene Vorzüge, die die Lektüre eines Ross-Thomas-Romans auch fast 30 Jahre nach dessen Tod noch zu einem außerordentlichen Vergnügen werden lassen – zumal wenn der Text mit einem solchen Gespür für Nuancen und Zwischentöne übersetzt wurde, wie das Gisbert Haefs – diesmal ohne eine Ko-Übersetzerin – erneut gelungen ist. Da ist man versucht, seitenweise zu zitieren, etwa wenn es über den »Mythos« des »englischen Frühstücks«heißt: »Dieser Mythos räumt listig ein, dass zwar Lunch in England ein Reinfall und Dinner eine Katastrophe sein mag, das typische englische Frühstück jedoch, wenn nicht einem König, so doch einem halbwegs solventen Herzog gut anstehe.« Und wenn es angesichts der ersten Begegnung St. Ives‘ mit den Nitry-Brüdern in deren Stadtvilla heißt »die Szenerie war nobel, aber die Akzente waren falsch«, wird sofort klar: Vorsicht, hier lauert nicht nur eine Falle.
Vom Grab des Propheten in den Pokerclub
Dass sich Philip St. Ives ausgerechnet am Grab von Karl Marx auf dem Highgate Cemetery zu einer Unvorsichtigkeit hinreißen lässt, die nicht nur seine Wiederbeschaffungsmission gefährdet, sondern ihn auch zum Verdächtigen in einem Mordfall macht – Was wäre ein St.-Ives-Roman ohne das überraschende Auftauchen von ein paar Leichen, deren Ableben einerseits der Polizei Arbeit erspart, andererseits aber auch demonstriert, wie ernst es den Gegnern ist, mit denen es der Vermittler zu tun bekommt? –, ist ein seltener Fauxpas bei einem Typen, der immer ein bisschen mehr zu wissen scheint als seine jeweiligen Gegenüber. Und weil es diesmal nicht anders ist, nimmt auch das englische Abenteuer für einen der abgezocktesten Helden von Ross Thomas wieder ein gutes Ende. Nur nicht für das Schwert – aber wie es dem ergeht, soll hier nicht verraten werden.
Titelangaben
Ross Thomas: Das Procane-Projekt. Ein Philip-St.Ives-Fall
Aus dem amerikanischen Englisch von Katja Karau und Gisbert Haefs
Berlin: Alexander Verlag 2022
256 Seiten. 16 Euro
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Ross Thomas: Zu hoch gepokert. Ein Philip-St.Ives-Fall
Aus dem amerikanischen Englisch von Gisbert Haefs
Berlin: Alexander Verlag 2023
252 Seiten. 16,90 Euro
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