/

Drogen per Drohnen

Roman | Zoë Beck: Die Lieferantin

Elliot Johnson, von ihren Freunden Ellie genannt, versorgt das London der nahen Zukunft mit Drogen bester Qualität. Ihr Stoff, im Darknet bestellbar, wird per Hightech-Drohnen zum Kunden befördert. ›Die Lieferantin‹ bleibt dabei immer im Dunklen. Doch weil Ellies Geschäftsmodell den traditionellen Straßenvertrieb plötzlich uralt aussehen lässt, kommt Londons Unterwelt natürlich ins Grübeln. Drei Bosse verbünden sich, um die billigere und bessere Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen. Als dann auch noch der Tod zweier Gangster die Szene in Unruhe stürzt, wird es auf den Straßen der englischen Metropole zunehmend unruhig. Von DIETMAR JACOBSEN

Beck-LieferantinMit ihrem neuen Roman ›Die Lieferantin‹ entführt die Berliner Thriller-Autorin Zoë Beck ihre Leser in das London der nahen Zukunft. Der Brexit liegt hinter den Briten. Was den Druxit betrifft – den Kampf der englischen Regierung um ein drogenfreies Land –, so steht ein Referendum kurz bevor. Gewaltbereite Nationalisten – die »Rot-Weiß-Blauen«, die ihre Anhänger gern aus der Londoner Studentenschaft rekrutieren – machen sich auf den Straßen breit. Und in die allgemeine Überwachung ist längst auch die Gesundheit jedes einzelnen Bürgers einbezogen: Eine Gesundheitsapp, die sämtliche Körperdaten misst und vergleicht, kommuniziert online mit der jeweiligen Krankenkasse.

Es steht also mehr als schlecht um die Freiheit des Einzelnen. Und die Antidruxit-Kampagne, deren Haupt die Rechtsanwältin Catherine Wiltshire ist, stellt deshalb auch nicht in erster Linie eine Bewegung dar, die für den freien Zugang jedes Bürgers zu Drogen aller Art kämpft, sondern kommt als ein organisiertes Aufbegehren daher, das sich gegen die zunehmende Bevormundung aller durch den Staat richtet. Man fordert, »dass erwachsenen Menschen zugestanden wurde, Entscheidungen für sich zu treffen, nachdem sie sich informiert hatten und wussten, welche Risiken sie eingingen«, wenn sie zu Suchtmitteln griffen, und nicht die Regierung den Menschen fortan vorschreiben würde, was sie mit ihren eigenen Körpern anstellten.

Nach dem Brexit ist vor dem Druxit

Damit sorgen die Anti-Druxiteers um Wiltshire und die Unternehmerin Elliot (Ellie) Johnson, die gerade unter dem Namen »The Supplier« (die Lieferantin) mit einem raffinierten Bestellsystem im Darknet, der dazugehörigen Handy-App und Hightech-Drohnen als Transportmitteln der Londoner Unterwelt das traditionelle Drogengeschäft verdirbt, für eine merkwürdige Allianz. Denn Gangster wie Declan Boyce, dessen Familie vermögend und einflussreich geworden ist durch die Organisation des Straßenverkaufs von Suchtmitteln aller Art, und die Regierung des Vereinigten Königreichs haben plötzlich ein und denselben Feind. Am besten, so denkt man auf der einen Seite offen und auf der anderen im Geheimen, soll alles so bleiben, wie es ist: die Drogen illegal, der Staat scheinheilig im Kampf gegen das Übel und die Kriminellen – vom kleinsten Straßendealer an der Ecke bis zum mächtigsten Boss in seiner Vorstadtvilla – weiterhin Nutznießer eines Drogenkriegs, der keine Sieger, nur Verlierer kennt.

Allein der Restaurantbesitzer Leigh hat eines Tages die Nase voll. Woche für Woche Schutzgeld abzudrücken, damit windige Ganoven ihm nicht das Restaurant abfackeln, kommt für ihn nicht mehr infrage. Also schickt er bei dessen nächstem Besuch den Geldeintreiber Gonzo über den Jordan, entsorgt ihn in einem Betongrab unter den Dielen seiner Wirtschaft und hofft, dass kein Hahn mehr nach dem Mann kräht. Da hat er freilich nicht damit gerechnet, dass die Londoner Drogenmafia anders denkt und hinter dem Verschwinden eines ihrer Männer die seit Neuestem auf den Markt drängende Konkurrenz um die »Lieferantin« vermutet. Und schon wird eine Kettenreaktion ausgelöst, die schließlich sogar zu einer Regierungskrise und blutigen Straßenkrawallen führt.

Ein bisschen ›1984‹

Zoë Beck hat mit ›Die Lieferantin‹ einen raffinierten Thriller geschrieben. Das England, in dem er spielt, ähnelt ein wenig jenem aus George Orwells berühmtem Roman ›1984‹ (1948). Alles und alle werden überwacht. Korruption und Vetternwirtschaft blühen. Und wer nicht mitmacht, muss mit dem Schlimmsten rechnen. Der Handvoll Figuren – von der »Lieferantin« Ellie Johnson über den Möchtegern-Supergangster Declan Boyce bis zu der schwarzen Programmiererin Mo, Keira, einer der neun Frauen, die für die »Lieferantin« arbeiten, und Pete Renders, dem Drohnen-Experten, der sich an seiner Ex-Arbeitgeberin rächen will –, die in ihrem Roman miteinander agieren, hat Beck markante und je eigene Züge verliehen. Und wie sie ihre einzelnen Handlungsfäden miteinander vernetzt, ist so geschickt wie lesenswert.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Zoë Beck: Die Lieferantin
Berlin: Suhrkamp Verlag 2017
325 Seiten, 14,95 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ein Glücksfall

Nächster Artikel

Katerstimmung

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Am unteren Ende der Fahnenstange

Film | Im TV: TATORT – 903 Kopfgeld (NDR), 9. März Na toll. Wir kennen keine Kompromisse. »Du hast drei meiner Leute getötet. Und meinen Bruder zum Krüppel geschossen.« – »Hinsetzen. Klappe halten … Schnauze. [Kommissar stößt den Kopf des Vorredners mehrfach brutal auf die Tischplatte.] Ich wollte das nur klarstellen … Ist nichts passiert, er ist nur hingefallen.« Das ist der allerneueste O-Ton beim TATORT, kein Erbarmen mit nix, Steinzeit relaunched. Von WOLF SENFF

Jakob Francks zweiter Fall

Roman | Friedrich Ani: Ermordung des Glücks In Friedrich Anis Roman Ermordung des Glücks spielt zum zweiten Mal nach Der namenlose Tag (2015, Deutscher Krimipreis national 2016) der Münchner Ex-Polizist Jakob Franck die Hauptrolle. Diesmal ist ein elfjähriger Junge ermordet worden – und während sich die Mutter im Schmerz vergräbt und der Vater Rachepläne schmiedet, weil er glaubt, den Täter zu kennen, versucht Anis Held alles Menschenmögliche, um zu verhindern, dass aus Unheil noch größeres Unheil erwächst. Von DIETMAR JACOBSEN

Spannende Handlung, dicht sortiert

Film | Im TV: TATORT ›Château Mort‹ (SWR), 8. Februar In den letzten Monaten folgten wir schon einmal dem Versuch, Bildungsgut für den Sonntagabend fein aufzubereiten. Das ist leider schwieriger als gedacht. Neulich musste Shakespeare dran glauben, der mit Anklängen an einen Western in Szene gesetzt wurde. Man war verwirrt und dachte heftig darüber nach, ob das den Western beschädigte oder Shakespeare oder womöglich den ›TATORT‹. Von WOLF SENFF

Zwei feine Herren unter sich

Roman | Martin Suter: Allmen und Herr Weynfeldt

Zum siebten Mal seit 2011 lässt Martin Suter in Allmen und Herr Weynfeldt seinen kultivierten Kunstdetektiv Johann Friedrich von Allmen nach verschwundenen Werken suchen. Diesmal ist es ein umstrittener Picasso, der über Nacht aus dem Besitz des renommierten Kenners Adrian Weynfeldt verschwunden ist. Und ob das Bild mit dem schönen Titel Baigneuses au ballon 4 nun ein echter Picasso ist oder nicht – irgendjemand scheint zu glauben, damit das große Geschäft machen zu können. Von DIETMAR JACOBSEN

Zwischen Fortschritt und Katastrophe

Roman | Frank Goldammer: Tod auf der Elbe

Als Frank Goldammer vor acht Jahren mit seiner Max-Heller-Reihe begann, war noch nicht zu ahnen, wie produktiv dieser Autor in den nächsten Jahren sein würde. Inzwischen liegen neben etlichen anderen Romanen bereits acht Bände um den Dresdener Kommissar vor, deren Handlungszeit sich vom Ende des Ersten Weltkriegs über die Monate kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis 1961, dem Jahr des Mauerbaus, erstreckt. Handlungsort ist immer Goldammers Heimatstadt Dresden. Und weil die bis 1989 im südöstlichsten Winkel der DDR lag, ist die Heller-Reihe ganz nebenbei auch noch zu einer spannenden Zeitgeschichte des geteilten Deutschlands geworden. Mit dem vorliegenden ersten Band seiner neuen Serie verlässt der Autor nun das 20. Jahrhundert, nicht aber die Familie seines Helden. Denn mit Gustav Johann Heller ermittelt nun Max‘ Großvater im Jahre 1879. Der muss sich zwar im Sattel oder auf dem Kutschbock an seine Tatorte begeben, lebt aber nicht weniger gefährlich als sein motorisierter Enkel mehr ein halbes Jahrhundert später. Von DIETMAR JACOBSEN