Kinderbuch | Antje Damm: Plötzlich war Lysander da
Unerwartete Ereignisse lösen oft Ängste aus; das Fremde, Unbekannte wird misstrauisch beäugt und primär abgelehnt. Es muss nicht bei dieser ersten Reaktion bleiben, freut sich ANDREA WANNER
Antje Damms 3-D-Collagentechnik hat schon in ›Der Besuch‹ verblüfft und eine ganz einfache Geschichte auf ganz besondere, beglückende Art erzählt. Gebaut und fotografiert hat sie auch in ›Warten auf Goliath‹ und nun hat sie zum dritten Mal ein kleines Meisterwerk damit geschaffen.
Die konstruierte Schuhkartonwelt ist dieses Mal das Innere eines Mauselochs. Danz kurz bekommen wir zu Beginn die Außenwelt zu sehen, mit Pflanzen in einem saftigen, kräftigen Grün, die einladend einen schönen Tag zeigen, an dem man gerne draußen unterwegs ist. So wie der Briefträger, der einen Brief für die Mausfamilie überbringt. Bereits da reagieren Luis, Dora und Kathinka, das Mausmädchen, wenig freudig überrascht. »Wer soll uns denn schreiben?« Aber Brief ist eindeutig an sie adressiert und der Postbote lässt ihn an einem Seil in das düstere, nur mit einer Kerze beleuchtete Loch hinunter.
Und tatsächlich stellt sich das Schreiben als mittlere Katastrophe dar: Der Bürgermeister informiert sie über eine anstehende Einquartierung in ihrem Zuhause. Jemand, der kein Zuhause mehr hat, soll bei ihnen einziehen. Schrecklich. Entsetzlich. Sofort werden alle Argumente zusammengetragen, die so etwas ganz unmöglich machen. Zu wenig Platz, zu wenige Kartoffeln, um alle satt zu kriegen … Und so beschäftigt sich sie mit sich und ihren Kartoffeln, dass sie den Neuankömmling erst bemerken, als er direkt neben ihnen steht.
Der Fremde
Lysander ist ein Lurch. Er kommt aus dem Moor, also von sehr weit weg, und bringt mit seinem orangefarbenen Körper und dem gelb-grünen Rucksack gleich ein bisschen Farbe in die grau-braune Welt der Mäuse. Ihre Mienen bleiben skeptisch, als er auf dem Sofa einschläft, wird sein Rucksack inspiziert – und kritisch folgen ihre Blicke dem Eindringling, der so freundlich-treuherzig dreinschaut und gerne sein Lager in der Badewanne aufschlagen möchte.
Die vorherrschenden Gefühle sind Unsicherheit, Wut und Angst. Was tut der da? Warum bringt er ihre geordnete kleine Mäusewelt durcheinander? Dazu hat er kein Recht.
Damm lässt das ganze Drama auf engstem Raum stattfinden. Macht Lysander wirklich etwas Schlimmes? Auf jeden Fall tut er etwas, das das Mauseloch und damit das Leben der drei Mäuse verändert. Dass dieses das Ende der schummrigen Dunkelheit bedeutet. Aufklärung hieß die Epoche im 18. Jahrhundert, die ganz wörtlich das meinte: Licht ins Dunkel bringen. Mithilfe der Vernunft sich von den althergebrachten Vorstellungen befreien, dazu gehörte auch der Kampf gegen Vorurteile dazu und das Plädoyer für Toleranz. Dazu braucht es wenige Worte und wunderbare Bilder. All das passiert im Mauseloch. Eine kluge Geschichte zum Staunen und Nachmachen, auch außerhalb der Mauselöcher und nicht nur für Mäuse.
Titelangaben
Antje Damm: Plötzlich war Lysander da
Frankfurt: Moritz 2017
36 Seiten, 12,95 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
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