Roman | Véronique Olmi: Der Mann in der fünften Reihe
Kunstsinnig, feinsinnig kommt dieser kleine, aber kraftvolle Roman von Veronique Olmi daher. Ein bewegendes Kammerspiel auf offener Bühne. Wie kann Der Mann in der fünften Reihe einer Schauspielerin solch nachhaltigen Schrecken einjagen, solch existentielle Furcht einflößen, dass sie sich selbst verloren geht? Von INGEBORG JAISER
Nelly Bauchard ist Schauspielerin, Theaterschauspielerin. Sie liebt ihren Beruf und den antizyklischen Rhythmus: die Tagesfreizeit, den spielfreien Montag, das kostbare Privileg, den Staus und dem Berufsverkehr zu entgehen. Doch sie hat auch permanent Angst: krank zu werden, die Metro zu verpassen, ihren Text zu vergessen, die Stimme zu verlieren, zu viel Energie zu verprassen. Und dann tritt, nach langen Jahren der Erfahrung und Routine, eines Abends tatsächlich der Super-Gau ein. Nach einem erfolgreichen Tschechow-Stück spielt Nelly nun schon seit acht Tagen die Mutter in Pirandellos Sechs Personen suchen einen Autor.
Sie kennt jeden Satz, jede Wendung, jede Replik. Doch schon beim Betreten der Bühne wird sie der Katastrophe gewahr. Da sitzt er – »Wie ein Überfall« – mitten in der fünften Reihe im Parkett, auf dem »idealen Platz«: Paul, ihr ehemaliger Liebhaber, vor dem sie sich getrennt hat, um ihn wieder seiner Ehefrau und seiner Familie zu überlassen.
Ende der Vorstellung
Noch kämpft Nelly mit ihrer Rolle, auch wenn sie vor Panik strauchelt. Schließlich spürt sie: »Mein Gehirn erlangt Autonomie und Allmacht. Es beschließt, dass ich das nicht überleben kann: Diesen Mann, dessen Namen ich seit sechs Monaten verschweige, dessen Existenz ich verleugne. Seine Anwesenheit, die meine vernichtet.« Nelly verliert den Rhythmus, die Contenance, kollabiert auf offener Bühne – mit dem wirren Gefühl von abgetrennten Gliedmaßen und einer Klinge im Rücken. Nelly spürt den Tod gleich in zweifacher Hinsicht. In ihrer Rolle auf der Bühne und in ihrer Rolle als Frau. Letztendlich muss die Vorstellung abgesagt, das Publikum nach Hause geschickt werden.
Veronique Olmi, die selbst viele Jahre als Schauspielerin und Dramaturgin tätig war, hat mit Der Mann in der fünften Reihe nicht nur die Geschichte einer Amour fou verfasst, sondern insgeheim auch eine leidenschaftliche Huldigung an das Theaterleben. Gefühlvoll fängt sie den illusorischen Zauber dieser Parallelwelt ein. Selbst in der Bar hängt ein »Geruch des Wartens, ein Geruch nach Bienenwachs, synthetischer Auslegware und schlechtem Wein. Plakate alter Theaterstücke mit den Gesichtern der Schauspieler, die niemand jung gekannt hat. Die Spuren, die sie an diesem Ort hinterlassen haben. Die Mühen. Lampenfieber und maßlose Freude. Kalter Schweiß auf ihren Rücken, durchnässte Hemden, das Zittern der Körper, ihre Präsenz im Licht.«
Perfekte Inszenierung
Der Mann in der fünften Reihe ist so perfekt durchkomponiert und in Szene gesetzt, dass das unglaubliche Entsetzen wie ein Schnitt das Buch in zwei Hälften zerteilt: Es gibt ein Vorher und ein Nachher. Der selbstzerstörerische Coup de foudre schlägt tatsächlich wie ein Blitz ein. Und dennoch schafft es Olmi, um dieses Liebesgewitter herum das Alltagsleben einer 47jährigen Frau zu drapieren, ihre Telefonate mit der dementen Mutter, der halb amüsierte, halb sorgenvolle Blick auf die fast erwachsenen Söhne, die kleinen eingeschliffenen Gewohnheiten.
Dieses schmale, gerade mal 100 Seiten umfassende Bändchen als Roman zu bezeichnen, mag anmaßend erscheinen – viel eher stände ihm das Genre der Novelle zu Gesicht. In zurückhaltend eleganter Aufmachung kommt es daher, wie ein exquisites Parfüm oder ein edler Seidenschal. Unterm Schutzumschlag (die Gestalterin Marion Blomeyer hat in den vergangenen Jahren bereits mehrere von der Stiftung Buchkunst ausgezeichnete Einbände entworfen) verbergen sich ein matt graphitfarbenes Cover mit zart geriffelter Oberfläche und chamoisfarben satinierte Vorsatzblätter. Eine rundum geschmackvolle Delikatesse für alle Liebhaber literarisch-ästhetischer Lesegenüsse!
Titelangaben
Veronique Olmi: Der Mann in der fünften Reihe
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
München: Antje Kunstmann 2017
109 Seiten. 18,00 Euro
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Der Preis ist aber happig. Aber ich hoffe mal, das gibt es bald mal gebraucht. Danke für die schöne Vorstellung