Liebe unter staatlicher Kontrolle

Roman | Ines Geipel: Tochter des Diktators

Ein abgelegenes Dorf in der Toskana, Berlin, Moskau, Leningrad und Paris sind die Handlungsorte in Ines Geipels erzählerischer Abrechnung ›Tochter des Diktators‹ mit den zerstörerischen, menschenverachtenden Mechanismen des Staatskommunismus. Die Autorin, 1960 in Dresden geboren, weiß, wovon sie schreibt. Von PETER MOHR

Als ehemalige Weltklasse-Leichtathletin war sie Opfer des DDR-Zwangsdopingsystems und 1989 (vor dem Mauerfall) über Ungarn in den Westen geflohen.

Geipel - Tochter des DiktatorsFür ihren neuen Roman hat sie sich eines Sujets bedient, dass sie in der Vergangenheit schon journalistisch bearbeitet hatte – den traurig-dramatischen Lebensweg von Walter Ulbrichts Adoptivtochter. Ines Geipel erzählt die Geschichte des bekanntesten Staatskindes der jungen DDR jedoch vorwiegend aus der Perspektive einer etwa gleichaltrigen Italienerin. Ein geschickter Kunstgriff, denn so entsteht nicht nur eine gewisse Distanz zum staatlich überwachten Leben der Beate, sondern es entwickelt sich auf einer anderen Erzählebene noch eine zweite (nicht ganz so dramatische) Geschichte über die ›Tochter des Diktators‹.

Anni Paoli heißt die Italienerin aus dem kleinen Toskana-Dorf Cigoli, in dem 1946 eine Bombe explodierte und ein junges Mädchen in den Tod riss. Zu den Tatverdächtigen gehört der Schuster und bekennende Kommunist Nello Matteoli, Vater von Beate Ulbrichts späterem Ehemann Ivano. Und eben jener Ivano ist ein Kindheits- und Jugendfreund der Erzählerin Anni, die am Schicksal des Paares auch einen eigenen Verlustschmerz abarbeitet.

Beate, leibliche Tochter einer ukrainischen Zwangsarbeiterin, tut sich in der Schule schwer, wird als Familienmitglied des mächtigsten Mannes der DDR mit Nichtbeachtung und extremer Abneigung gestraft. Zum Abitur und späterem Studium schickt Ulbricht die »schwierige« Beate in die Sowjet-Union. Dort begegnet sie Ivano, der als Student in Moskau von den kommunistischen Idealen überzeugt ist. Es entwickelt sich eine von den DDR-Machthabern mit Argwohn beäugte und nicht goutierte Beziehung. Ein beschwerlicher, schikanöser Alltag an der kurzen Leine des Staatssicherheitsdienstes schließt sich an. Ulbricht stimmt zwar (schweren Herzens) der Heirat zu, diktiert Beate aber den Studienabbruch und die Rückkehr mit ihrem Ehemann nach Ost-Berlin.

Jede Menge Tragik steckt in den realen Lebensläufen von Beate und Ivano, ohne dass Autorin Ines Geipel dies über Gebühr ausschlachtet. Auch nach Walter Ulbrichts Tod im Jahr 1973 enden die Drangsalierungen nicht. Die Scheidung wird später erzwungen, das Paar trennt sich auch räumlich. Ivano stirbt unter mysteriösen Umständen in Rom, Beate sucht Trost im Alkohol und wird 1991 erschlagen in ihrer Berliner Wohnung aufgefunden – die Tat blieb bis heute unaufgeklärt.

Erzählerin Anni kehrt aus dem politisch bewegten Paris zurück ins Toskana-Dorf und erlebt (älter und reifer geworden) dort ihren autoritären und als Apotheker in Cigoli höchst angesehenen Vater selbst als eine Art Diktator.

Ines Geipels Roman über die zerstörerische Kraft und die unbarmherzigen Mechanismen totalitärer Systeme präsentiert in seiner künstlerischen Komposition eine harmonische Mischung aus Dokumentation und Poesie. Obwohl allenthalben von schmerzlichen Verlusten die Rede ist, gibt es auch eine anrührende, beinahe romantische Szene mit durchaus versöhnlichem Charakter – als sich Anni und Ivano an ihrer Kindheitsstätte auf einer Bank vor der Kirche von Cigoli nach vielen Jahren wieder begegneten.

| PETER MOHR

Titelangabe
Ines Geipel: Tochter des Diktators
Stuttgart: Klett-Cotta Verlag 2017
198 Seiten. 20.- Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Teinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Pasta und Pizza – in Wales

Nächster Artikel

Landnahme

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Vom allmählichen Verschwinden eines Menschen aus der Welt

Roman | Friedrich Ani: Der Narr und seine Maschine Es scheint der letzte Auftrag zu sein für Tabor Süden, jenen Helden, dem sein Erfinder Friedrich Ani über einen Zeitraum von zwanzig Jahren 21 Romanauftritte gönnte. Der schon einmal verschwunden war, als er sich auf die Suche nach seinem Vater begab. Und nun offensichtlich – der Roman beginnt am Münchner Hauptbahnhof – erneut im Begriff ist, sich davonzumachen. Doch seine letzte Chefin, Edith Liebergesell, weiß, wo sie Süden finden kann. Und bittet ihn ein letztes Mal darum, einen Vermissten aufzustöbern. Von DIETMAR JACOBSEN

Eine Herausforderung für Sebastian Bergman

Roman | Hjorth & Rosenfeldt: Die Schuld, die man trägt

Sebastian Bergman, Psychologe und, wann immer es brenzlig wird, Unterstützer von Schwedens Reichsmordkommission, hat in seinem Leben schon viel kaputt gemacht: Ehen, Freundschaften sowie berufliche Beziehungen aller Art gehörten dazu. Manches davon ließ sich kitten, anderes nicht. Schuldig hat sich Sebastian dabei aber nur in den wenigsten Fällen gefühlt – zu groß sein Ego, zu wenig empathisch ausgerichtet seine Gefühlswelt. Das sieht der Killer, auf dessen Spuren sich die Reichsmordkommission in Die Schuld, die man trägt, dem achten Sebastian-Bergman-Roman des Autorengespanns Hjorth & Rosenfeldt, begibt, allerdings anders. Und fordert den Psychologen zu einem intellektuellen Wettstreit heraus, in dem er als Opfer Menschen auswählt, denen Sebastian in seiner Vergangenheit Unrecht getan hat. Von DIETMAR JACOBSEN

Troja am Atlantik

Roman | Don Winslow: City on Fire

Es sollen seine letzten Bücher werden. Mit der Trilogie über eine irische Mafia-Gang in den USA der 1980er Jahre, deren erster Band, City on Fire, nun auf Deutsch vorliegt, will sich Don Winslow von seinen Lesern verabschieden. Nicht in den Ruhestand, wohlgemerkt, sondern in den Kampf gegen die weltweit spürbare existentielle Krise der Demokratie, die in seiner Heimat, wie er fürchtet, erneut in einer Präsidentschaftskandidatur von Donald Trump kulminieren könnte. Dass sich dieser Kampf besser mit Argumenten, wie Winslow sie zum Beispiel auf seinem Twitter-Kanal oder in kurzen YouTube-Filmen an Millionen von Followern versendet, ausfechten lässt statt mit Romanen, ist dabei die feste Überzeugung des Erfolgsautors. Von DIETMAR JACOBSEN

Der rettende Schuss

Roman | Javier Cercas : Outlaws Spätestens mit seinem Roman Anatomie eines Augenblicks, den die wichtigste spanische Tageszeitung El Pais 2009 zum Buch des Jahres kürte, hat der 52-jährige Javier Cercas auch außerhalb Spaniens den Durchbruch geschafft. Als »grandios« hatte der bekannte argentinische Autor Albert Manguel diesen, auch mit dem  Premio Nacional de Narrativa ausgezeichneten Roman gerühmt, der um den gescheiterten Militärputsch des Jahres 1981 kreist. Jetzt ist sein neuer Roman Outlaws erschienen. Von PETER MOHR

Ärztin in Not

Roman | Kristof Magnusson: Arztroman Endlich mal ein Motto von Heidi Klum! Ihr »Nein!« hat Kristof Magnusson – neben einem Albert-Schweitzer-Zitat, damit die erste Seite nicht komplett ins Triviale abrutscht – seinem Arztroman vorangestellt. Nachdem uns der Mann mit den isländischen Wurzeln in seinem letzten Buch hochamüsant die weltweite Finanzkrise nahegebracht hat (Das war ich nicht, Kunstmann 2010), kümmert er sich diesmal – erzählerisch nicht weniger elegant und mindestens genauso sorgfältig recherchiert – um die Krisenfälle im menschlichen Alltag einer Berliner Ärztin. Von DIETMAR JACOBSEN