Mit dem Wolf durch den Wald

Jugendbuch | Grit Poppe: Joki und die Wölfe

Eine Begegnung mit einem Wolf im Wald ist ein aufregendes Erlebnis. Geheimnisvoll sind die Tiere und bedrohlich. Es gibt natürlich Dinge, die man nicht machen sollte. Genau das aber macht Joki. Nicht ganz überzeugt von der Abenteuergeschichte ist GEORG PATZER

Grit-Poppe-Joki-und-die-Woelfe»Weißt du schon das Neuste?«, fragt Sanja: »Sie kommen wieder«, sagt sie leise. »Sie sind schon da. Ich habe ihre Spuren gesehen.« Mit geheimnisvollem Flüstern lockt Sanja ihren Freund Joki von den Ameisen weg, die er grade beobachtet. Wer: Sie? Das sagt sie nicht. In den Wald geht es, nur einen Katzensprung weit. Und dann zeigt sie ihm die Spuren im schmutzig graugelben Sand: »Das war ein Wolf««, sagt sie überzeugt. Joki glaubt ihr nicht, auch wenn er die Krallen sieht, die Größe der Tatzen.

Aber als er dann wenig später abends allein durch den nahen Wald streunt und ihn erkundet (seine Mutter und er sind erst vor kurzem hier hingezogen, zu Knut auf den Bauernhof) und neugierig zum nahen plätschernden Bach geht, hört er plötzlich ein drohendes Knurren: »Das Tier fixierte ihn mit lauerndem Blick.« Das war kein Hund, »der Ausdruck in den Augen wirkte wild, ungezähmt, fast hypnotisch. Es gab keinen Zweifel. Das war … ein Wolf!« Aus Nervosität beginnt er zu summen, und dann singt er dem Wolf sogar etwas vor: »Keine Sorge, ich lau… hau…fe nicht weg«, singt er leise vor sich hin. Und beginnt langsam, sich zurückziehen. Aber da trabt der Wolf auf ihn zu, läuft mitten ins Wasser … und fängt an zu trinken. Natürlich läuft Joki trotzdem weg, ein bisschen Angst hat er schon. Aber als er der kleinen Wolfsfamilie später an dem Abend noch einmal begegnet, läuft er ihnen einfach hinterher. Und ihm ist, als wenn der Anführer ihn wiedererkennt.

Etwas später reißt Joki wütend von zu Hause aus, er hat sich mit seinem Stiefvater wieder einmal heftig gestritten, nimmt sein Fahrrad und fährt los, wieder in den Wald. Und da begegnet er zum dritten Mal einem Wolf – einem kleinen, jungen – mit einem schwarzen Ohr, der sich offensichtlich verlaufen hat und allein ist. Und den nimmt er mit nach Hause.

Die Wölfe kehren zurück

Grit Poppe hat ein Jugendbuch geschrieben, das die Geschichte vom Jungen Joki und den Wölfen erzählt. Seit einiger Zeit kommen sie aus dem Osten auch nach Deutschland, selbst in Baden-Württemberg wurden schon welche gesehen, seit 1990 stehen sie unter Naturschutz. Nicht alle Menschen sind froh darüber, auch wenn es Schäfervereinigungen gibt, die sich vehement für die Wölfe einsetzen, selbst wenn sie jetzt besser auf ihre Schafe aufpassen müssen: Schafe sind eine leichte Beute für Wölfe. In ihrem Roman erzählt sie, was Joki anrichtet, als er den kleinen Wolf aus Mitleid mit nach Hause nimmt. Denn die hungrige Wolfsfamilie folgt seinen Spuren, um das Wolfsjunge wiederzufinden, trifft dabei auf die Kühe seines Stiefvaters Knut und reißt natürlich eine Kuh, um sich satt zu fressen. Als Knut auf sie schießt, verletzt er die Wolfsmutter. Und Joki versteht jetzt, dass er das Kleine wieder zurückbringen muss. Und so reißt er zum zweiten Mal aus, und es beginnt eine kleine Odyssee.

›Joki und die Wölfe‹ ist eine spannende Abenteuergeschichte mit einem Happy End. Der Trick in diesem Buch ist, dass ein Teil der Geschichte aus der Wolfsperspektive geschrieben ist, quasi mit ihren Augen. Wie die erste Begegnung: Nachdem der Wolfsvater den fremden Geruch schon lange in der Nase hatte, sieht er »das fremde Wesen«. Warnend knurrt er. Aber dann hört er »die leisen Töne, die es machte«, und sie wirken auf ihn nicht beängstigend. Dann wird er neugierig: »Vielleicht waren es die seltsamen Laute, die das Geschöpf ausstieß. Es klang weder wie ein Knurren noch wie ein Heulen, dennoch so, als wollte es ihm etwas mitteilen.« Und als Joki mit Schwarzohr, dem kleinen Wolf, unterwegs ist, um das Rudel zu suchen, riecht der Wolf plötzlich etwas an einer Kiefer: den Geruch seiner Mutter. »Der Zweibeiner kam zu ihm, betrachtete den Baum, und schließlich beugte er sich hinunter und pflückte mit seiner nackten Menschenpfote etwas von der Borke: einen fussligen Fetzen Fell.«

Was man nicht machen sollte

Etwas holprig geschrieben, ohne einen schönen sprachlichen Rhythmus, mit manchmal doch zu sehr romantisierenden und leicht kitschigen Einlagen wie dass die Nacht sich wie ein dunkler Mantel um Joki legt (so etwas Ähnliches gibt es gleich zweimal im Buch), ist der Jugendroman vielleicht doch geeignet, ein bisschen Verständnis für die wilden Tiere zu wecken, die so vielen Menschen Angst machen. Seltsamerweise konstruiert Poppe hier eine Geschichte, vor der sie im Anhang mit seinen knappen Informationen über Wölfe, ihre Sprache, ihre Wahrnehmungen und ihr Leben im Rudel sogar warnt: Nie darf man ein Wolfsjunges mitnehmen, wenn man es zufällig im Wald finden sollte, weil es sich dann an die Menschen gewöhnt und eine Gefahr für sich und sie wird. Und nie soll man einem Rudel hinterherlaufen, das könnte bedrohlich auf den Wolf wirken, und er könnte angreifen – genau das macht aber Joki. Und sie erzählt, dass alles gut ist, dass sie sich wiedererkennen und in Ruhe lassen. Und das hinterlässt dann schon einen seltsamen, sehr zwiespältigen Eindruck.

| GEORG PATZER

Titelangaben
Grit Poppe: Joki und die Wölfe
Wuppertal: Peter Hammer Verlag 2018
250 Seiten, 14 Euro
Jugendbuch ab 10 Jahren
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