/

Affe – Blau zu schwarz

Bühne | ›Affe‹ in der Oper Neukölln

Frei nach dem Motto »Guten Morgen Berlin, du kannst so hässlich sein, so dreckig und grau. Du kannst so schön schrecklich sein, deine Nächte fressen mich auf…« gehen die Zuschauer zusammen mit dem jungen Berliner »F.« auf einen Trip der besonders heftigen Art.
ANNA NOAH ist gespannt, wie viel urbanes Lebensgefühl in der Theater-Adaption von Peter Fox’ Album »Stadtaffe« steckt.

Das Biest

F., gespielt von einem großartigen Anton Weil, weiß nicht mehr, wer er ist. Er hat sein Bewusstsein verloren und erwacht mit scheinbar mehr als einem dröhnenden Schädel im Krankenhaus. Doch nicht nur sein Handy und der Personalausweis sind weg, auch wichtige Teile seiner Erinnerung. Trotz seines desolaten Zustandes ist er nun gezwungen, die wenigen Erinnerungsfragmente, die ihn zu seiner Identität führen könnten, mühsam hervorzukramen und zusammenzupuzzlen.

Affe - Oper Neukölln Berlin

Schnell wird dem Zuschauer klar, F. muss immer tiefer in die Finsternis seiner Stadt eintauchen. Er begegnet dabei nicht nur dem Drogenboss, einem exzesssüchtigen Stadtaffen, sondern in dem Zusammenhang muss er sich auch dem Kampf mit seinem eigenen inneren Biest stellen.
Die Songs von Peter Fox unterstützen nicht nur diesen Wiederfindungs-Prozess, sondern bringen gleichzeitig das Lebensgefühl einer ganzen Generation Großstädter auf den Punkt. Die Suche nach der eigenen Identität wird für den Hauptdarsteller zum Höllentrip.
Die Frage, die dabei über allem schwebt, ist: Wird F. wieder ins normale Leben zurückfinden?

Momentaufnahmen mehrerer Nächte

Fabian Gerhardt hat Peter Fox’ Songs zu einer interessanten Geschichte verwoben. Sein »Kopf rollt, denn er ist rund, er hinterher, rennt alles um« … auf der Suche nach sich selbst und seinem verlorenen Kopf taumelt F. zwischen Licht und Schatten durch den urbanen Untergrund – dabei verliert er sich mehr und mehr im Schatten seiner eigenen Abgründe. »Es steckt mit F. unter einer Haut, es will raus ans Licht, die Käfigtür geht langsam auf.«

Mit minimalistischem Bühnenbild, Affenakrobatik und dem Orchester (Geigen, eine Bratsche sowie ein Cello) wird geschickt eine Art Lebensgefühl herbeigezaubert.

Das Stück »Affe« kann durchaus als Momentaufnahme einer Generation betrachtet werden, die ihre Nächte ausschließlich in Clubs verbringt, tanzt und ab und an Drogen nimmt. »Die Torten schütteln ihre Schrippen, schütteln ihr Gold auf den Rippen.« Doch – steckt da mehr dahinter, als bloßer Vergnügungswahn?

Dabei steht Fox’ Song »Stadtaffe« als großes Thema über allem. »Ein Primat muss keinen Beruf haben, ein Stadtaffe muss die Stadt im Blut haben.«

Affe - Oper Neukölln BerlinDie Liebe bleibt dabei gänzlich auf der Strecke. Obwohl es vor allem auch darum geht, zerstört das Biest in F. seine Beziehung genauso wie den Rest seines Lebens.

Anton Weil ist eindrucksvoll. Er spielt den Affen mit Springen, Klettern und Schwitzen genauso überzeugend wie den Menschen auf Trip mit zuckenden Gliedmaßen und extrem verzerrter Wahrnehmung. »Den Affen über knapp zwei Monate bis zu viermal die Woche zu spielen«, beschreibt Anton auf www.qiez.de »als eine große Herausforderung, sowohl körperlich und psychisch als auch stimmlich.«
Die anderen Schauspieler stehen dem in nichts nach. Sie schlüpfen alle in verschiedene Rollen, legen sie wieder ab und singen – in Perfektion.

Was für ein Trip!

Wirklichkeit und Delirium schieben sich so perfekt ineinander, dass der Zuschauer nie aus der Handlung katapultiert wird und sogar bei wechselnden Rückblenden dem roten Faden folgen kann. Vielleicht klappt das deshalb so gut, weil sich einige Spielszenen ähneln. Die Anschlüsse zu den Songtexten gelingen hervorragend und lassen den Spannungsbogen in neunzig Minuten ohne Pause nicht abfallen.

Anton Weil
Anton Weil wuchs in Berlin-Kreuzberg auf und wollte schon früh Schauspieler werden. Von 2010 bis 2014 absolvierte er sein Schauspielstudium an der Berliner Universität der Künste. Weil wirkte neben Theaterarrangements in mehreren Kino- und Fernsehproduktionen (ARD, ZDF, arte) mit. Anton Weil ist außerdem als Sprecher bei Hörspielen aktiv. Als Sänger, Texter und Musiker tritt er außerdem im Retro-Stil als Kunstfigur »Toni Steil« auf

Das Stück lebt vor allem von den kraftvollen Momenten, die es verstreut als gut gesetzte Höhepunkte gibt. Zum Beispiel in der Szene, wo der »Stadtaffe« auftaucht und dieser F.s Freund dazu zwingt, zu entscheiden, wer von beiden die Überdosis schlucken muss. Gleichzeitig hat der Zuschauer nach und nach etliche Aha-Effekte und beginnt zusammen mit F. zu begreifen, was passiert ist. Damit gibt es auch eine Lösung auf die Frage vom Anfang: Die Normalität wird noch lange auf F. warten müssen. Aber das »Haus am See« ist für ihn nicht gänzlich verloren.
Bei all den emotionalen Highlights steht die Musik von Peter Fox nicht nur im Zentrum, sie ist auch der stabile Rahmen eines beeindruckenden Theaterstücks, das zum Nachdenken anregt.

| ANNA NOAH
| FOTOS: PHILIPP PLUM

Showangaben
Affe. (Oper Neukölln)
Darsteller: F. – Anton Weil
Regie: Fabian Gerhardt
Drehbuch: John von Düffel
Musikalische Leitung: Fred Sauer

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Wanderer zwischen den Welten

Nächster Artikel

Zwischen Gretel Adorno und Doktor Faustus

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Swinglegende, Dandy, Charmeur

Bühne | »›My way‹- the true story of Frank Sinatra and Ava Gardner« Nicht wenige Sänger, vor allem Rocklegenden, sind entweder durch Alkoholexzesse oder andere Eskapaden schon zu Lebzeiten aufgefallen und am Ende durch diese stellenweise sogar zu Tode gekommen. Die Biographien anderer Autoren und Sänger wiederum sind nicht nur von der Qualität ihrer Lieder und Texte geprägt, sondern auch von ihren erotischen Abenteuern und Frauengeschichten gezeichnet. Zum Beispiel die von Francis Albert »Frank« Sinatra (1915-1998), Swinglegende, Dandy, Entertainer und Frauenschwarm, der unter anderem mit Songs wie ›My Way‹ und ›Strangers in the night‹ bekannt und berühmt wurde. Von JENNIFER

Die 80er in einem Sandkorn

Bühne | Mit Vollgas in die 80er

Die 1980er-Jahre sind wieder da, besonders auch in Karlsruhe. Aktuell ist eine Ausstellung über das Jahrzehnt der Glitzerklamotten, Schulterpolster, Neuen Deutschen Welle und anderer Accessoires dort im Schloss zu sehen. Im Sandkorntheater, einem 1956 gegründeten Privattheater, nahe des Mühlburger Tors und des Stadtteils Mühlburgs, begeistert zurzeit das Musical ›Mit Vollgas in die 80er. Das 80er-Musical mit Live-Band!‹ das Publikum. Von JENNIFER WARZECHA

»Frühlingserwachen« im Herbst: »Spring Awakening«

Bühne | Spring Awakening

»Wedekind for future« – so ist die Überschrift im Programmheft. Das Stück selbst hat den Titel ›Spring Awakening – Eine Überschreibung von Katharina Stoll und Ensemble nach Frank Wedekind.‹ Im gut besuchten Studio des Badischen Staatstheaters feiert man die Uraufführung. Immer wieder ist zustimmendes oder verhaltenes Gelächter im Publikum zu hören. Das offene Ende lässt, je nach individueller Auffassung, verschiedene Rückschlüsse zu. Von JENNIFER WARZECHA

Wie im Lebenskreislauf

Bühne | Badisches Staatstheater Karlsruhe: ›Alles tanzt! The human condition‹

Gedanken über das Leben und die eigene Existenz, ausgedrückt im Ballett und seinen Tanzbewegungen, in diesem Stück passend zur Stimmung mit schwarzen Kostümen – das erlebte man als Zuschauerin und Zuschauer in ›Alles tanzt! The human condition‹. Die Koproduktion von Volkstheater und Staatsballett Karlsruhe am Badischen Staatstheater zeigte, wie wandelbar und anpassungsfähig man im Alltag, im Leben und im Sterben sein muss.

Leben – komprimiert auf 60 Minuten

Bühne | Die Uhr tickt – Timpul trece (Badisches Staatstheater Karlsruhe) Was kann besser sein, als sich mit ernsten Themen wie denen von Leben, Älterwerden und Tod in einem interaktiven Rahmen der Selbstbestimmung auseinanderzusetzen? Diese Themen zeigt die Kooperation von Schauspielern, Moderatoren und Zuschauern im Stück »Die Uhr Tickt«. Von JENNIFER WARZECHA