Kinderbuch | Leonora Leitl: Susi Schimmel. Vom Verfaulen und Vergammeln
Der Anblick von Schimmel löst bei Menschen nicht gerade Begeisterung aus. Dabei ist Schimmel gut und nützlich. Sagt wer? Der Schimmel natürlich. Ob uns seine Agentin überzeugen kann? Hören wir der Kleinen einmal zu. Von MAGALI HEIẞLER
Dass sie zu den ganz, ganz Kleinen dieser Welt gehört, stört Susi nicht im Mindesten. Es hat keine Bedeutung, denn die Herrschaft von Schimmel ist nahezu allumfassend. »Wir schlagen zu, wo immer wir können«, verkündet sie selbstbewusst.
Wer wollte ihr widersprechen?
Es gibt nichts, was Susi und alle, die zu ihrer Art gehören, nicht verknuspern. Voraussetzung ist allerdings, dass es organischer Stoff ist. Steine z.B. sind weitgehend schimmelsicher. Dementsprechend erwähnt Susi sie auch nicht. Der Rest ist dafür umso appetitanregender.
Warum der Schimmel so eifrig ist, verrät sie auch. Es ist Aufräumen zum guten Zweck. Am Ende wird alles zu neuer Erde. Da kann man doch nicht um das schöne Käsebrötchen trauern!
Charme und Esprit
Dass man Susi tatsächlich etwas abgewinnen kann, liegt an dem Höchstmaß an Charme, mit dem Leonora Leitl ihre Schimmelsporendame ausgestattet hat. Der Zauber entspringt dabei nicht ihrer Neigung zum Flirten, sondern einem Selbstbewusstsein, wie es nur geborenen Herrscherinnen und Herrscher haben können. Susi ist nicht im Mindesten arrogant, sie kennt ihre nur ihre Wirkung. Dabei ist sie, wie alle ihrer Art, zugleich ordentlich, pünktlich und vor allem unermüdlich. Sie betrachtet ihre Aufgabe als Pflicht und führt sie punktgenau aus. Teamfähig, schnell, immer für neue Aufgaben zu haben. Man würde sie sofort engagieren, wäre da nicht der kleine Interessenkonflikt zwischen Mensch und Schimmel.
Der Ton, den Leitl für ihre Protagonistin gefunden hat, ist munter, energiegeladen, offen, mit Witz und Verstand. Wunderbar, ein weibliches Wesen so sprechen zu hören. Susi stellt die Dinge klar, rückt mit wenigen kurzen Worten zurecht, was zurechtgerückt werden muss, und schenkt der Zuhörerin ein ganz neues Bild vom Zusammenhang der Dinge in der Welt. Kinder werden begeistert sein von dem frischen Ton, Erwachsene, weil hier etwas wenig Bekanntes ohne Frechheiten, Saloppheiten und Geschwafel vermittelt wird und doch nicht an unterliegendem Humor gespart.
Raum gibt es auch für harte Fakten, in Anmerkungen unten an den Seiten. Man erfährt, dass Schimmel zu den Pilzen gehört und Susi ein Gießkannenschimmel ist. Die Anzahl der Schimmelpilze geht in die Hunderttausende, weltweit. Susi kann zurecht stolz sein. Und wer geglaubt hat, dass Wale die größten Tiere der Welt sind, muss sich auf Erstaunliches gefasst machen. Schimmel steckt voller Überraschungen. Es gibt noch viel zu erforschen. Susi erwähnt auch Verwandte, ein kleiner Trost für Menschen. Den guten Käseschimmel, z.B. oder das wichtige Penicillin, das aus dem Pinselschimmel gewonnen wird. Die Anmerkungen unterfüttern Susis Selbstbeschreibungen aufs Beste. Allerdings sind sie ein bisschen sehr klein geraten. Vorlesende Erwachsene höheren Alters und mit eingeschränkter Sehfähigkeit werden da ihre Probleme haben.
Alles verschimmelt
Diese Erkenntnis hatte Leitl beim Illustrieren ihres Buchs immer im Hinterkopf und mit welchem Gewinn. Hier ‚schimmeln‘ sogar die Überschriften. Vom Gelb und Orange des Anfangs färben sich bis zum Ende ins vertraute Graugrün. Herrlich!
Aufgebaut ist Susis Selbstbeschreibung systematisch. Man wandert auch in der Bilderwelt von der Natur ins Haus. Wo der Schimmel arbeitet, zeigen weißlich-grüngraue Flecken an, an Blättern und im Waldboden, an den Wänden im Haus, aber auch im Kühlschrank. Er präsentiert sich geöffnet, für Susi ein Anblick, der Entzücken auslöst. Die Leserin empfindet eher Abwehr, das kleine Publikum darf sich aufs Köstlichste ekeln. Übertroffen wird das nur vom Vorsatz. Er zeigt beim Aufschlagen lauter sehr appetitliche Speisen, am Ende dann das gleiche Bild nach der Besetzung durch Susi und ihre Familie. Es ist ein ganz wundervoll fürchterlicher Anblick. Spannung gewinnt das noch dadurch, dass man beim Lesen immer mehr Verständnis für Schimmel und seine Leistung entwickelt, trotzdem aber viel lieber ohne Susis Einmischung in das geliebte Käsebrot beißen möchte.
Der Querschnitt eines Wohnhauses zeigt die großen Angriffspunkte, wie Bad oder Keller und ist sicher ein Ausgangspunkt für zahlreiche eigene Geschichten derer, die das Buch vorlesen. Warum nicht einmal über Schimmel sprechen? Ein paar Hinweise zu Vermeidungsstrategien gibt es auch.
Die Porträts von Susi und ihrer Art mit ihren poppigen Lockenperücken sind voller Fantasie, die Farbkombinationen gleichermaßen ansprechend wie kühn. Susis verschmitztes Gesicht bleibt lange im Gedächtnis. Die Illustrationen sind großflächig angelegt, mit Genauigkeit im Detail. Das Buch ist und bleibt ein Sachbuch, wenn auch sparsam in den Mitteln und in der Aussage allein bestrebt, Grundinformationen zu vermitteln. Die Mischung aus Collage, Zeichnung und Drucktechniken ergibt ein gleichermaßen harmonisches wie originelles Gesamtbild.
Ein schönes Buch! Bitte schimmelsicher aufbewahren. Susi ist immer und überall.
Titelangaben
Leonora Leitl: Susi Schimmel. Vom Verfaulen und Vergammeln
Innsbruck-Wien: Tyrolia 2018
26 Seiten, 14,95 Euro
Kinderbuch ab 6 Jahren
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