Menschen | Zum 90. Geburtstag des Schriftstellers Pavel Kohout
»Die Welt, in der ich momentan lebe, ist für mich kein Schock, weil ich die meiste Zeit meines Lebens in einer viel schlimmeren gelebt habe«, hat der Schriftsteller Pavel Kohout vor sieben Jahren in einem Interview erklärt und damit keineswegs übertrieben. Von dem Kommunisten wurde er als Anhänger des »Prager Frühlings« und Unterzeichner der Charta politisch verfolgt und zur Ausbürgerung aus seiner tschechischen Heimat nach Österreich genötigt. Ein Porträt von PETER MOHR
»Sie haben Ihr Leben in den Dienst der Erneuerung überkommener Strukturen gestellt und in ihrem Schaffen als Schriftsteller und Dramatiker diese Geisteshaltung aufrichtig und unbeirrt vertreten«, schrieb der damalige deutsche Bundestagspräsident Wolfgang Thierse in einem Glückwunschtelegramm zum 75. Geburtstag von Pavel Kohout.
Pavel Kohout, der am 20. Juli 1928 in Prag geboren wurde, war längst der meist gespielte tschechische Bühnenautor, als er 1967 erstmals mit dem politischen Establishment in Konflikt geriet. Er verlas auf dem tschechischen Schriftstellerkongress einen Solschenizyn-Brief und sprach sich selbst für einen »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« und gegen die staatliche Zensur von Kunstwerken aus.
Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings wurde Kohout – ebenso wie sein Freund und langjähriger politischer Weggefährte Vaclav Havel – mit einem Publikationsverbot belegt und aus der KP ausgeschlossen. Als Unterzeichner der ›Charta 77‹ avancierte er endgültig zur Persona non grata in der Tschechoslowakei. Kohout fand später in Österreich als Dramaturg am Wiener Burgtheater eine neue künstlerische Heimat, 1980 nahm er – bedingt durch die politischen Repressalien in seiner Heimat – sogar die österreichische Staatsbürgerschaft an.
»Österreicher zu werden hat mich der tschechoslowakische Staatsapparat gezwungen, als mich am 4.Oktober 1979 nachts eine Truppe Grenzschützer gewaltsam aus dem Auto zerrte, über die Grenze schob, den Schlagbaum absperrte und das Licht ausmachte«, berichtete Kohout. Sein Lebensweg und auch sein künstlerisches Werk wurden maßgeblich von den politischen Ereignissen des 20. Jahrhunderts geprägt.
Ironie des Schicksals: Nach der politischen Wende in den Staaten Osteuropas nahm das Interesse an Kohouts künstlerischer Arbeit ab. Die Person stand fortan im Mittelpunkt: der Schriftsteller – der in seiner Rolle als Dissident, auch unangenehme Fragen stellte – und der nicht immer glücklich agierende Kulturpolitiker, der an der Ablösung des deutschen Chefdirigenten der tschechischen Philharmonie Gerd Albrecht maßgeblich beteiligt war und der das von ihm mitbegründete deutschsprachige Theaterfestival Prag zu einem öffentlichen Zankapfel werden ließ.
Von der bewegten und bewegenden tschechischen Geschichte hat sich Kohout, der 1978 mit dem österreichischen Staatspreis für europäische Literatur ausgezeichnet wurde, in seiner Arbeit nie vollends trennen können. Im 1998 erschienenen Roman ›Meine Frau und ihr Mann‹ rollt er noch einmal die politischen Umwälzungen von 1989 auf. Ein skurriles Paar, in dessen Beziehung alles schief läuft, dient als Metapher für die schief gelaufene tschechische Geschichte.
Auch in Kohouts erfolgreiche, später mit Amario Adorf verfilmten Roman ›Die lange Welle hinterm Kiel‹ (2000) ist der Blick in die Vergangenheit gerichtet. Auf einem Kreuzfahrtschiff begegnen sich zwei Paare unterschiedlicher Generationen. Als die Jüngeren sich näherkommen, sehen sie sich plötzlich durch ihre Familien mit der Geschichte konfrontiert – der Hass zwischen Tschechen und Sudetendeutschen flammt wieder auf.
In seinem letzten Roman ›Tango Mortale‹ setzte Kohout seiner Heimat noch einmal ein (leicht kitschiges) künstlerisches Denkmal. Die erfolgreiche Tänzerin Julia, die einen Rolls Royce ihr eigen nennt, entdeckt auf seltsame Art und Weise plötzlich ihre Heimatliebe. Trotz allem Reichtum sehnt sie sich nach der tschechischen Sprache und auch nach den lukullischen Spezialitäten aus der Heimat.
Leben und Schreiben sind bei Pavel Kohout, der abwechselnd in Prag und Wien lebt, nie zu trennen. Er ist nicht nur (wie es einst in einer Kritik hieß) »ein begnadeter Geschichtenerzähler«, sondern auch ein authentischer Erzähler der Geschichte.
| PETER MOHR
| Titelfoto: Mariusz Kubik, http://www.mariuszkubik.pl, 2008.03.12. Pavel Kohout by Kubik 04, CC BY 3.0