The End – The Doors

Musik | The Doors: The Doors

›The End‹ ist ein wilder Trip durch den Geist von Jim Morrison, der auf einem psychedelischen Klangteppich tief in das Bewusstsein eindringt. MARC HOINKIS begab sich auf die Reise.

Die Doors und The End

The-Doors-Album-CoverJeder kennt die Doors als eine Band, die Grenzen überschritten hat, und zwar in jeglicher Form. Von Skandalen auf und hinter der Bühne über musikalische Innovationen bis hin zur Bewusstseinserweiterung sorgten sie stetig für Aufmerksamkeit. Ihre Songs fingen diese geheimnisvolle Magie ein: Ein Beispiel dafür ist ›The End‹, der letzte Song auf dem 1967 erschienenen ersten Album ›The Doors‹.

Der Sänger Jim Morrison und der Pianist Ray Manzarek, ehemalige Studienkollegen, treffen sich 1966 am Strand von Venice Beach. Als Morrison auf Drängen Manzareks einen seiner Texte vorträgt, beschließen sie eine Band zu gründen. Sie holen noch Robby Krieger an der Gitarre und John Densmore an den Drums dazu. Sie beginnen Songs zu schreiben und bald im Whisky a Go Go, einem der angesagtesten Clubs der Zeit, als Hausband zu spielen.

Der Legende nach wird Morrsion eines Abends vermisst und von dem Rest der Band in einem Motelzimmer gefunden. Er soll sie mit den Worten »10.000 Mics« begrüßt haben und die Band wusste Bescheid: Morrison hat viel zu viel Acid geschluckt. Sie bringen ihn zum Club und treten auf. Irgendwann will Morrison einen Song spielen, der bisher nur aus einigen Jams und Text-Fragmenten besteht. Die Band spielt das Stück und der Rest ist Geschichte …

Die Reise

Die vier Jungs befinden sich zu dieser Zeit in Venice, einem Stadtteil von Los Angeles. Sie bekommen dort die in San Francisco lebenden Überreste der Beatniks und die Folkszene zu spüren. Daraus ergiebt sich eine einzigartige Mischung aus verschiedensten Einflüssen, darunter Drogen und asiatische Kultur, welche diesen Song besonders prägen.

Das ganze Stück ist wie ein indischer Raga aufgebaut, bei dem die Melodien stetig um einen zentralen Ton kreisen. Das Stück beherrscht eine Dynamik, die auf einer Länge von über 11 Minuten zwischen ruhig und explosionsartig pulsiert. Der Einfluss von Drogen ist einerseits in dem rhythmischen Fluss zu erkennen, indem sich das Stück befindet. Teilweise erscheint es, als würden die Instrumente den Gesang Morrisons kommentieren oder darstellen. Andererseits ist der Text von Bildern und Szenarien durchzogen, die Halluzinationen und schamanischen Vorstellungen gleichen. Das starke Interesse am Schamanismus begründet Morrison mit einer Anekdote aus seiner frühen Kindheit: Er fährt mit seiner Familie einen Highway entlang und begegnet einem Autounfall, bei dem Indianer auf der Straße verbluten. In diesem Moment, so Morrison, seien ein oder zwei der Indianerseelen in ihn hineingefahren – und dort geblieben.

Mit diesem Hintergrundwissen entsteht beinahe eine nachvollziehbare Geschichte. Morrison scheint uns hier seinen bisherigen Lebensweges zu erzählen. Zu Beginn findet ein Gespräch mit den Seelen statt, die ihm seine Situation darstellen und ihm einen Blick in die Zukunft gewähren. Danach beginnt die Lebensgeschichte des Sängers am Punkt der eben genannten Anekdote. Zeilen wie »Ride the snake/ to the ancient lake« verweisen auf schamanische Bilder von Tiergeistern und stellen das Eindringen der Seelen dar. Sie befehlen ihm mit dem (tatsächlich existierenden) Blue Bus nach Westen zu fahren.

Nun folgt der Teil, den Morrison an dem unvergessenen Abend im Whisky a Go Go improvisierte und somit für den Rausschmiss der Band aus dem Club sorgte: Es ist die ödipale Szene, in der Morrison seinen Vater umbringt. Da der exzentrische Morrison von einer für ihn unangenehmen Kindheit geprägt wurde, drängt sich an dieser Stelle eine verstörende Verbindung zum Loslösen aus dem Elternhaus. An dieser Stelle zeigt sich auch die literarische Bildung Morrisons, diese Strophe ist nach der aristotelischen Ansicht eines Dramas aufgebaut.

Der anschließende Teil fährt die Energie des Songs auf ein Maximum hoch und stellt eine Art Reprise des bisherigen Inhalts dar. Der Song endet mit einer Wiederholung der ersten vier Verse und einer letzten, bitterbösen und vieldeutigen Strophe, die noch einmal das Ende beschwört.

Morrison als Akteur

Es ist nicht verwunderlich, dass Morrison gerade bei diesem Song meist vollen Einsatz zeigte. Morrison, für seine psychedelischen Exzesse bekannt, schien irgendwann die Grenzen zwischen der Bühnenfigur und der privaten Figur Jim Morrison zu verwischen und ein ernster Teil seiner Séance, dieser Geisteranrufung, zu werden. Seine theatralische Bühnenshow ist deutlich von Praktiken der Schamanenkultur geprägt und hat in Verbindung mit der Musik nach Aussagen vieler Zeitzeugen eine mitreißende Mischung ergeben. Morrison sah sich selbst als Vermittler zwischen der Welt des Publikums und der anderen Seite, dem Jenseits. Er sah sich als derjenige, der die Tür öffnen kann.

| MARC HOINKIS

Titelangaben
The Doors: The Doors
Elektra 1967

1 Comment

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Kaum Leben am Ufer der Endzeit

Nächster Artikel

China, China, China!

Weitere Artikel der Kategorie »Platte«

Survival of the Cool

Musik | Chico Freeman & Fritz Pauer Trio: The Essence of Silence Fritz Pauer, Jahrgang 1943, ist ein Stiller. Seine Seriosität eignet sich nicht für Schlagzeilen. Was nur Insidern bekannt ist: Er muss als der neben Joe Zawinul bedeutendste österreichische Jazzpianist gelten. Und das schon seit einem halben Jahrhundert. Friedrich Gulda schätzte den jungen Fritz Pauer, er hat mit ihm gespielt und wohl auch von ihm Einiges über Jazzfeeling gelernt. Und so ist es nicht verwunderlich, wenn der Saxophonist Chico Freeman, der im Lauf der Jahre mit zahlreichen internationalen Legenden des Jazz aufgetreten ist und Schallplatten aufgenommen hat, just mit

Keine neoromantische Gleitcreme!

Musik | Toms Plattencheck La Freiheit des Geistes von Die Partei ist nicht der Soundtrack zur Europawahl der Partei um Martin Sonneborn und ›Titanic‹, sondern (das nun wiederveröffentlichte) Ergebnis des Zusammentreffens von Tom Dokoupil (The Wirtschaftswunder) und des Musikers, Künstlers und Beuys-Schülers Walter Dahn. TOM ASAM erläutert die Unterschiede!

Die letzte Rockband – Welcome to the Jungle

Musik | Ottar Gadeholt über die mythologische Seite von Guns N’Roses (Teil II) Der Beginn von ›Welcome to the Jungle‹ ist zu recht berühmt: der zerhackte Einzelton, der mehrmals wiederholt und dabei stets schwächer wird, wie ein Schritt, der zwischen den Hausmauern hallt; ein neuer Versuch, etwas stärker und sicherer, und daraufhin eine Kaskade fallender Töne, jedoch mit dem ersten Einzelton als Beginn jeder Folge (Laut eines Gitarrenbuchs, das ich mal gekauft habe, werden die Folgen mit einer Echopedale gespielt, wenn man aber ein wenig geübt hat, ist es vollkommen möglich, wenn auch nicht ganz einfach, sie auch ohne zu

Noch einmal Grubinger

Musik | Friedrich Cerha: Konzert für Schlagzeug und Orchester/Impulse für Orchester/Kontinent Varèse: col legno Stimmt es denn wirklich, dass zeitgenössische Musik »schwierig« sein muss? Für die zwei Kompositionen von Friedrich Cerha, Jahrgang 1926, die die Wiener Philharmoniker unter der Leitung der beiden dafür prädestinierten Dirigenten Pierre Boulez und Peter Eötvös aufgenommen haben, trifft es jedenfalls nicht zu. Sie sind ausgesprochen süffig und hochdramatisch, unmittelbar »verständlich« und in einem ganz traditionellen Sinne schön. Von THOMAS ROTHSCHILD

A Place For Us To Dream

Musik | Porträt: Placebo zum 20. Geburtstag Ein Song-Medley der ganz besonderen Art: Zum 20-jährigen Bandjubiläum lassen Brian Molko und Stefan Olsdal nicht nur ordentlich die Bässe klingen und internationale Bühnen mit einer Geburtstagstournee beben, sondern haben noch ganz andere Alternative-Rock-Überraschungen in petto. Von MONA KAMPE