Kinderbücher | Wer hat den Schnee gestohlen? / Suppe, satt, es war einmal
Wer glaubt, dass alle Geschichten auserzählt sind, irrt sich. Geschichten lassen sich nämlich miteinander kombinieren und so wird aus Altbekanntem etwas ganz Neues. Eine Detektivin-Geschichte über verschwundenen Schnee, z.B. oder Wölfe-zähmen-Scheherazade. Unglaublich, aber wahr. Ein Wunder, eben. Von MAGALI HEIẞLER
Gerda ist enttäuscht. Sehr sogar, denn es ist Winter, kurz vor Weihnachten schon, und das Wichtigste fehlt, der Schnee. Irgendwo muss er doch sein. Vielleicht wurde er sogar gestohlen? Da sich sonst niemand um den Verschwundenen kümmert, macht sie sich auf die Suche. Vorgehen möchte sie wie eine richtige Detektivin. In ihrer Nachbarschaft gibt es einen Detektiv. Daher weiß Gerda, dass jede Aufklärung damit beginnt, dass man Leuten Fragen stellt. Also zieht sie los.
Sie erfährt viel auf ihrem Weg und von den befragten Leuten, nur nicht, wo der Schnee ist. Glücklicherweise weiß Papa Rat. Ob der Plan allerdings klappt, lässt sich nicht vorhersagen.
Naiv erzählt, bestechend gezeichnet
Yaroslava Black erzählt eine recht persönliche Geschichte. Sie ist ihrem Patenkind gewidmet, das den gleichen Namen trägt wie die Hauptfigur. Dementsprechend vertraulich ist der Ton und dementsprechend deutlich ist das Gefälle von der Erzählhaltung der Erwachsenen zu dem sehr jungen Zielpublikum. Kleine Witzeleien über erwachsene Figuren in der Geschichte geraten in gefährliche Nähe von Anbiederei.
Erzählt wird geradlinig, das bekommt vor allem der kleinen Heldin, deren Unternehmungsgeist dadurch betont wird. Sehr gut fassbar wird ihr Leid über das Fehlen des schönen Schnees, der aus Weihnachten und dem Winter doch erst macht, wovon man gern träumt: ein weißes Wunder. Für ein Bilderbuch in dieser Altersgruppe treten viele Personen auf. Es ist dem Geschick Blacks zu verdanken, dass sie im Gedächtnis bleiben. Im Gedächtnis bleibt auch die sacht eingeflochtene innige Beziehung zwischen Gerda und ihren Geschwistern. Dass am Ende auf ein Wunder zurückgegriffen werden muss, lässt die Handlung etwas schal werden und hebt die Naivität zu sehr heraus. Im Kontext von Weihnachten wird das gerade noch erträglich.
Was dieses Bilderbuch heraushebt, sind die Illustrationen. Den Hintergrund bestimmt ein Blauton, der direkt dem Dezemberhimmel entnommen zu sein scheint. Kontrastiert wird er mit dem Weiß des heiß ersehnten Schnees nicht nur im Vorsatz, sondern durchgängig im Buch. Was sich vor dem raffiniert schlichten und eben deshalb so bedeutungsvollen Hintergrund abspielt, lässt das Buch sprühen vor Leben. Der Kniff dabei ist, dass die Lebhaftigkeit gedämpft wird durch die Sparsamkeit, mit der Details auf den Seiten verteilt werden und die faszinierende Zeichentechnik, die alles aussehen lässt, wie von Kinderhand gemalt. Es ist eine echte Wintergeschichte, das Leben pulsiert, allerdings verhalten.
Und was es alles zu entdecken gibt, in dieser etwas verhaltenen Welt! Bäume wie Reisigbesen, Wolkenschafe, Pflanzen, die zu Stick- und Strickmuster werden, heimeliges Spielzeug, Tiere im Winterschlaf und Zahlreiches mehr. Es gibt Ansätze zu kleinen Geschichten in der Geschichte und liebevolle Scherze. Die Illustrationen sind an keiner Stelle naiv oder gar schal, sondern enthalten echten Witz und sie bereiten auch Erwachsenen großes Vergnügen.
Wölfe zähmen leicht gemacht
Die Heldin der zweiten Geschichte heißt Mathilda. Sie muss das Häuschen hüten, weil ihre Mutter als Hebamme der Königin beistehen muss. Wir befinden uns im Märchenland. Mathilda hütet nicht nur das Häuschen, sondern auch die Ziegen und Hühner. Draußen, im Winterwald, gibt es borstige und stets hungrige Wölfe. Als es dunkel wird, kommt das Heulen der Wölfe näher und näher. Schließlich stehen sie vor Mathildas Tür. Mathilda jedoch ist sowohl gescheit als auch praktisch veranlagt. Was hier von Nöten ist, ist Futter, erkennt sie, und bietet es gleich zweifach. Es gibt körperliche und geistige Nahrung.
Die Handlung ist wunderbar verrückt, aber so überzeugend erzählt, dass man sie schluckt wie die Wölfe ihre (von nun an) allabendliche Linsensuppe. Selbstverständlich wird einer ein Märchen erzählt. Wie den Wölfen auch. Scheherazade, die sieben Geißlein und eine Heldin, die tatkräftig zum Rührlöffel greift, sowie auch weiterhin den Kopf einsetzt, sind eine Mischung, auf die man erst einmal kommen muss. Was für ein Glück für uns, dass Andres das nicht nur eingefallen ist, sondern dass sie es auch laut erzählt. Es ist ein köstlicher Witz und ein so liebevolles Märchen.
Illustriert hat Andres es auch selbst. Gelb, Braun, Grau und Weiß herrschen, mit Grün als Farbtupfer und etwas Blau zur Beruhigung. Holz, Stroh, Wolle, Kräuter, große und kleine Federkissen machen aus dem Häuschen einen urgemütlichen, ein wenig schäbigen kleinen Kosmos, in dem man sich umgehend einkuscheln möchte. Der Text ist sanft ironisch, also nicht für ganz junge Leserinnen und Leser geeignet, für ältere dafür um so mehr. Die Illustrationen dagegen begeistern jedes Alter. Sie erweitern die Handlung um ein Beträchtliches, etwa, wenn mit einem Mal alle Ziegen verschwunden sind, weil die Wölfe hereinkommen. Wer findet sie?
Überhaupt wird viel Versteck gespielt, bis sich alle aneinander gewöhnt haben. Kleine Leserinnen und Leser werden sich darin umgehend wiederfinden, Versteckspielen ist zu schön. Tatsächlich führen sich die Ziegen auf, wie eine Horde kleiner Kinder. Ein drolliger und drolligst ausgeführter Einfall.
Natürlich geht die Geschichte gut aus, aber gefährlich ist die Lage zwischendurch schon. Die Wölfe sind wirklich arg borstig! Es gibt im Übrigen nicht nur ein, sondern gleich zwei Wunder, ein Witz im Witz, sozusagen.
Kein Witz, im Gegenteil eine großartige Idee ist die Beigabe am Ende. Auf den beiden letzten Seiten sind die Figuren der Geschichte als Schattenrisse abgedruckt. Man kann sie abpausen, ausschneiden und ein eigenes Schattentheater daraus machen. Die Geschichte von Mathilda ist es wert.
Wert ist die Geschichte auch, wiederentdeckt zu werden. Sie erschien vor einigen Jahren schon einmal. Wer Mathilda und ihre Linsensuppe damals verpasst hat, bekommt nun eine neue Chance.
Titelangaben
Yaroslava Black, Ulrike Jänichen: Wer hat den Schnee gestohlen?
Stuttgart: Urachhaus 2018
32 Seiten, 16 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
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Kristina Andres: Suppe, satt, es war einmal
Rostock: Hinstorff Verlag 2018
32 Seiten, 16 Euro
Bilderbuch ab 5 Jahren
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