Roman | David Schalko: Schwere Knochen
David Schalko genießt bei unseren südöstlichen Nachbarn so etwas wie Kultstatus. Für Josef Hader hat er nicht nur den Habitus eines Genies, sondern ist auch eines, andere sehen in dem heute 45-jährigen Wiener ein »Phänomen« und einen »Kreativgeist«, der dem Fernsehen neue Impulse verliehen hat. Jetzt ist mit ›Schwere Knochen‹ Schalkos vierter und bislang umfangreichster Roman erschienen. Von DIETMAR JACOBSEN
Im »wianerischen« Ton gehalten, kommt er als eine Gangstersaga daher, in der viel Sozialkritik und ein bitterböser Blick auf das Nachkriegsösterreich enthalten sind. Dass es der Autor gelegentlich an erzählerischer Disziplin mangeln lässt, ist das Einzige, was man dem umfangreichen Werk vorwerfen könnte. Dem Leser wird das freilich nur recht sein, denn hier bekommt er wirklich einmal mehr für sein Geld.
Die vier jungen Herren, die sich die »Erdberger Spedition« nennen, weil sie sich darauf spezialisiert haben, den Reichtum, den die wohlhabenden Wiener in ihren Häusern horten, wegzuspeditieren – »der ausgezehrte Wessely, der riesige Krutzler, der schlaksige Sikora und der vierschrötige Praschak« – starten in den späten 30ern ihre Ganovenkarriere. Bald gibt es keinen Tresor mehr, der sich von den in der »Kunst der Schränker« mehr und mehr Bewanderten nicht zum Aufgehen überreden lässt. Und ihr virtuos gehandhabter »Hundertertrick« beeindruckt sogar die alte Garde von Wiens Unterwelt, die Herren von der so genannten »großen Galerie«.
Nur am »Nazi-Huber«, dem man ausgerechnet am Tag des Anschlusses Österreichs ans Deutsche Reich, dem 15. März 1938, die Wohnung leer räumt, beißen sich die Nachwuchskriminellen die Zähne aus. Der Mann schlägt nämlich eiskalt zurück und lässt drei aus dem Quartett – nur der Fleischerssohn Praschak kommt mit etwas Glück davon – nach Dachau deportieren. Doch sieben Jahre hinter Stacheldraht brechen die drei keineswegs, sondern machen aus ihnen just jene Großverbrecher, die sich nach Kriegsende als die Herren der Wiener Unterwelt in Stellung bringen.
Die »Erdberger Spedition«
David Schalko (Jahrgang 1973), der sich als Regisseur und Produzent von erfolgreichen Fernsehformaten und zwei hochgelobten Serien einen Namen gemacht hat, ist mit seinem vierten Roman ›Schwere Knochen‹ endgültig der schriftstellerische Durchbruch gelungen. Denn die Geschichte der »Erdberger Spedition« von den dreißiger bis in die frühen sechziger Jahre – der Kopf der Bande, Ferdinand Krutzler, wird 1961 erhängt in einer Gefängniszelle aufgefunden – ist weit mehr als nur eine Gangstersaga. Gerade die menschliche Verhärtung, die sie als Kapos in den Konzentrationslagern Dachau und Mauthausen erfahren, macht aus den Wiener Ganoven letztlich jene mitleid- und gnadenlosen Gangster, die das Nachkriegswien als ihre kriminelle Spielwiese betrachten.
Schalko beschreibt den kriminellen Aufstieg Krutzlers und der Seinen in zahlreichen, mal blutig-skurrilen, mal schwarzhumorigen Episoden. Und natürlich bleibt es nicht aus, dass unter denen, die einst, als es noch um die kleinen Gaunereien ging, zusammenhielten wie Pech und Schwefel, am Ende Streit und offene Feindschaft ausbrechen. Dass bei dem Niedergang des kriminellen Quartetts auch eine Reihe von Frauen mitmischt, gehört dabei wohl genauso zum Milieu wie die wechselnden Bündnisse, die man mit den Vertretern der Obrigkeit schließen muss, damit die einen nicht das Geschäft verderben. Doch zum Glück kennt man die, die nach dem Krieg die neuen Ordnungsmächte repräsentieren, aus den Kleinkriegen, die man einst im KZ untereinander geführt hat, und weiß sie sich schnell gewogen zu machen.
Gangstersaga und soziales Sittenbild
Neben dem stetig zunehmenden Beziehungsstress zwischen den ihr Vermögen mit Drogen, Prostitution und Glücksspiel machenden Gangstern, ist ›Schwere Knochen‹ freilich mehr noch ein genauer Blick auf die Mentalitätsgeschichte Österreichs nach dem schnellen Ende eines auf tausend Jahre angelegten Reichs, dem man sich im März 1938, den Landsmann Hitler auf dem Wiener Heldenplatz begeistert zujubelnd, angeschlossen hatte.
Knappe sieben Jahre später soll das alles ein Irrtum gewesen sein. Niemand erinnert sich mehr gern. Wider Willen hineingezogen sei man worden in Hitlers Völkermordkomplott – praktisch das erste Opfer eines Landsmanns und seiner verbrecherischen Gelüste. Und nun, da »man hatte konstatieren müssen, dass die Nazibrut ein ganz ausgewachsener Korruptionshaufen war«, nutzt man die von den siegreichen Alliierten gebotenen Chancen eines Neuanfangs, um sein je eigenes Schäflein ins Trockene zu bringen. Was besonders auch deshalb leicht fällt, weil die Amerikaner in den Kommunisten schnell ihren neuen Feind ausgemacht haben und nationalsozialistische Gesinnung bald nur noch als »Kavaliersdelikt« gilt.
Kein Film.Nirgends
Schade, dass Schalkos fulminanter Milieuroman wohl nicht verfilmt werden wird. Wer ›Braunschlag‹ (2011) oder ›Altes Geld‹ (2015), Schalkos bitterböse Abrechnungen mit der Kleingeistigkeit, Korruptionsanfälligkeit und Provinzialität seiner österreichischen Heimat, gesehen hat, kann sich gut vorstellen, wie er filmisch mit einem Stoff umgegangen wäre, der ein Österreich zeigt, das, wie es an einer Stelle von ›Schwere Knochen‹ heißt, »damals im KZ entstanden war«.
Allein der in ›Schwere Knochen‹ noch bis in die kleinsten Verästelungen der Handlung spürbare Ideenwucher und das breit angelegte Figurenensemble, in dem auch Tiere keine ganz unwichtigen Rollen spielen, wären wohl nur – die Geldfrage einmal ganz außer Acht gelassen – schwer auf die Leinwand zu stemmen gewesen. So muss man sich wohl vorerst – dass man niemals »Nie« sagen sollte, gilt ja nicht erst seit James Bond – begnügen mit einem Leseerlebnis, wie man es nicht jeden Tag geboten bekommt. Und letztlich können Literaturverfilmungen ja auch nur selten konkurrieren mit dem Kino, das durch den Kopf eines jeden Lesers flimmert, sobald er sich in ein Buch vertieft.
Titelangaben
David Schalko: Schwere Knochen
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2018
575 Seiten. 24.- Euro
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