Kinderbuch | Kerascoët: Mein Weg mit Vanessa
Wenn jemand neu in einer Klasse ist, hat sie es nicht leicht. Wenn sie dann auch noch beschimpft wird, ist es ganz schlimm. Da kann, da muss man helfen. Wie es in diesem Kinderbuch erzählt wird, findet GEORG PATZER allerdings zu platt
Vanessa ist neu in der Klasse, sitzt außen am Fenster, noch ganz schüchtern, und in der großen Pause sitzt sie allein auf der Treppe, während die anderen Kinder Ball spielen oder sich unterhalten. Nach der Schule geht sie auch allein nach Hause. Und dann kommt ein aufgeblasener, wichtigtuerischer Junge auf sie zu und beschimpft sie. Was er sagt, kann man nicht verstehen. Aber das kleine Mädchen fängt an zu weinen und läuft davon. Ein anderes Mädchen hat es gesehen, erzählt es ihren Freunden, die sich ein Eichhörnchen anschauen, das auf einem Baum herumturnt. Den ganzen Abend hängt es ihr nach, und noch am nächsten Morgen ist sie geknickt.
Also: alles richtig, alles gut und menschenfreundlich. Aber als Bilderbuch viel zu platt und langweilig.
Aber dann hat sie eine Idee. Rennt zu Vanessas Haus und holt sie ab. Nimmt sie an der Hand und geht mir ihr zur Schule. Auf dem Weg dorthin kommen ihre Freunde dazu, und es werden immer mehr und mehr. Und jetzt ist auch Vanessa fröhlich, denn jetzt gehört sie dazu.
Kerascoët ist ein Pseudonym für das Künstlerehepaar Marie Pommepuy und Sébastien Cosset – nach einem Ort in der Bretagne. Ihr Bilderbuch ›Mein Weg mit Vanessa‹ ist, wie so viele ihrer Comics und Illustrationen, liebevoll gezeichnet und mit bunten Farben ausgemalt. Es zeigt eine fast heile Welt, in der es eben auch liebevoll und bunt zugeht. Und das ganz ohne Text, nur mit den Bildern erzählt. Ein bisschen sehen die comicartigen Bilder aus wie die Karikaturenmenschen von Sempé: süße Kinder mit spitzen Nasen.
Leider ist das Buch aber auch ziemlich platt und reckt den pädagogischen Zeigefinger sehr, sehr hoch. Natürlich gibt es solche Situationen, dass eine Neue beschimpft und gemobbt wird, es gibt ja auch unter Kindern Idioten. Und dann muss man halt einschreiten, und es ist schön, wenn auch Kinder das können oder lernen.
Aber noch selten habe ich ein Kinder- und Bilderbuch gelesen, das in seiner Erzählung von Problemen so eindimensional ist, keine Leerstellen hat, keinen Raum für die eigene Phantasie lässt und voller Klischees ist. So ist Vanessa dunkelhäutig, der mobbende Junge blond. Und am Ende der Geschichte sind alle, aber auch alle Kinder fröhlich, eine einzige große multikulturelle Familie …
Damit nicht genug: Am Ende des Buchs schreibt laut Auskunft des Verlags (im Buch wird das leider nicht erwähnt) eine Lektorin noch eine ganze Seite darüber, »wie du jemandem helfen kannst, der gehänselt wird.« Sie sagt ganz richtig: »Dir mag es wie eine Kleinigkeit vorkommen, aber für das Kind, das gemobbt wird, kann es eine große Unterstützung sein.«
Es folgen einige Tipps, die durchaus richtig und gut sind. Und dann erklärt sie nebenbei auch noch die Bilder, die doch auch ohne Erklärungen deutlich sind: »Das Mädchen in diesem Buch hat mitbekommen, dass ihre Klassenkameradin ausgeschlossen wird. Daraufhin hat sie sich Gedanken gemacht, wie sie sich in ihrer Situation fühlen würde und was sie tun kann.« Was beides nicht so ganz stimmt, denn die Neue hält sich ihrerseits zunächst abseits, was für eine Neue ja normal ist.
Dann wird sie beschimpft, und das bekommt das Mädchen mit, dann erst geht sie auf Vanessa zu. Vorher hat sie auch nicht versucht, sie in die Klasse zu integrieren oder sich mit ihr anzufreunden. Und dass sie sich Gedanken macht, wie sie sich in der Situation fühlen würde, ist nirgendwo zu sehen. Sie ist traurig, es geht ihr zu Herzen, und dann hat sie die rettende Idee …
Also: alles richtig, alles gut und menschenfreundlich. Aber als Bilderbuch viel zu platt und langweilig. Und der Zusatz des Verlags noch dazu völlig unnötig.
Titelangaben
Kerascoët: Mein Weg mit Vanessa
(I Walk With Vanessa, 2018)
Hamburg: Aladin Verlag 2018
40 Seiten. 14,95 Euro
Bilderbuch ab 3 Jahren
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