Mutanten oder Fischmänner?

Comic | X-Men: Die Welt der Mutanten / Aquaman-Anthologie

Das popkulturelle Bewusstsein für Superhelden erweitert seinen Blick. Auch bei Comic-Verfilmungen wird nun mehr Wert gelegt, auf lange Zeit eher weniger beachtete Helden und auf Helden, die einer sozialen Minderheit entstammen. Zwei Anthologien, die die besten Superheldengeschichten solcher DC- und Marvel-Figuren versammeln sollen, kommen da zur rechten Zeit. PHILIP J. DINGELDEY hat sich ›X-Men: Die Welt der Mutanten‹ und die ›Aquaman-Anthologie‹ mit gemischten Gefühlen angesehen.

Der Fischflüsterer

AQUAMANDer Sammelband zu Aquaman versammelt 19 Geschichten von 1941 bis 2013, unterteilt in vier Phasen: der goldenen, silbernen und »wilden« Zeit des Helden sowie sein Revival in unserer Dekade. Dass der Topos des Superhelden eine Mischung aus antikem Mythos und moderner Technik ist – und damit nichts anderes zeigt, als dass, wie es Theodor W. Adorno und Max Horkheimer einst konstatiert hatten, Aufklärung in Mythos umschlägt – ist schon seit Superman bekannt.
Viel offensichtlicher ist dieser Konnex aber eigentlich noch beim von Paul Norris geschaffenen Aquaman. Bei Robert Bernsteins und Ramona Fradons Origin Story von 1959 ist Aquaman halb Mensch und stammt zur Hälfte aus Atlantis, weshalb er nicht nur übermenschlich stark und ein schneller Schwimmer ist, sondern auch mit Fischen kommunizieren und diese kontrollieren kann. Er ist der Herr der Meere; er ist das Bindeglied aus Wasser und Land, mit Attributen und Fähigkeiten, die man sonst dem griechischen Gott Poseidon zuschreibt.

In einer anderen Version wurde er mithilfe einer nicht näher spezifizierten Wissenschaft zum Übermenschen. Von hier aus geht der Band im Galopp durch die Phase des blonden, braven und biederen Aquaman, der das Meer stets vor menschlichen Gefahren oder seinem Bruder verteidigt, über eine Zeit, in der er vor allem als König auftritt, der sein Reich gegen andere mythische Kräfte verteidigen muss, bis hin zu seinem Fall, indem ihm in der Story ›Bis auf die Knochen‹ von Peter David und Martin Egeland von 1994 eine Hand von Piranhas abgekaut wird und er fortan bärtig und düster wird und das virilere Auftreten hat, das wir auch aus der lächerlichen Verfilmung kennen.

Neu aufgelegt wird Aquaman abermals in diesem Jahrzehnt, wenn die typische Heldenfrage gestellt wird, ob der Superheld töten darf, nur dass dieser weniger ein Vigilant wie Batman oder Superman ist, sondern der König seines eigenen Reiches, der sich gerne mal in menschliche Belange einmischt, da er zur Hälfte menschlich ist.

Inhaltlich gibt der Band eine gute Übersicht und zeigt, dass dieser Held zu Recht lange vergessen war und besser unter der Meeresoberfläche geblieben wäre. Die ersten Geschichten sind schlicht zu bieder und langweilig, die Kräfte des Helden sind eher öde und die Möglichkeit mit Meereswesen zu kommunizieren fasziniert doch die meisten Menschen weniger und tangiert unser Sozialleben eher peripher. Auch aus Aquaman eine düstere Gestalt zu machen, kann nicht überdecken, dass der antike Mythos hier bestenfalls ad absurdum geführt wird durch die Plattheit der Storys und Protagonisten.

Erwähnenswerter ist eher der Zeichenstil. Hier zeigt der Band über die Jahrzehnte hinweg eine große Vielseitigkeit, von den recht simplen, infantilen und bunt-kitschigen Zeichnungen der 1940er und 1950er zu den blutigeren, dunkleren, plastischeren und detaillierteren Zeichnungen der letzten Dekaden. Interessant ist dabei auch, dass dem neuen Aquaman der 2010er Jahre wieder der klassische Look der frühen Jahre verliehen wurde – ein eindeutiges Zeichen der Kulturreaktion, der mangelnden Innovation und der Renaissance einer biederen Kunstepoche.

Die Mutantengang

Jünger als Aquaman, aber vielseitiger sind die von Stan Lee geschaffenen X-Men. In der ›X-Men-Anthologie‹ sind elf Geschichten aus den Jahren 1963 bis 2013 vertreten. Während im Aquaman-Band die so ziemlich wichtigsten Geschichten eines nichtssagenden Helden versammelt sind, so sind in der X-Men-Sammlung wohl zu wenige Stücke von vielseitigen und politisch brisanten Protagonisten versammelt.

Denn auch wenn diese Heldengruppe erst im Silbernen Zeitalter der Comic-Superhelden entstanden ist, so treffen dort doch verschiedenste Mutanten aus verschiedenen Kulturen und Geschlechtern, mit körperlichen und mentalen Superkräften, aber auch Handicaps, aufeinander, mit verschiedenen Motivationen – vom eigentlich skrupellosen Moralapostel und Telepathen Charles Xavier, über den erst treu ergebenen, dann eher kritischen Cyclops, der unkontrollierbaren und zerstörerischen Telekinetin Phoenix und natürlich deren Antagonist, der Metalle beherrschende Magneto, der wohl faszinierendste und nachvollziehbarste Superschurke. Dies wird vor allem in der sozial progressiveren und kritischeren Reihe der ›Uncanny X-Men‹ klar.

XMEN DIE WELT DER MUTANTENWährend die X-Men für eine oft naive Aussöhnung von Mutanten und Menschen stehen und Menschen retten, sich gleichzeitig selbst aus Ausgestoßene und Gejagte schützen müssen und auch für ihre eigenen Schäden geradestehen müssen, etwa wenn Phoenix einen ganzen Planeten zerstört, so steht Magneto zeitweise für eine Ablehnung der Menschen, die ihn stets gejagt und gefoltert haben, und die er gleichzeitig für evolutionär unterlegen hält. Dieses Opfer des Holocausts ist im Grunde die radikale Konsequenz menschlicher Zerstörungskraft, wo Xavier ein bourgeoiser Idealist bleibt, der sich seine Gesinnungs- und Gefühlsethik nicht immer leisten kann.

Leider fehlt in dieser Ausgabe jedoch die Geschichte, in der Phoenix zum Dark Phoenix wird. Es findet sich lediglich ihre Anklage und Abrechnung in John Byrnes und Chris Claremonts ›Das Schicksal von Phoenix‹. Dafür findet sich am Ende der Anthologie auch die Minireihe ›Bedrohte Spezies‹ von Grant Morrison aus dem Jahr 2001, in dem es vor allem um die Verfolgung und Diskriminierung der X-Men geht, die hier für den Fremden, den Anderen, die Minderheit stehen. Erfreulich dagegen ist, dass dieser Band nicht dem filmischen Trend folgt und die Figur Wolverine, der mit eher tierischen Fähigkeiten, der stereotypischen Darstellung eines harten Kerls und einer begrenzten geistigen Kapazität auftritt. In diesem Comic wird er zu dem sekundären Protagonisten gemacht, der er verdienterweise ist.

Stilistisch ist das Gebotene hier nicht so unterschiedlich, wie im Aquaman-Band, auch da die X-Men jünger sind. Zwar fangen die Zeichnungen auch infantiler an, werden aber bald durch die Politisierung dunkler und gewalttätiger und wirkungsmächtiger in den Kampfszenen. Hier ist eher interessant, dass die Darstellung der Protagonisten multikultureller wird. Schon von Anfang an spielten die X-Men mit Männer- und Frauenbildern. Bald kommen aber auch andere kulturelle Hintergründe hinzu, die die X-Men zu der wohl diversesten Superheldengruppe machen.

Fazit

Während inzwischen also eigentlich die Superhelden aus dem Hause DC, allen voran Batman, die progressiveren Geschichten liefern, die den Topos des Superhelden hinterfragen und die interessantesten und vielschichtigsten Inhalte präsentieren, so muss in diesem Fall eingestanden werden, dass die X-Men von Marvel von der Tiefe und gesellschaftlichen Bedeutung der Handlung dem banalen Aquaman haushoch überlegen sind.

Erstere präsentieren wichtige soziale Reflektionen, verpackt in spannende Stories, wo der Wassermann auch als düsterer Held nichts als Kindergeschichten präsentiert. Dies wird nur ein kleines bisschen wettgemacht, indem die Auswahl an aufgenommenen Werken in der Aquaman-Anthologie die bessere ist.

| PHILIP J. DINGELDEY

Titelangaben
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