Zuschauen und merken

Roman | Frank Goosen: Kein Wunder

»Ich habe zwar auch an der Verklärung mitgeschrieben, aber immer versucht, das ironisch zu brechen«, hatte Frank Goosen kürzlich über seine Rolle als »Ruhrgebiets-Autor« in einem Interview erklärt. Der 53-jährige Goosen war einst mit seinem Partner Jochen Malmsheimer als kabarettistisches Tresenleser-Duo zu respektabler Popularität gelangt und hatte erst relativ spät zur Literatur gefunden. Dann startete er aber mit seinem später erfolgreich verfilmten Romandebüt Liegen lernen (2001) sofort richtig durch. Das Ruhrgebiet ist für den Bochumer nicht nur Heimat, sondern auch gleichzeitig stets Handlungsschauplatz der eigenen Werke. Von PETER MOHR

Frank Goosen - Kein Wunder»Der Mauerfall war das prägende historische Ereignis meiner Jugend – aber ich habe ihn daheim in Bochum verpennt«, hatte Goosen einmal freimütig eingeräumt. In dieser Zeit kurz vor dem »Umbruch« begleiten wir den Germanistikstudent und Professorensohn Roland Förster aus dem Bochumer »Akademikergetto« auf einem Trip mit seinem Schulfreund Brocki ins noch »geteilte« Berlin, wo sie den gemeinsamen Freund Fränge besuchen wollen, der (offensichtlich der Weltpolitik einen Schritt voraus) eine Geliebte sowohl im Westen als auch jenseits der Mauer hat.

Noch ist nichts von den großen Veränderungen zu spüren, unaufgeregt geht es zu, beinahe bieder. Förster ist ein aufmerksamer Zuhörer, ein penibler Beobachter des Wortes. Da steckt ganz viel Goosen in dieser Figur – etwas unentschieden, aber analytisch und humorvoll: »Von einer Position irgendwo dazwischen konnte man am besten beobachten, das stand für ihn fest.«

Dabei geht es nicht um die große Weltpolitik, sondern um Herz und Schmerz und um Banalitäten wie einen Campingkocher aus dem Osten oder den richtigen Gebrauch des Futur zwei. »Irgendwo stehen Boxen, aus denen etwas kommt, das Förster wehtut, ihm unaufhörlich in den Magen schlägt«, heißt es. Mit der lautstarken Techno-Musik kann der leicht träumerisch-introvertiert gezeichnete Protagonist ebenso wenig etwas anfangen wie mit Wohngemeinschaften.

Frank Goosen ist immer ganz nah bei seinen Figuren und klebt ihnen förmlich beim Schreiben an den Fersen. Seine Schulterblick-Prosa versprüht einen nicht zu leugnenden Charme, denn das Handlungspersonal wird – allen Marotten zum Trotz – nie der Lächerlichkeit preisgegeben. Obwohl weder Förster noch einer seiner beiden Freunde beim Leser übermäßig viele Sympathiepunkte sammeln kann, folgt man den bisweilen naiven Vorwende-Flaneuren doch bereitwillig durch die Spree-Metropole.

»Zuschauen. Und sich alles merken. Und irgendwann aufschreiben«, resümiert Förster, und wir ahnen, dass der junge Student von Anfang zwanzig in den Startblöcken zur Schriftsteller-Laufbahn hockt. Zurück in Bochum reißt Förster zwar keine Mauern ein, aber er entsorgt allerlei Dinge aus seinem Umfeld – vom Geschirr bis zum Fußbodenbelag.

Ein Neuanfang? Das Eingeständnis bisherigen Versagens? Der Goosen-Zyklus schließt sich, und man fühlt sich wieder angekommen bei den Raketenmännern (2013) und summt dazu  Elton Johns Rocket Man, in dem es um Männer geht, die irgendwann auf der »Autobahn des Lebens« die falsche Ausfahrt genommen haben. Wunderbar leicht geschrieben – und dabei die Balance zwischen Verklärung und subtilem Humor mit Bravour gehalten.

| PETER MOHR

Titelangaben
Frank Goosen: Kein Wunder
Köln: Kiepenheuer und Witsch Verlag 2019
352 Seiten, 20 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Von Termoth und Farb

Nächster Artikel

Zurück in verschiedene Zukünfte

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Erlendurs erster Fall

Roman | Arnaldur Indriðason: Nacht über Reykjavík Mit seinem neuen Roman ›Nacht über Reykjavík‹ setzt Islands Krimiautor Nummer 1 fort, was er mit dem Roman ›Duell‹ (2013) begonnen hat: einen Rückblick auf die ersten Dienstjahre des Helden jener 11-teiligen Serie, mit der er zwischen 1997 und 2010 seine Heimatstadt zu einem europäischen Krimischauplatz machte. War Erlendur Sveinsson in der Geschichte um das »Match des Jahrhunderts« zwischen den Schachgiganten Boris Spasski und Bobby Fischer 1972 in Reykjavík allerdings nur eine von vielen Nebenfiguren, löst er im vorliegenden Buch seinen ersten wirklichen Fall. Und darf sich am Ende sogar Hoffnung machen, in

Es ist nicht vorbei

Krimi | Horst Eckert: Wolfsspinne Zum dritten Mal lässt der Düsseldorfer Autor Horst Eckert in Wolfsspinne seinen Kommissar Vincent Ché Veih ermitteln. Der kommt aus einer tief in die deutsche Geschichte verstrickten Familie. Der Großvater ein unbelehrbarer Nazi, die Mutter eine RAF-Terroristin, der Vater – wie man erst in diesem Roman erfährt – zunächst linksextrem, dann zur extremen Rechten konvertiert und ein Cousin aus dem thüringischen Jena als V-Mann des Verfassungsschutzes in die NSU-Affäre verstrickt. Kein Wunder, dass sich Veih mit Vorliebe in Fälle stürzt, die einen politischen Hintergrund besitzen. Auch diesmal dauert es nicht lang, bis er sich mit

Für Zuckerwatte und hungernde Kinder

Roman | Ross Thomas: Der Messingdeal Und weiter geht es mit der Ross-Thomas-Reihe im Berliner Alexander Verlag. Band 14 heißt Der Messingdeal und ist im Original 1969 unter dem Titel The Brass Go-Between erschienen. Zum ersten Mal taucht hier bei Thomas der weltläufig-gebildete »Mittelsmann« Philip St. Ives als handelnde Figur auf. Sein Erfinder hat ihm bis 1976 dann noch vier weitere Abenteuer gegönnt. Alle fünf St. Ives-Fälle erschienen übrigens zunächst unter dem Pseudonym Oliver Bleek – vielleicht um den Eindruck zu vermeiden, hier schriebe einer seine Bücher inzwischen gar zu routiniert herunter. Von einem Qualitätsabfall gegenüber dem Rest des Werks

Die Zukunft war damals meine Sehnsucht

Roman | Arnold Stadler: Am siebten Tag flog ich zurück

Am siebten Tag flog ich zurück, berichtet Arnold Stadler und eröffnet damit ein autofiktionales Spiel um Erinnerungen, Betrachtungen, (Kindheits)Träume. Im Mittelpunkt seines neuen Romans steht eine Reise zum Kilimandscharo, dem höchsten Bergmassiv Afrikas. Doch sind die schönsten Ziele nicht die, die man niemals erreicht? INGEBORG JAISER ist in Gedanken mitgereist.

Einsames Unglück

Roman | Antonio Lobo Antunes: Am anderen Ufer des Meeres

»Was und wie ich schreibe, muss unbedingt etwas mit mir zu tun haben, mit meinen Hirngespinsten und Obsessionen«, hatte der große portugiesische Schriftsteller Antonio Lobo Antunes vor einigen Jahren in einem Interview über sein dichterisches Credo befunden. Seit mehr als zwanzig Jahren wird sein Name in jedem Herbst stets hoch gehandelt, wenn das Rätselraten um die Verleihung des Nobelpreises in die heiße Phase geht. Nun ist der 30. Roman des inzwischen 82-jährigen Portugiesen erschienen, der viele Jahre als Chefarzt einer psychiatrischen Klinik gearbeitet hat. Von PETER MOHR