Unbewohnbar

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Der Planet wird unbewohnbar werden.

So schlimm?

So schlimm. Der Mensch nimmt es auf die leichte Schulter, er wird Zweifel zerstreuen, er wird verharmlosen und wird vom Klimawandel reden.

Damit keine Panik aufkommt, sagte der Ausguck, nahm einige Meter Anlauf, schlug einen Salto und gleich einen hinterher. Es geht um die Zukunft, sagte er.

Gramner macht sich Sorgen.

Sagt er nicht immer dasselbe? Der fatale Wendepunkt, sagt er, sei der Übergang zum Dampfschiff. Außerdem genüge es, einen Blick auf San Francisco werfen, und man sehe die nackte Gier in den Augen der Goldgräber.

Er wird recht haben, Ausguck. Termoth und Sut pflichten ihm bei. Die Wälder stehen in Flammen, die Meeresspiegel steigen, heftige Stürme toben über Land.

Weiß ich doch. Nicht daß mich die Zukunft nichts anginge. Doch das sind ungelegte Eier, und weshalb soll ich mich nicht wohlfühlen hier in der Lagune, weshalb soll ich nicht die Pause genießen, die Scammon wegen der Verletzungen angeordnet hat?

Sie haben Kunststoff erfunden, sagt Gramner, sie begeistern sich jedesmal maßlos an ihren Erfolgen, den Errungenschaften ihrer technologischen Revolutionen, wie sie sagen, sie prahlen und feiern sich in den höchsten Tönen, ihre Musik ist ein ohrenbetäubender Lärm, das ist der anhaltende Rausch ihrer ›Moderne‹.

Sobald sie aber die Folgen spüren, sagte der Ausguck, wechseln sie eilig das Thema. Er streckte sich lang in den Sand und gähnte. Sie müssen abrüsten, ihre Errungenschaften rückbauen, sagt Termoth, das sei die letzte Möglichkeit, vielleicht den Planeten für die lebendigen Geschöpfe zu erhalten – wenn nicht, sagt er, werde ihre so lauthals gepriesene Zivilisation den Bach runtergehen. Und Tschüß. Ab damit. Sie müßten halt auslöffeln, was sie sich eingebrockt haben. Denken wäre hilfreich gewesen.

Du kannst mich wütend machen, Ausguck, weißt du?

Der Ausguck sah Thimbleman verständnislos an.

Wir sind es doch, die damit anfangen, verstehst du, wir lassen zu, daß die Segelschiffe ausgemustert werden und stattdessen Dampfer über die Meere fahren, wir plündern die Schätze der Erde, und unser Walfang gefährdet die Existenz des Grauwals.

Du übertreibst nicht, fragte der Ausguck.

Die Lage sei ausweglos, davon ist auch Gramner überzeugt, bekräftigte Thimbleman. Der Mensch habe zwar den Grauwal davor bewahrt, daß er durch Walfang ausgerottet werde, jedoch die Hinterlassenschaften einer destruktiven Lebensweise würden die Lebewesen zugrunde richten, ja, auch den Wal. Plastik dringe mit feinsten Partikeln in die Nahrungsketten, verseuche das Wasser und die Luft. Dieser Planet, sagt Gramner, sei das Paradies, aus dem der Mensch vertrieben werde, und der Mensch selbst wirke daran tatkräftig mit, wer solle das verstehen.

Das klingt nicht gut, sagte der Ausguck, seine Errungenschaften, die er für fortschrittlich hält und für innovativ, fallen dem Menschen auf die Füße, und am Ende des Tages wird für ihn kein Platz mehr sein.

Er stand auf, nahm einige Schritte Anlauf und schlug einen Salto. Der Tag war subtropisch mild, nichts Schöneres könnte er sich vorstellen, an dieser Lagune ließ es sich aushalten.

| WOLF SENFF
| Titelbild: G.F. and E.B. Bensell (User Tagishsimon on en.wikipedia), Clermont illustration – Robert Fulton – Project Gutenberg eText 15161, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

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Entbehrlich, er ist entbehrlich.

Farb lachte. Verzichtbar.

Die Welt stünde ohne ihn keineswegs schlechter da.

Ohnehin ergeht es ihm miserabel, da greifen auch all seine Versuche nicht, gute Laune zu stiften, ehrlich, er ist überflüssig, und außerdem – was trage er bei zum Wohlbefinden des Planeten, nichts, wer brauche ihn, niemand, er nehme sich vom Kuchen und gebe nichts zurück.

Tilman rückte näher zum Couchtisch und suchte eine schmerzfreie Sitzhaltung einzunehmen.

Durchaus sei denkbar, sagte Farb, daß sein Abgang eine befreiende Wirkung hätte, der Planet würde von Zwängen und Knebelungen erlöst, der Tag zum Beispiel dürfte Persönlichkeit entfalten, als ein lebendiges Wesen wahrgenommen werden wie andere auch, er verströmte gute Stimmung unter einem blauen Himmel, er wäre melancholisch unter dunklen Wolken und Regenschauern, neigte zum Zornausbruch unter Blitz und Hagel.

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