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Musik aus der Geisterstadt

Musik | Interview mit Jan Kerscher aka Like Lovers

Explosiv, chillig, emotional und vor allem: ehrlich. Like Lovers bringt sein Debütalbum heraus. MARC HOINKIS unterhielt sich darüber mit dem Maestro höchstpersönlich.

Like LoversDas Album ›Everything all the Time Forever‹ des Röttenbacher Soundarchitekten Jan Kerscher aka Like Lovers hält, was der Titel verspricht: vielschichtige Klang-Collagen, psychedelische Texte und eine facettenreiche Soundpalette. Die elf abwechslungsreichen Songs reichen von emotional düsteren Gefilden über sphärische Zwischenwelten bis hin zu explosiven Positive Vibration. Dabei ist jedes einzelne Stück ein ausgetüfteltes Konstrukt aus vielen Details und Effekten. Und tanzen kann man darauf auch noch. Am 06. September erscheint seine erste eigene Platte, die Tour startet kurz darauf im Oktober.
In einem Interview gewährt uns Jan Kerscher einen Blick hinter die Kulissen:

Jan, du bist mit Bernadette Kerscher verwandt, anscheinend liegt die Musik bei euch in der Familie. Wie hast du angefangen Musik zu machen?
Das ist schon sehr lange her. Den musikalischen Background bringen meine Eltern mit. Meine Mutter ist mit 18 Jahren nach Deutschland gekommen, um Harfe zu studieren und fing auch später an, Harfen zu bauen. Mein Vater spielt Gitarre und Mandoline und macht hauptsächlich Bluegrass Zeugs. Es gab dann auch immer so Veranstaltungen, wo wir einen Bungalow gemietet haben und mit circa 100 Leuten ein paar Tage dort verbracht und Musik gemacht haben. Zuhause wurde natürlich auch immer Musik gemacht. Ich hab mich relativ lange nicht dafür interessiert, aber mit zehn oder elf Jahren habe ich dann für ein Jahr Saxophon gespielt. Irgendwann musste jemand ein Schlagzeug bei uns auf dem Dachboden lagern und da habe ich mir nicht nehmen lassen, darauf rumzuhämmern. Dieses Schlagzeug war eigentlich der richtige Einstieg für mich, selber Musik zu machen und andere Instrumente zu entdecken.

Like Lovers 2 (c) Melanie Schlösser

Von denen du ja mittlerweile eine ganze Menge spielst. Was läuft denn aktuell bei dir für Musik?
Ich habe aktuell Hayden Thorpe von den Wild Beasts entdeckt, der macht jetzt Solo Projekte. Was immer läuft, ist Radiohead, Here We Go Magic und Three Trapped Tigers. Ich höre auch viel Kendrick Lamar und das Solo Album ›Tilt‹ von Maeckes. Das zählt meiner Meinung nach zu den besten Texten des Deutschraps. Bei mir läuft also alles wild gemischt.

Gutes Stichwort! Ich habe in deinem Album viele verschiedene Einflüsse gehört, vieles klingt eher glattgebügelt, bei anderen Tracks hört man das Live-Ambiente des Studios. Worauf legst du bei deinem Sound besonderen Wert?
Alle diese Lieder entstehen komplett ohne Vorgabe. In den letzten Jahren musste ich viel als Produzent arbeiten und hatte wenig Zeit selber Musik zu machen, aber wenn ich dann mal dazu kam, war das sehr spontan und ich habe einfach die Instrumente benutzt, die gerade herumlagen. Also hatte ich gar nicht die Zeit, Wert darauf zu legen, irgendetwas Bestimmtes zu machen. Das habe ich dann auch irgendwann zu meinem Produzenten Credo gemacht: Ich suche nicht nach spezifischen Dingen, weil man dabei sehr leicht enttäuscht werden kann. Aber wenn du in der Masse von allem nach etwas suchst, was dir gefällt, wirst du immer positiv überrascht. Das ist, wie wenn man Lego spielt. Du kannst entweder ewig nach einem bestimmten Teil suchen oder du leerst die Kiste auf dem Boden aus und nimmst das erste Teil, das du cool findest, und fängst dann an.

Zwischendurch habe ich auch Natur- und Umweltgeräusche gehört. Gehst du manchmal auf Soundjagd?
Ich habe ein Mal einfach das Geschehen im Dorf von unserem Studio aus aufgenommen. Ich hatte die Fenster offen und das es hat sich so friedlich angehört, da habe ich einfach ein Mikro für eine halbe Stunde raus gehalten. Abgesehen davon ist mein Handy voll mit coolen Sounds, die ich mal irgendwo aufgenommen haben. Eins meiner liebsten Geräusche habe ich am Brombachsee entdeckt: Wenn er im Winter zugefroren ist, kann man am Rand dicke Stücke Eis herausbrechen. Wenn man die dann mit Schwung horizontal auf die Eisfläche drauf wirft, zerspringt das Stück in zehntausend Teile und danach rutschen sie noch 30 Sekunden übers Eis und das hat so ein übertrieben zauberhaftes, hallartiges Ausklingen. Das mache ich jeden Winter.

Like Lovers 1 (c) Melanie Schlösser

Du hast auf deinem Album das meiste komplett selber gemacht. Sind denn alle Nicht-Elektronischen Instrumente eingespielt oder benutzt du auch Samples?
Ich benutze teilweise Samples, beispielsweise die Harfe bei ›Infinite‹, da dieses Instrument schwer zu spielen und aufzunehmen ist. Ansonsten ist eigentlich alles eingespielt. Sebastian Schlecht und Marie Schlameus haben fast alle Streicher eingespielt. Die hängen meistens eh hier ab und spielen dann zwischendurch mal was für mich ein.

Du hast auch mit einigen anderen Musikern zusammengearbeitet. Sind das alles alte Kollegen von dir?
Wenn du lange Musik machst, kommen dir irgendwann immer dieselben Gesichter unter und man lernt sich kennen. Die Musikproduktion ist sowieso ein sehr intimer Prozess und dabei lernt man sich lieben. Ich arbeite sehr gerne mit Freunden zusammen.

Welche Rollen haben denn deine Gastmusiker übernommen?
Marie und Sebastian haben die Streicher eingespielt. Sie haben auch dabei geholfen, Streicher für mich zu erforschen, denn Streichinstrumente aufzunehmen ist sehr kompliziert. Dadurch, dass das gute Freunde sind, konnte ich das in einem relaxten Umfeld lernen. Paul Seidel singt auf ›Health‹ etwas, er ist einer meiner innigsten Freunde, daher war mir wichtig, dass er dabei ist. Peter Voigtmann hat auf ›Am I Still Here‹ Drums gespielt. Brody Simpson ist ein unglaublicher Schlagzeuger aus Australien und ist auf ›Levitation‹ zu hören. Hannah Epperson, die ich vor ein paar Jahren kennengelernt habe und die eine kleine Livesession bei uns gemacht hat, singt auf ›Alive‹ die Gastvocals. Auf ›Fall‹ gibt es noch Maik Czymara zu hören. Er ist ein ganz besonderer Gast, denn er ist der Sänger der Band ›An Early Cascade‹. Das ist die erste Band, mit der ich eine Platte gemacht habe und nicht vorher schon kannte. Er hat sich auch den Namen ›Ghost City Recordings‹ ausgedacht, ich kenne ihn mittlerweile seit 15 Jahren.

Deine Texte sind sehr aussagekräftig und auch ziemlich psychedelisch. Hattest du eine bestimmte Intention für dein Album, oder musste das einfach mal alles raus?
Wenn man Dinge beobachtet, hat man grundsätzlich drei Möglichkeiten: Ignorieren, sich damit befassen und Texte schreiben oder man wird aktiv und tut etwas. Ich schreibe am liebsten Texte und die kondensieren alles, worüber ich nachdenke. Wenn ich schreibe, passiert das alles unterbewusst und ich weiß oft erst Jahre später, was ich da meinte, oder woher diese Gedanken kamen. Wenn mich jemand fragt, was ein bestimmter Song bedeutet und ich erkläre es dieser Person, dann verstehe ich es oft erst selbst in diesem Moment.

Das klingt ja sehr bedacht. Wie lange hast du denn an deinem Album gebastelt?
Die Frage ist unbeantwortbar. Die ersten Ideen stammen aus dem Jahr 2010, da habe ich mit ›Float on Your Love‹ angefangen. Der Song war damals noch nicht fertig und ich konnte mich wegen meiner Arbeit als Produzent nur nebenbei damit beschäftigen. Dadurch haben die Songs aber auch eine größere Bandbreite und eine längere Reifezeit. Wenn du etwas ein halbes Jahr liegen lässt und dann immer noch die Energie dafür aufbringen kannst, daran weiter zu arbeiten, dann bist du an etwas Gutem dran. So konnte mein Geist auch ruhen und das hat etwas Gutes mit den Tracks gemacht. Die letzten fünf oder sechs Jahre kann man wohl als Arbeitsraum einfassen, so richtig intensiv wurde es dann im Jahre 2018.

Deine Songs reifen also wie ein guter Whisky. Wie würdest du deine Musik einordnen?
Sehr schwierig. Einordnungen in musikalische Kategorien finde ich unsinnig, die sind nur da, um ganz grob eine Richtung anzugeben. Ich finde Sachen gut, die ganz unterschiedliche Genres haben. Manchmal höre ich eine Band nicht, weil ich den Namen doof finde. Später höre ich sie mir auf Empfehlung doch mal an und finde sie dann voll geil! Jede Bezeichnung erweckt potenziell Vorurteile, denen du vielleicht gar nicht angehörst. Wir sagen aktuell immer Post Pop mit Weltuntergangscharme.

Das passt ja auch irgendwie zu eurem Namen. Wie bist du eigentlich zu Ghost City Recordings gekommen?
Mehr oder weniger ein bisschen durch Zufall. Ich habe mit siebzehn oder achtzehn auch in Bands gespielt und war dabei immer der Dude, der sich genug für Computer interessiert hat, um Demos aufzunehmen. Irgendwann habe ich auch für Kollegen Demos aufgenommen und dann habe ich in Nürnberg nach Konzerten einfach Bands angesprochen, ob sie mit mir etwas aufnehmen wollen. Später hab ich dann auch Geld dafür verlangt und mir Equipment gekauft. Seit 2010 bin ich bei Ghost City Recordings.
Die Branche ist ja leider nicht stabil: Wenn Musiker weniger verdienen, haben sie auch weniger Geld zum Aufnehmen. Außerdem kann man auch zu Hause selber sehr gut aufnehmen, so kann man das Geld auch in sein eigenes Equipment stecken. Ich habe selbst den Großteil meines eigenen Albums irgendwo unterwegs und gar nicht in meinem eigenen Studio aufgenommen. Vieles davon ist in irgendwelchen WG Zimmern entstanden.


Like Lovers – Fall

Wo ja auch oft die meiste Inspiration zu holen ist! Dein Album kommt jetzt bald heraus und du gehst auf Tour. Hast du schon Pläne, wie es danach weiter gehen soll?
Bis Mitte November bin ich erst einmal nur mit Like Lovers beschäftigt. Dann habe ich bei Ghost City Recordings weitere Produktionen und danach werden wir wieder spielen.

Danke für das Gespräch, eine letzte Frage habe ich noch an dich: Lieber Ballermann 6 oder Wellness im Allgäu?
Auf jeden Fall Wellness im Allgäu.

| MARC HOINKIS
| FOTOS: MELANIE SCHLÖSSER

Tourdaten
09.10.19 Frankfurt a.M., The Cave
11.10.19 Luxemburg, De Gude Wellen
12.10.19 Nürnberg, Nürnberg Pop Festival
13.10.19 Mannheim, Peer 23
14.10.19 München, Heppel & Ettlich
16.10.19 Jena, Trafo
17.10.19 Berlin, Badehaus
18.10.19 Hamburg, Hebebühne
19.10.19 Moers, Bollwerk 107

28.01.20 Darmstadt, Schlosskeller
29.01.20 Stuttgart, Juha-West
31.01.20 Göttingen, Nörgelbuff
01.02.20 Celle, MS Loretta
03.02.20 Würzburg, Cairo
04.02.20 Mainz, Schon Schön
05.02.20 Neunkirchen, Stummsche Reithalle

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