Der Stolz der Erde

Lyrik | Wolfgang Denkel: Gedichte

Der letzte Löffel

Aus dem Vollen schöpfen –
kaum je genossen
Aus dem beinah
Leeren schöpfen
war meine geheime
Wonne, von Kindheit an

 

Das Apfelmus aus dem
Verschlußglas – ich füllte
es in eine Schüssel
Von dort gab ich
immer nur wenig
ins Glas zurück
um sieben oder neun Mal
den Rest, den
letzten Löffel
zu kosten
So wollte es
mein Kinderherz

 

Aus dem Mund

Gestank, Lippenbekenntnis
und aufrichtiger Liebesschwur
Erbrochenes und Gesang
himmelwärts, von unten drängend
Seichtes, aber auch
Kinderschmerz vertreibender
Mütterhauch
Kirschkerne, Flüche
und stimmlos
gestammelte Vergebung

 

Der Stolz der Erde

Ein Kind mit kahlem
Schädel ruft seine Eltern
und die Eltern rufen mit
Kinderstimmen zurück
Die weißrandigen Wolken
bleiben davon unbeirrt
Ebenso das Blau am Flügel-
rand des Tagfalters
Dieser innige, alles Verstehen
überbietende Stolz der Erde,
nichts vom Widersinn zu löschen

| WOLFGANG DENKEL

Nach einem Studium der Germanistik und Philosophie lebt Wolfgang Denkel, 1958 im Rheinland geboren, als Schriftsteller, Maler und Bildhauer in Hamburg. Im Grazer Literaturverlag Droschl erschien 2008 sein Romanerstling ›Ja. Nein. Ja‹ , 2015 folgte dort sein Erzählungsband ›Eines geeigneten Tages‹.
Mit ›Schulterblatt‹ debütierte er im vergangenen Jahr als Lyriker; er liest daraus am Mittwoch, den 9. Oktober, 19 Uhr, im

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

If I Think Of Love, I Think Of You: New Release Reviews

Nächster Artikel

Von der Zeit und der Erinnerung

Weitere Artikel der Kategorie »Lyrik«

Ein Totentänzchen geschafft

Lyrik | Peter Rühmkorf: Paradiesvogelschiß Paradiesvogelschiß heißt der letzte Gedichtband Peter Rühmkorfs. Kurz nach der Publikation ist der Achtundsiebzigjährige im Juni gestorben. Als seine lyrische Abschiedsvorstellung war das Buch wohl auch gedacht. Neben letzten Gedichten enthält es vornehmlich gereimte und ungereimte Selbstgespräche und Merkverse, Sentenzen und Aphorismen aus dem Nachlass zu Lebzeiten des Dichters von ihm selbst seiner Werkstatt entnommen. Von WOLFRAM SCHÜTTE

Lyrische Viten in melancholischem Sound

Lyrik | Jan Skudlarek: elektrosmog STEFAN HEUER rezensiert Jan Skudlareks neue Lyriksammlung elektrosmog. Der bei Luxbooks erschienene Band wurde von Simone Kornappel illustriert.

»Die Wahrheit ist ein Weib, aber ein Wasserweib«

Lyrik| Doris Runge: Zwischen Tür und Engel So harmonisch das Kloster in Cismar und das dortige »Weiße Haus« in die Landschaft Ostholsteins eingebunden sind, so angenehm ist sogar im Hochsommer zur Badesaison des nahe gelegenen Ostseebads die dortige Ruhe und »Insellage« des Klostergemäuers – schattig und kühl die Lage, besinnlich und fast meditativ der Ort und nur wenige Touristen machen hier einen Zwischenhalt. In diesem besonderen, abgegrenzten Areal lebt seit 1976 die mecklenburgische Dichterin Doris Runge. Anlässlich ihres 70. Geburtstags hat die Deutsche Verlagsanstalt in diesem August ihre gesammelten Gedichte in einem wunderbar gestalteten Sammelband herausgegeben – zwischen tür und

Drei Gedichte

Lyrik | Peter Engel: Drei Gedichte

In einem Zuge

Wenn dir der besondere Tag
den Stift führt und ihn gleiten läßt,
wie von anderer Hand geführt,
dann schreibt sich die Morgenstunde
selbst hin mit ihren Eigenarten,
ist heiter wie der Vormittag.