»Willkommen im Reich des digitalen Volkszorns!«

Roman | Johannes Groschupf: Berlin Prepper

Was geschieht mit all dem Meinungsmüll, der via Kommentarfunktion rund um die Uhr auf die Online-Seiten unserer Nachrichtenorgane gespült wird? All jene Pöbeleien, Beleidigungen und Hasstiraden – wer nimmt sich ihrer an? Walter Noack arbeitet als Online-Redakteur bei einer großen Tageszeitung und ist mit dafür verantwortlich, dass gelöscht wird, was nicht in die Öffentlichkeit gelangen soll. Täglich entfernt er Abertausende Wortmeldungen von Menschen, die voller Hass in einer Welt leben, auf deren Lauf sie keinen Einfluss mehr zu haben glauben. Aber bleibt da nichts zurück in einem Menschen von all dem wortgewordenen Gift? Von DIETMAR JACOBSEN

Walter Noack arbeitet als Content Moderator in einem Berliner Zeitungshaus. Tag für Tag, Schicht für Schicht löscht er 30.000 Hasskommentare. Ein Ende ist nicht in Sicht – und seit die Kanzlerin mit ihrem »Wir schaffen das!« zuerst für Euphorie und dann zunehmend für Unruhe gesorgt hat, schwillt der Strom an unflätigen Pöbeleien noch einmal merklich an.

»Die Leser überboten sich in Beleidigungen und Anwürfen […] Merkel war die Stiefmutter, die ausländische Flüchtlinge mehr liebte als sie […] Sie hatte sich mit allen Mächten der Finsternis gegen das Volk verschworen, mit Soros und anderen Finanzjuden, den Linken, den Sozen und den Grünen, den Moslems, den Messerstechern.«

Delete, delete, delete!

Stoisch löschen der 44-Jährige und seine Kollegen all den Schmutz, der da rund um die Uhr auf den Kommentarseiten abgesondert wird. Wie ein dunkel-bedrohlicher Chor zieht sich jenes »Delete, delete, delete« als Leitmotiv durch Johannes Groschupfs Roman. Doch schlägt man der Hydra des Hasses einen Kopf ab, wachsen zwei neue nach. Wenn die Zeitungskrise Opfer fordert, Redaktionen zusammengelegt werden müssen, Stellen einzusparen sind, trifft es deshalb auch nie jene, die täglich durch all den Müll der Kommentarspalten waten müssen. Sie haben einen zwar schmutzigen, aber immerhin sicheren Arbeitsplatz. Doch sind Noack und Kollegen selbst auch sicher? Oder lebt man als jemand, der für die alles Hassenden einen besonders üblen Teil der so genannten »Lügenpressse« verkörpert, nicht besonders gefährlich?

Als Noack eines Nachts hinterrücks niedergeschlagen wird und im Krankenhaus wieder zu sich kommt, muss er sich diesen Fragen stellen. Und als es kurz darauf erst eine junge Kollegin, zu der er ein besonderes Verhältnis hat, und dann den eigenen Sohn, der die Täter nicht so einfach davonkommen lassen will, trifft, scheint jene Zeit nicht mehr fern zu sein, auf die er sich als Prepper, also einer, der sein Leben mit Vorbereitungen auf mögliche Katastrophen verbringt, Lebensmittel hortet und eisern sein tägliches Fitnessprogramm durchzieht, seit Jahren eingestellt hat.

Überleben im Katastrophenfall

Johannes Groschupf hat selbst als Reisejournalist für große deutsche Tageszeitungen und Wochenblätter gearbeitet. Mit Berlin Prepper ist ihm nun ein Roman gelungen, der das aktuell in Deutschland herrschende Klima zwischen Politikverdrossenheit und Protestwahlen, Pegida-Aufmärschen und neurechter Parolendrescherei in den Fokus nimmt und mit seiner zentralen Figur einen Menschen porträtiert, der scheinbar auf jede nur denkbare Katastrophe vorbereitet ist, dem Einbruch von Gewalt in sein eigenes Leben aber letzten Endes nur dadurch zu begegnen vermag, dass er in einem in der Sommerhitze durchdrehenden Berlin selbst zur Gewalt greift.

Nahezu unmerklich vollzieht sich das Abgleiten Walter Noacks in eine Szene, in der die Unterschiede zwischen rechten Terroristen und Reichsbürgern, spinnerten Preppern, die Raviolidosen und Kerzen in Wohnungen und Waldverstecken horten, und den ihren Hass auf alles und jeden – einen Hass, der im Grunde hauptsächlich auf die eigene Lebensschwäche zielt – in die Kommentarspalten der Medien Pumpenden nur noch marginal sind. Ein brisanter Zeitroman – nicht nur spannende Unterhaltung, sondern auch jede Menge Stoff zum Nachdenken.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Johannes Groschupf: Berlin Prepper
Berlin: Suhrkamp Verlag 2019
237 Seiten. 14,95 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Wer bin ich?

Nächster Artikel

Vom Klempner zum Architekten

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Erinnerung wie Knete

Roman | Ulrike Almut Sandig: Monster wie wir

»Ich wollte vor allem einen Roman über den Zusammenhang von gesellschaftlich strukturierter Gewalt und sexualisierter Gewalt in Familien herstellen«, hatte Ulrike Almut Sandig wenige Tage vor Erscheinen ihres ersten Romans in einem Interview erklärt. Vier Lyrikbände, Hörspiele, ein Musikalbum und zwei Erzählungsbände liegen bereits aus der Feder der 41-jährigen, mehrfach preisgekrönten Autorin vor. PETER MOHR hat Sandigs Romandebüt gelesen.

Die Söhne von Carl Ott

Roman | Tom Franklin: Krumme Type, krumme Type In Chabot/Mississippi ist eigentlich der Hund begraben. Sodass eine Klapperschlange, die jemand in einem Briefkasten deponiert hat, schon fast die größte Bewährungsprobe für den örtlichen Polizisten Silas Jones darstellt. Ansonsten stellt er Strafzettel aus und regelt in Stoßzeiten per Hand den Verkehr vor dem örtlichen Sägewerk. Doch plötzlich ist die 17-jährige Tochter des Sägewerksbesitzers verschwunden und ein Mann, mit dem Silas in seiner Jugend befreundet war, wird in seinem Haus angeschossen. DIETMAR JACOBSEN über Tom Franklins neuen Roman Krumme Type, krumme Type.

Feindliche Übernahme

Roman | Dominique Manotti: Kesseltreiben Dominique Manotti gilt als Expertin in Wirtschaftsfragen. Und, weil sich in ihren Romanen profundes ökonomisches Wissen, ein wiedererkennbarer Individualstil und das Gespür für spannende Plots verbinden, auch als eine der besten und aufregendsten Thrillerautorinnen, die Europa zurzeit hat. Von DIETMAR JACOBSEN

Tod der Tochter

Roman | Daniela Krien: Mein drittes Leben

»Wie ein schwarzes Loch steht es im Zentrum meines Seins und schluckt jede Zukunft, bevor sie beginnen kann.« Das schwarze Loch, in das die Protagonistin Linda in Daniela Kriens neuem Roman gefallen ist, weitet sich aus zu einer tiefen Lebenskrise. Sie war als Kuratorin beruflich erfolgreich und führte mit dem bildenden Künstler Richard eine glückliche Beziehung. Und dann war nichts mehr so, wie es vorher war. Von PETER MOHR

Neues aus dem west-östlichen Diwan

Roman | Michel Bergmann: Herr Klee und Herr Feld Mit seinem dritten Band Herr Klee und Herr Feld hält gediegene Bürgerlichkeit Einzug in Michel Bergmanns Frankfurter Trilogie: Stellenweise blitzt zwar die gewohnte Mischung aus Esprit und Absurdität auf, dennoch plätschert dieser Teil über weite Strecken eher im staatstragenden Parlieren dahin. Michel Bergmann erzählt vom jüdischen Leben als Teil Deutschlands. HUBERT HOLZMANN hat die humorvollen Pointen durchaus genossen.