Jugendbuch | Ami Polonsky: Und mittendrin ich
Was ist, wenn die Dinge nicht so sind, wie sie scheinen? Manches lässt sich sicher einfach zurechtrücken, anderes wird schwer. Dazu gehört die Geschichte von Grayson. Von ANDREA WANNER
Jo im roten Kleid erschien 2004, ein spektakuläres Bilderbuch von Jens Thiele, das die Geschichte eines Coming-out erzählt. Auf die Frage »Was würdest du machen, wenn du heute ein Junge wärst?« lautet die Antwort »Ich würde vielleicht mit dir einen kleinen Boxkampf veranstalten. Oder ich würde mir ein schönes Kleid anziehen.« Jo zieht sich das Kleid an und wirbelt damit durch die Geschichte.
Ein berührendes Jugendbuch zu einem schwierigen Thema, das immer noch vorurteilsbelastet ist.
Grayson träumt auch von schönen Kleidern, von Prinzessinnen, Mädchengetuschel und langen Haaren. Aber Grayson ist ein Junge. Ein Waisenjunge noch dazu, der früh beide Eltern bei einem Unfall verloren hat und jetzt bei seinem Onkel und seiner Tange lebt mit einem älteren und einem jüngeren Stiefbruder. Schillernde, weichfließende Stoffe sind herrlich. Grayson berührt sie manchmal im Secondhandladen. Das war es dann aber auch schon. Bis es jenen entscheidenden Moment gibt, an dem er sich ein Herz fasst.
Eigentlich sind es zwei Momente. Der erste der, in dem er beschließt, für eine Rolle beim neuen Theaterstück an der Schule vorzusprechen. Immerhin leitet sein Lieblingslehrer die Theater-AG. Und der zweite, als er nicht wie geplant beim Vorsprechen die Rolle des Zeus wählt wie geplant, sondern als sie sich spontan umentscheidet und die Hauptrolle, die der Persephone wählt.
An dieser Stelle mag einem die Story bekannt vorkommen. Alex Gino hat genau diese Geschichte schon einmal erzählt (und eine tolle Besprechung dazu gibt es von MAGALI HEIßLER). Vielleicht kennt Ami Polonsky das Buch auch. Vielleicht auch nicht. Glaubwürdig erzählt sie von Grayson, die viel Mut aufbringen muss, sie selbst zu sein. Denn klar, alle sehen den Jungen, nur sie selbst weiß, dass sie in ihrem Inneren schon immer ein Mädchen war. Das auch nach außen zu zeigen, ist schwer, denn natürlich reichen die Reaktionen ihrer Umwelt von nachsichtig lächelnd über spöttisch grinsend bis hin zu tätlichen Angriffen.
Polonsky lässt ihre Heldin in der Ich-Form erzählen, lässt ihr Zeit, nach den richtigen Worten zu suchen und ihre Gefühlen nachzuspüren. Fremd fühlt sich das an und trotzdem nachvollziehbar. Unterstützung gibt es auch – oft von unerwarteter Seite. Und einmal sogar aus der Vergangenheit.
Ein berührendes Jugendbuch zu einem schwierigen Thema, das immer noch vorurteilsbelastet ist. Falsches Wissen, Halbwissen, vermeintlich Richtiges und wirklich Richtiges müssen gegeneinander abgewogen werden. Grayson hat einen ersten Schritt getan, ihr weiterer Weg wird nicht leicht. Und eine Rolle auf der Bühne ist eben doch nur ein Spiel. Ein offenes Ende lässt hoffen, dass ihr Weg auch im wahren Leben der richtige sein kann und darf.
Titelangaben
Ami Polonsky: Und mittendrin ich
(Gracefully Grayson 2914). Aus dem Amerikanischen von Petra Koob-Pawis
München: cbj 2019
286 Seiten 15 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren
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