Comic | Alexander Braun (Hrsg.): George Herrimans ›Krazy Kat‹
George Herrimans Comic-Strips der Serie ›Krazy Kat‹ gelten als Pionierwerke der Comickunst, noch lange bevor Comic-Hefte oder Graphic Novels gesellschaftsfähig wurden. Über zehn Jahre, von 1935 bis 1944, zeichnete Herriman einseitige Strips in der Sonntagsausgabe der US-amerikanischen Zeitung ›Evening Journal‹. Die Handlungsstränge zwischen einer Katze, einer Maus und einem Hund legen damit das Fundament für viele Zeichner und gelten die Inspiration für viele weitere Geschichten – von »Tom & Jerry« bis zu Charles M. Schulz‘ ikonischem »Charlie Brown«. So war es längst überfällig, dass der Comic-Experte Alexander Braun nun sämtliche Sonntagsseiten von Herriman in Farbe herausgegeben hat – in einem massiven beeindruckenden Kunstband. PHILIP J. DINGELDEY hat sich das Mammutwerk angesehen.
Braun selbst hat bereits als Kurator für Ausstellungen zu frühen Comic-Strips in den USA fungiert und hat Bände zu anderen Comic-Pionieren, wie Winsor McCay, herausgegeben. Diese brachten den Comic in Massenmedien unter und machten ihre Kunst so reproduzierbar und leicht zugänglich, wenn auch weniger auratisch. Nun hat Braun sich Herriman gewidmet.
Die Handlung von ›Krazy Kat‹ ist dabei denkbar simpel. Die Katze Krazy ist hoffnungslos in die Maus Ignatz verliebt. Ignatz jedoch, der eine besonders kriminelle und aggressive Ader hat, wirft lediglich mit Ziegelsteinen um sich, wobei Krazy sein Lieblingsopfer ist. Ausgleichend wirkt dabei nur der Polizeihund, Officer Bull Pupp, der versucht Ignatz aufzuhalten und der selbst wiederum in Krazy verliebt ist. So ergibt sich eine hoffnungslose Dreiecksbeziehung, die nie wirklich befriedigt wird und daher tendenziell ewig hätte so weitergehen können.
Die Einfachheit dieses Perpetuum Mobiles ist wohl auch sein Erfolgsrezept. Die Handlung und die Aufstellung der Protagonisten sind leicht verständlich für jedermann, die manchmal auch nur oberflächlich oder implizit angedeuteten Gefühle dieser Dreiecksbeziehung sind allgemein nachvollziehbar und nicht allzu komplex dargestellt. Dennoch haben die Comic-Strips hin und wieder sozialkritische Implikationen. Etwa werden der US-amerikanische Rassismus oder auch die Überzogenheit politischer Wahlkämpfe thematisiert. Insgesamt werden dabei auch allgemeine Themen bearbeitet, wie unerfüllte Liebe und enttäuschter aber nie kleiner werdende Sehnsucht, die von Episode zu Episode neurotischer wird, so wie auch Ignatz‘ Fetisch für Ziegelsteine kontinuierlich zunimmt. Dadurch werden die Strips vielschichtiger und eröffnen, wie jedes gelungene Kunstwerk, mehrere Zugangsebenen auf unterschiedlichen Niveaus.
Ästhetik des Ghettoslangs
Auch zeichnerisch steckt hinter den Scheinbanalitäten noch Einiges mehr. So sind zwar die farbigen Zeichnungen recht einfach und nicht sonderlich filigran – das ist auch nicht Sinn der künstlerischen Massenproduktion. Dennoch bemerkt der Leser hier mindestens drei stilistische Verfremdungseffekte, die die Geschichten manchmal grotesk oder surreal erscheinen lassen: Erstens werden die stereotypen Rollen von Hund, Katze und Maus in Form der unerwiderten Liebe unterminiert, wenn die Katze die Maus und der Hund die Katze liebt, was an sich schon für eine Fabel absurd ist. Zweitens fällt die vierte Wand hin und wieder um, wenn etwa die Protagonisten Herriman selbst adressieren und sich über die Art, wie sie gezeichnet sind, beschweren; sie gehen sogar mal in Tintenflecken auf. Und drittens bleibt die Handlung zwar immer relativ simpel, aber von Panel zu Panel ändert sich oft, ohne weiteren Kontext, der optische Hintergrund – die allgemeingültige Handlung von Sehnsucht, Neurose und Sozialkritik ist in wohl jedem Setting gültig.
Auch sprachlich bleibt der Duktus der Einfachheit erhalten. Nicht nur, dass die Protagonisten sich simpel ausdrücken; nein, sie sprechen sogar in einem starken Ghettoslang (was schon die Schreibweise des Titels verrät). So sprechen die Protagonisten die Sprache der kleinen Leute auf der Straße – und dennoch verfremden sie dies, indem sie eben Tiere sind.
Dieser Slang ist dem heutigen deutschen Leser natürlich eher schwer zugänglich. Denn Braun hat die Sonntagsseiten in seinem dicken Wälzer nicht nur in der beachtlichen Originalgröße, sondern auch in der Originalsprache herausgegeben. Und in der Tat wäre eine Übersetzung so mancher Worte und Formulierungen ziemlich schwer. Zudem würde dadurch einiges an sprachlich-proletarischem Charme durch eine Übersetzung verloren gehen – man muss sich also für die Sprechblasen so einfach ein bisschen mehr Zeit nehmen.
Neben der kompletten Sammlung der Sonntagsseiten hat Braun seinem Band noch eine über 100-seitige, kongeniale Einführung zu Herrimans Leben und Werk angehängt. Dabei begnügt Braun sich nicht, Herrimans Weg von New Orleans, über Los Angeles nach New York nachzuzeichnen, sondern er untergliedert auch das Früh-, Haupt- und Spätwerk.
Das Ganze wird dann auch noch in einen fundierten kulturhistorischen und rezeptionsgeschichtlichen Kontext gesetzt. Dies alleine wäre schon genug für eine eigene Monographie gewesen.
Herriman kann man so mit großer Sicherheit als der beste Repräsentant der frühen Comic-Kunst gelten, nicht nur weil er ein Katzenfan ist, sondern weil sich in seiner einfachen Liebesgeschichte vielschichtige Handlungs- und Stilebenen voller Neurosen und Fetischen verstecken. Somit hat er eine neue Fabelserie geschaffen. Seine Zeichnungen sind mal unterhaltsam, mal kritisch, und besonders die fiktiv-tierischen Protagonisten haben dabei das Recht, Wahrheiten oder Thesen auszusprechen, die sonst in der Realität niemand so aussprechen würde. Durch diese Distanz zur realen menschlichen Gattung hat sich für Herriman eine Sphäre der Freiheit in einem potenziell unkritischen Massenmedium generiert.
Braun hat so eine wertvolle und beeindruckende Sammlung im riesigen und edlen Großformat vorgelegt und kommentiert. Ein großartiges Werk für Liebhaber.
Titelangaben
Alexander Braun (Hrsg.): George Herrimans ›Krazy Kat‹
Die kompletten Sonntagsseiten in Farbe, 1935-1944
Köln: TASCHEN 2019
In Leinen gebunden, 632 S., 150 Euro
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