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Die wilden 20er – Reloaded

Bühne | Show:Berlin, Berlin

Berlin wuchs in den 1920er Jahren zur drittgrößten Stadt der Welt heran. Nach dem ersten Weltkrieg stand in den städtischen Theatern das Amusement an erster Stelle. Es wurde getanzt, gelacht und gesungen. Regisseur Christoph Biermeier präsentiert 100 Jahre später einen Einblick in das Goldene Zeitalter mit dieser ganz besonderen Revue.
ANNA NOAH wurde Zeugin, wie das Flair dieser Zeiten mit »Berlin, Berlin« noch einmal lebendig wird.

Zurück zu den Wurzeln

Berlin hatte anscheinend bereits immer den Ruf als die Stadt, in der sich jeder nach seinen Interessen ausleben konnte. Dazu gehörte besonders ein ausschweifendes Nachtleben. Mitten im Trubel stand der Admiralspalast in der Friedrichstraße, damals wie heute eines der bekanntesten Revuetheater der Stadt.

Berlin berlin! Foto: Christian Kleiner 03

Erneut schicken die Darsteller das Publikum mit unter-die-Haut-gehenden Musikstücken und rasanten Tanzchoreographien sowie einer guten Prise Humor auf eine Zeitreise in die »Goldenen 20er«.
Martin Bermoser alias »Admiral« beginnt den Abend mit dem bekannten Musical-Song »Puttin’ on the Ritz« von Irving Berlin. In den ersten Sekunden hat er das Publikum damit für sich eingenommen, denn kein anderer Song kommt dem 20er-Jahre-Flair derart nahe. Währenddessen gibt es die erste Showeinlage mit etlichen Tänzern und Sängern. Im weiteren Verlauf des Abends führt Admiral apart und großzügig durch das Programm – nicht ohne ab und an am Absinth zu nippen.
Nach der Anfangsszene geben sich die Stars jener Epoche nahezu die Klinke in die Hand: Marlene Dietrich, Anita Berber, Josephine Baker und auch die Comedian Harmonists dürfen nicht fehlen.

Zusammen mit Admiral und seinem Laufjungen Kutte, gespielt von Sebastian Prange, startet die Show temporeich, plätschert bis zur Pause beschwingt und mit grandiosen Gesangseinlagen dahin, wird kurz vor Ende dann stark bedrückend, um zum Schluss einen hoffnungsvollen Bogen zu schlagen. Alle Darsteller sprühen vor Charme und aufgrund der inhaltlichen Vielfalt dürfte jeder Zuschauer das Gesamtwerk der Darbietung ein bisschen anders erlebt haben.

Tempo und Witz

Die VIPs der Stadt kommen nach und nach in den Showpalast. Die Bühne wird in zwei Ebenen mit verstellbaren Treppen geteilt. Anfangs sitzen Bert Brecht und Kurt Weill am Tisch. Die ›Dreigroschenoper‹ hat bald Premiere, aber der Haifisch hat noch keine Zähne. Peinlich, also schnell noch einen Hit schreiben. So entsteht »Mackie Messer«.
Im Hintergrund der Szenen zeigt der Admiralspalast den Betrieb des Vergnügungsetablissements vorzüglich. Kutte braucht eine Anstellung und treibt allerlei Schabernack mit den Zuschauern, etwa sein »Lach-Foxtrott«. Klavier und Gelächter – das ist alles! Er animiert das Publikum enorm und der Saal amüsiert sich – auf und vor der Bühne.

Ein Handlungsstrang gehört Marlene Dietrich, gespielt von Nina Jahnke. Oder gehört er ihren langen Beinen? Man weiß es nicht so genau, in jedem Fall aber muss sie schnell noch den Tonfilm revolutionieren. Dabei hält sie eine authentisch-lange Zigarettenspitze in der Hand. Leider hat die Diva zwar die berühmte rauchige Stimme und ist »ganz und gar auf Liebe eingestellt«, aber die Präsenz konnte nicht so ganz überzeugen. Es fehlte ein Tick Unnahbarkeit.

Nicht weniger bekannt war damals Anita Berber, gespielt von Sophia Euskirchen. Ihres Zeichens Femme fatale ist sie weder Rauschgift noch Absinth abgeneigt und daher unter dreißig bereits verstorben. Sie hat so viel Stimmpower und Bühnenpräsenz, dass ihr an diesem Abend für ihre Darstellung stehende Ovationen sicher waren. Ob rotes Kleid oder schwarzer Hosenanzug, sie singt mit Marlene »Wenn die beste Freundin« oder mimt ihre Paraderolle, die sie bereits im Tipi am Kanzleramt spielte, Sally Bowles mit dem »Cabaret« – Song aus gleichnamigem Musical.

Ebenfalls unvergessen sind die »Comedian Harmonists«. Gleich nach der Pause singen die fünf Sänger ihr Medley und ihnen wird vonseiten des Publikums zu Recht gehuldigt. Sie machen das, was sie am besten können: Witz versprühen. Dazwischen erzählen sie immer wieder Anekdoten ihrer eigenen Geschichte.

Der dunkle Teil der deutschen Geschichte

Das Stück zeigt in sehr eindringlicher Weise, wie die Harmonists vom Berufsverbot der Nationalsozialisten zerstört werden. Gerade, als Josephine Baker, gespielt von Dominique Jackson, halbnackt und mit ihrem legendären Bananen-Röckchen tanzt, springt im Publikum ein Mann im braunen Hemd auf. Er fordert die Tänzerin auf, sie möge zurück nach Afrika gehen. Das Ensemble kann den Rassisten noch einmal vertreiben – aber der Mann brüllt, bevor er geht: »Wir kommen wieder!«
Josephine Baker und die anderen Darsteller versuchen, Widerstand zu leisten. Doch es ist zwecklos. Musiker und Tänzer können sich nur noch ins Exil retten – inszeniert als kleiner werdende Schatten auf einer riesigen, blutroten Hakenkreuzflagge. Alle singen eine alte Volksweise, die betroffen macht: »Irgendwo auf der Welt.« Das wäre ein extremer, zudem politisch-gespenstiger Schluss für diesen Abend. Allerdings passt ein so düsteres Ende nicht zu einer solch fröhlichen Revue.

Deshalb erträumt sich der Berliner Junge Kutte mit Admiral bessere Zeiten. Er spricht vom Wiederaufbau der Stadt und vom Abriss der späteren Mauer. Dank dieses Kniffs ist das Stück am Ende wieder in der Gegenwart angelangt. Die Nazis sind untergegangen und dies zeigt der letzte, rauschende Showact mit dem Hit aus der Serie Babylon Berlin: »Zu Asche, zu Staub«, bei dem das gesamte Ensemble noch mal alles auf der Bühne gibt.

Die 20er, wohin man blickt

Das 20er-Jahre-Fieber hat Berlin ereilt. Im BKA startet am 15. Januar das Musikkabarett »Berlin, die 1920er Jahre – eine Stadt im Taumel«, im Wintergarten folgt am 14. Februar die Revue »2020«. Überall wird zum 100-Jährigen liebevoll an die Dekade erinnert.

Nichtsdestotrotz ist ›Berlin, Berlin‹ die Sensation!

Berlin berlin! Foto: Christian Kleiner 01

Abwechslung ist bekanntlich die Würze des Lebens. ›Berlin, Berlin‹ ist eine bunte Mischung verschiedenster Highlights mit Darstellern, die am Ende der Premiere verdient ihre zehn Minuten Standing Ovations bekamen.
Keck, provokant, harmonisch und sexy.

| ANNA NOAH
| FOTOS: Christian Kleiner

Showangaben
Berlin, Berlin (BB Entertainment)
Cast:
Admiral – Martin Bermoser; Anita – Sophia Euskirchen
Kutte – Sebastian Prange; Marlene – Nina Janke
Josephine – Dominique Jackson
Comedian Harmonists – Bagdasar Khachikyan, Florian Peters, Jendrik Sigwart, Emanuel Jessel, Jacoub Eisa

Regie – Christoph Biermeier
Musical Supervisor – Gary Hickeson

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