Comic | Luz: Wir waren Charlie
Letzte Woche jährte sich der Anschlag auf die Redaktion des Pariser Satiremagazins ›Charlie Hebdo‹ zum fünften Mal. 12 Menschen wurden damals ermordet. Zeichner Luz kam mit dem Leben davon – er hatte Geburtstag, erschien daher zu spät am Arbeitsplatz. Mit dem Comic ›Katharsis‹ skizzierte er nur wenige Monate später das Trauma, in das ihn das Attentat stürzte. Nun liegt sein neuer Band ›Wir waren Charlie‹ vor. Dort lässt er seine langjährige Dienstzeit bei ›Charlie Hebdo‹ Revue passieren Von BIRTE FÖRSTER
Nervös und stotternd, der Schweiß läuft ihm nur so herunter, kramt Luz seine Zeichnungen aus der Tasche hervor. Er ist 21 Jahre alt und befindet sich im Innenhof eines Gebäudes in Paris, vor ihm steht einer der berühmtesten französischen Karikaturisten. Und dann die Erleichterung: Cabu mit seiner runden Brille und dem Pott-Haarschnitt hält Luz Karikatur in den Händen – und lacht. Oder kichert vielmehr, strahlt dabei über das ganze Gesicht. Für den jungen Provinzler ist das der Beginn seiner Karriere als Karikaturist und der langjährigen Zusammenarbeit mit Cabu.
In seiner Graphic Novel ›Wir waren Charlie‹ erinnert sich Luz, eigentlich Rénald Luzier, an seine Anfänge als professioneller Zeichner und an die über 20 gemeinsamen Jahre bei ›Charlie Hebdo‹. Beim Terroranschlag auf das Satiremagazin am 7. Januar 2015 kamen Cabu sowie mehrere andere Zeichner wie Charb und Tignous ums Leben, die für Luz mit den Jahren zu Freunden wurden. Er selbst überlebte den Anschlag nur durch einen Zufall. Da er Geburtstag hatte, kam er erst später in die Redaktion.
Traumjob und Trauma
In ›Katharsis‹, seiner Graphic Novel, die ein paar Monate nach dem Anschlag erschienen ist, verarbeitete Luz sein Trauma und beschrieb die Zeit nach dem Attentat. Für eine kurze Zeit lang wurde er Chefredakteur, entwarf außerdem das Titelbild der ersten Ausgabe danach, verließ Charlie Hebdo aber im Sommer 2015.
Den Anschlag lässt der inzwischen 48-Jährige in ›Wir waren Charlie‹ nun bewusst außen vor und setzt seinen verstorbenen Kollegen ein Denkmal. Lebhaft und mit viel Charme charakterisiert er jeden Einzelnen von ihnen. Mit lockerem Strich und in Schwarz-Weiß rekonstruiert er so viele heitere Momente aus dem Redaktionsalltag. Wie sie ihre kreativen Einfälle entwickeln, herumalbern, sich gegenseitig inspirieren oder für ihre Reportagen mit besonderen Kniffen weiterhelfen: Um undercover bei einer Veranstaltung der Jung-Gaullisten zu recherchieren, zeigt Cabu ihm, wie er – ohne draufzuschauen – in der Hosentasche grobe Skizzen anfertigen kann.
Auch die eine oder andere Kabbelei sowie etliche pubertäre Scherze sind Teil der gemeinsamen Arbeit. Und Luz zeigt in seiner Graphic Novel auch, wie sie so manches Mal selbst vor Themen nicht haltmachten, mit denen für andere die Grenze der Satire überschritten ist: Wenn sie zum Beispiel Witze über Menschen mit Behinderung nicht ausließen, wie über einen Jungen mit Down-Syndrom.
Hart an der Grenze
Luz nimmt seine Leser auch auf mehrere Reportagereisen mit. Mitreißend ist dabei, wie er von heiklen Momenten mit vergnüglichem Witz erzählt. Er selbst in Gefahrensituationen einen Blick für sein Gegenüber behält, um es später auf dem Blatt satirisch überzeichnet wieder aufleben zu lassen.
So begleitete er den Sänger Renaud auf einer Tournee durch Jugoslawien. Als er eine Zeichnung von einem Militärgefängnis anfertigt, wird er abgeholt, um zu einer Befragung am Militärgericht gebracht zu werden. Dort bezeichnet er die Skizzen in seinem Notizheft als reines Hobby. Die brenzlige Situation erweist sich als harmlos: Der Richter mit den zugekniffenen Augen und den spitzen Mr.-Spock-Ohren ist ihm freundlich gesinnt, rät ihm aus Unwissenheit sogar, aus der Zeichnerei seinen Beruf zu machen.
Ein anderes Mal recherchiert Luz in der Pariser Banlieue und trifft dort auf den ungemütlichen, allseits gefürchteten Mouss. Zitternd, wie ein kleines Häufchen, steht er vor der Angst einflößenden Gestalt. Noch mehr, als er plötzlich dessen Messer an seiner Kehle spürt. »War’n Witz«, sagt Mouss kurz danach, legt dann freundschaftlich seinen Arm um Luz.
Oft verwebt Luz seine Reportagen mit dem Redaktionsalltag. Indem er Kollegen von seinen Erlebnissen erzählt und sie gemeinsam die Zeichnungen besprechen. Dass all das längst der Vergangenheit angehört, zeigt eine nachdenklichere Ebene, die sich stilistisch deutlich von den humorvollen Zeichnungen absetzt und die Szenen aus der Vergangenheit immer wieder durchbricht. In dunklen Farben und ineinanderfließenden Formen ist Luz mehrere Jahre nach dem Anschlag zu sehen. In seiner Wohnung verbringt er eine schlaflose Nacht, in der seine Erinnerungen an die Jahre bei Charlie Hebdo ihm wieder ins Bewusstsein rücken. Mit seiner Graphic Novel hält Luz diese nun für immer fest.
Titelangaben
Luz: Wir waren Charlie
Berlin: Reprodukt 2019
320 Seiten, 29 Euro
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