Nach dem Winter

Lyrik | Peter Engel: Drei Gedichte

Nach dem Winter

Das Totholz in unsren Worten
fällt ab, wir sprechen reiner
und lassen die Sätze knospen,
fast blühen sie schon wieder
in der viel wärmeren Luft.

Auch lichten sich meine Verse
und haben schnellere Füße,
schütteln das Grau der letzten Zeit ab
und glänzen beinahe schon,
ziehen eine Art Frühling auf.

Die derben Stiefel ins Regal,
den leichteren Schritt zu gehen,
den schweren Mantel in den Schrank
und mit der Jacke den Wind
eingefangen, der linder weht.

 

Auf dem Zettel

Die Aufgaben für den Tag,
die Morgengymnastik, der Brief,
der sich seit Wochen nicht schreiben läßt,
die Abendveranstaltung,
zu der ich nicht gehen werde,
du hingegen stehst nicht drauf,
weil ich dauernd an dich denke.

Bestimmtes kehrt immer wieder,
was nicht zu erledigen ist,
die völlige Umgestaltung
des Lebens, zwischen Vorhaben
die Tagesrevolution
und das Aushebeln von allem
Gewohnten, die Abkehr vom Trott.

Es ist zäh und dauerhaft,
das kleine Einmaleins
der Pläne, es ist klebrig
und füllt die Stunden völlig aus,
in der Ferne ein blitzblanker
Zettel, die Utopie
eines selbstverständlichen Tags.

 

Kostbarster Rohstoff

Er wächst unentwegt nach, strudelt
heran und ist schon vergangen,
kaum daß du es merkst und gewahr wirst,
was an dir spurlos vorbeizog,
keine Farbe hat, kein Gewicht
und überhaupt nicht greifbar ist.

Auch hier arbeitet er mit
dieser kostbare Rohstoff,
dringt in die Zeilen ein,
aber was ist seine Natur
und wie ist er beschaffen?
Festhalten läßt er sich nicht.

Und er ist dir bemessen,
dein Zugriff ist nur begrenzt,
manchmal scheint er sich zu dehnen,
aber dann rauscht er nur vorbei
wie ein schnelles Gewässer
und ist schon im Nu dahin.

Dies ist meine Klage um ihn,
denn nur hier kann ich ihn bannen,
sonst aber rinnt er mir wie
der bekannte Sand durch die Finger,
mit unsren Meßgeräten
vermahlen wir ihn nur feiner.

| PETER ENGEL

| Peter Engel lebt und arbeitet in Hamburg. Er veröffentlichte Lyrik, u. a. in ›Rückwärts voraus‹ und ›Wolkisch lernen‹, und gibt seit 2014 gemeinsam mit Günther Emig ›Hammer + Veilchen‹ heraus, eine Zeitschrift für neue Kurzprosa.

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liegt die Ringstraße auf schwarzem Quarz
halb abgeräumt vor dem Ozean verkeilt
der Sockel vom Gletscherlauf aufgezehrt
gelangen wir nicht mehr zu den Kaltblütern
um sie in die geschützten Gehege zu führen
und uns vor dem Wintereinbruch einzudecken
so setzen wir zu den letzten Nachbarn über
senden von dort Anweisungen auf Kurzwelle
bis wir etwas erreichen das Plateau wieder offen ist
jagen die Meuten durch die Frequenzen und
lassen uns in den ewigen Nächten nicht schlafen
weil wir nicht sicher sein können
ob das nur die Sturmfront ist oder uns
schon das Rufen der Jährlinge durchfährt