Nur ein wenig mehr über Star Wars

Sachbuch | Andreas Rauscher: Star Wars

Im Jahr 2020 weiß man, dass es sich bei Darth Vader um Luke Skywalkers Vater handelt, und genauso weiß man, dass einhundert Seiten für die Erschließung des Star-Wars-Universums zu wenig sind. Andreas Rauscher hat es dennoch versucht. Er hat für die Reclam-Reihe ›100 Seiten‹ die Star-Wars-Saga in genau dieser Seitenzahl dargestellt. BASTIAN BUCHTALECK stellt die spannende Frage, wie gut Rauscher mit dem begrenzten Umfang für ein fast schon grenzenloses Universum zurechtkommt.

Wenig Platz für eine weit, weit entfernte Galaxis

Star Wars. 100 Seiten.Wenn man bedenkt, dass die Filmreihe seit der Veröffentlichung von ›Star Wars – Eine neue Hoffnung‹ im Jahr 1977 auf eine Trilogie aus Trilogien angewachsen ist und um Romane, Videospiele, Comics ergänzt wurde, dann ist es verständlich, dass das Buch inhaltlich stets an der Oberfläche bleibt. Mittlerweile gibt es von Star Wars für jedes Alter und für jede erdenkliche Zielgruppe einen Ableger.

Indem Rauscher alles zu berücksichtigen versucht, müssen die Kinofilme auf je ein bis zwei Seiten abgehandelt werden. Das ist ein vielleicht interessanter, insgesamt jedoch ein wenig tiefgehender Einstieg in die Welt der Weltraumsaga. Zumal Rauscher im Buch nicht einzig über die Filme und deren Ableger schreibt, sondern auch über das popkulturelle Phänomen und darüber, wie der finanzielle Erfolg auch Hollywood und die Vermarktung von Filmen verändert hat. Diese gesamten popkulturellen und ökonomischen Referenzen sind interessant, werden jedoch – so wie alle Inhalte des Buchs – durch das vorgegebene Format von 100 Seiten eingeschränkt. Man merkt als Leser, dass die Inhalte um die wenigen Seiten konkurrieren.

Fazit

Insgesamt bietet das Buch ›Star Wars. 100 Seiten‹ nicht mehr als einen Einstieg in das Universum des Weltraumabenteuers. Dieser Einstieg gelingt in Teilen. Das Buch ist journalistisch gefällig und inhaltlich solide geschrieben, sodass es sich einerseits schnell »wegliest«, aber andererseits auch etwas im Kopf des Lesers haften bleibt. Mehr als diesen ersten Einstieg bietet das Buch jedoch nicht, dafür ist es vom Umfang her deutlich zu knapp. Dies spiegelt sich auch in dieser Besprechung wider, die an dieser Stelle als Rezension zu Ende ist. Es gibt einfach nicht mehr zu sagen, als dass es solide und informativ geschrieben ist, wobei der geringe Umfang dem ausufernden Thema nicht gerecht wird. Wer tatsächlich in das Star-Wars-Universum eintauchen will, muss sich anschließend anderen Büchern zuwenden.

Die folgenden Ausführungen verstehen sich als kritische Diskussion zentraler Buchinhalte.

Von »ernstzunehmenden Spielwelten« zu artifiziellen Referenzwelten – Wiederholung, Variation, erzählerische Leere

Die erste Trilogie mit den Episoden 4 bis 6, die bekanntermaßen den mittleren Handlungsteil bildet und Grundlage des Erfolgs ist, verortet Rauscher als »ernst zu nehmende Spielwelt«. Damit bezieht er sich auf Brian de Palma, den Rauscher als Film-Philosophen bezeichnet. Eine solche Welt sei eine, die zwar erkenntlich fiktional ist, deren Regeln jedoch innerhalb des eigenen, filmischen Universums bindend sind. Man schafft eine künstliche Welt, hier die Kulisse für Weltraumabenteuer, und erzählt in dieser Spielwelt Geschichten.

Ernst zu nehmen seien diese Geschichten, weil die Bedürfnisse und Gefühle der Figuren ernst genommen würden. Es gibt also andere Regeln (z. B. die Macht oder den Hyperraum), aber an diese Regeln hält man sich – was auch dem Zuschauer Halt gibt. Dies ist für die erste Trilogie noch gut nachvollziehbar. Auf die folgenden Filme bezogen, ist die Anwendung des Begriffs jedoch eine Farce.

Sobald die Spannung versiegt, bleibt eine große erzählerische Leere

Die Episoden 1 bis 3 sind zu künstlich und zu deutlich auf Erfolg getrimmt, um sie ernst zu nehmen – sie qualifizieren sich nicht für den ernsten Anteil der Spielwelten. Die Episoden 7 bis 9 sind nicht mehr als artifizielle Referenzwelten. Sie sind zusammengestückelt aus Dramaturgiefetzen, die in den vorhergehenden Episoden und anderen Filmen schon mal funktioniert haben. Es gibt eigentlich keinen spielerischen Anteil mehr darin, da alles durch die Dramaturgie und Anleihen determiniert ist.

Außerdem werden gelegentlich bis häufig die schon in der ersten Trilogie gesetzten Regeln verletzt, die Erzählung verselbstständigt sich nach den Anforderungen des Dramaturgie-Reißbretts. In beiden modernen Trilogien sind die Figuren hauptsächlich Staffage für den Erfolg der Marke Star Wars und darum sind de Palmas »ernst zu nehmende Spielwelten« auf diese Filme nicht mehr anwendbar. Es gibt keine Philosophie, kein Spiel, bloß ökonomischen Erfolg.

Überhaupt sieht Rauscher die letzte Trilogie erstaunlich positiv. Für ihn ist sie das »gekonnte Wechselspiel zwischen Wiederholung und Variation«. Der Aspekt der Wiederholung dürfte allen Kinobesuchern augenfällig sein, die die klassischen Star-Wars-Filme kennen. Als Beleg für die Variation führt Rauscher einige überraschende Wendungen an, wobei selbst die reichlich unnötige und affektierte Maske von Kylo Ren zum interessanten Detail erklärt wird.

Dabei sind die ersten beiden Filme der dritten Trilogie in erster Linie eine inhaltliche sowie visuelle Wiederholung der ursprünglichen Trilogie. Seien es die unbestimmte Herkunft und Kindheit auf einem abgelegenen Planeten, sei es die Zerstörung eines Todessterns, sei es die Bodenschlacht auf einem Planeten mit weißer Oberfläche oder auch der Oberschurke, der durch den Verrat seines eigenen Schülers besiegt wird. Diese Liste lässt sich fortsetzen. All dies hat man schon gesehen und es entsteht, zumindest für den Kenner, ein Gefühl der erzählerischen Beliebigkeit und dieser folgend der Leere.

Das J. J. Abrams Missverständnis

Unerklärlicherweise erhebt Rauscher J. J. Abrams und dessen Erzählstil der »Mystery Box« zu einer nachahmenswerten Erzählweise. Rauscher will dabei die erzählerischen Löcher und Schäden, die diese Mystery Box z. B. in den späten Staffeln der Serie ›Lost‹ nach sich zog, nicht sehen. Das Erzählprinzip der Mystery Box eröffnet mysteriöse, kaum zu erklärende Handlungsstränge und weckt so die Neugier des Zuschauers. Diese losen Fäden gibt es in den späteren Staffeln bei Lost häufig wie die sprichwörtlichen Löcher im Schweizer Käse und nach den Episoden sieben und acht deutet sich bei Star Wars keine Besserung an. Wer sind Reys Eltern? Kennt Kylo Ren sie? Was wird Luke Skywalker tun, falls er noch am Leben ist? Die Abrams‘che Mystery Box ist am Werk. Das enttäuschende Ergebnis war nun in Episode 9 ›Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers‹ zu sehen. Denn auch dies gehört leider zur Mystery-Box: die Spannung soll so weit gesteigert werden, dass der Zuschauer die Löcher in der Handlung einfach vergisst.

Abrams steigert die Spannung, stopft seine Erzählung so voll damit, dass sie schier platzt und damit rund erscheint. Aber sobald die Spannung versiegt, bleibt eine große erzählerische Leere. Zu viele Unwahrscheinlichkeiten, zu viele nicht eingelöste Anspielungen und zu viele unglaubwürdige Zufälle. Es ist schade, dass Rauscher diesen mysteriös genannten Leerstellen auf den Leim gegangen ist.

Cineludische Formen des Kinos oder dramaturgische Räume

Interessanterweise benennt Rauscher eine andere spezifische filmische Darstellungsweise der Star-Wars-Filme (die sich heute gleichermaßen in nahezu allen Actionfilmen findet) als »cineludische Formen«. Gemeint sind hiermit in erster Linie Verfolgungsjagden und Rennen, bei denen »ein Arrangement der Attraktionen (…) einen eigenen dramaturgischen Aufbau« erfordert; eine Darstellungsweise, die ich in meiner Analyse filmischer Raumdarstellungen am Beispiel von Star Wars ›Raum und Spektakel im Film‹ als »Plot-Point-Raum« definiert habe. In Star Wars sind dies unter anderem die Jagd auf den Speeder-Bikes auf dem Waldmond Endor in ›Die Rückkehr der Jedi-Ritter‹, das Pod-Race in ›Episode I – Die dunkle Bedrohung‹, mit dem der junge Anakin Skywalker seine Freiheit gewinnt oder die Verfolgung des Attentäters zu Beginn von ›Episode II – Angriff der Klonkrieger‹.

Gemeinsam ist all diesen Räumen, dass sie nach dramaturgischen Gesichtspunkten ausgeformt sind und nicht nach topografischen. Das heißt, Nähe und Distanz, Vorsprung und Kontakt sind nicht relevant, sondern bloß der Fakt, dass es mal einen Vorsprung gibt und dann einen Kontakt, dass der Abstand mal aussichtslos groß und dann wieder eine Kopf-an-Kopf-Situation ist.
Alle Räume, die dazwischen liegen, besitzen keine Gültigkeit. Gültig sind einzig die dramaturgischen Meilensteine. Dies könnte man als eine dem Kino eigene, spielerische Erzählweise – cineludisch eben – auffassen. Wichtiger aber als der spielerische Aspekt ist, dass die Räume trotz des spielerischen Anteils nach spannungsdramaturgischen Aspekten gegliedert sind. Sie sollten somit treffender als »dramaturgische Räume« beschrieben werden.

Insgesamt überwiegen in ›Star Wars. 100 Seiten‹ ganz deutlich die journalistischen Anteile. Die Analyse der erzählerischen Mittel wurde zwar begonnen, kommt jedoch letztendlich genauso zu kurz, wie ich es in der Rezension für die Darstellung der einzelnen Filme kritisiert habe.

| BASTIAN BUCHTALECK

Titelangaben
Andreas Rauscher: Star Wars
Stuttgart: Reclam Verlag 2019
100 Seiten, 10 Euro
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