»Es dämmert bereits, und für die Stechmücke ist nun Abendessenszeit.« In diesen schönen, ersten Sommertagen sind sie wieder da, abends, wenn man gemütlich im Garten sitzen will, oder nachts, wenn man einschlafen will und jene kleinen Tierchen sich unüberhörbar dem Kopfkissen nähern: Mücken. Dass man über dieses Thema ein derart umfangreiches Buch schreiben kann, das erstaunt, fasziniert zunächst und macht ziemlich neugierig, zumindest BARBARA WEGMANN.
Was für ein Werk über jene zarten, schlanken, kleinen, nervtötenden und nicht selten Krankheiten übertragenden Insekten und Plagegeister mit ihren »stechend- saugenden Mundwerkzeugen«. Alle Achtung. Hat sie so viel Zuwendung tatsächlich verdient? Sie werden die Antwort nach über 600 zum größten Teil wirklich sehr spannenden Seiten ganz sicher finden. 600 Seiten, die sich überwiegend wie ein Krimi lesen, leicht und unterhaltsam geschrieben sind. Und: die alles andere darstellen, als ausschließlich das biologische Porträt eines blutsaugenden kleinen Vampirs.
Über 600 Seiten, die weit, weit ausholen, in Geschichte und Kultur, die ausgiebige Exkursionen unternehmen, über Kriege und soziale Missstände berichten und immer schwirrt sie zwischen den Zeilen, ist direkt oder indirekt Schuld, die Mücke: »Wir befinden uns im Krieg mit der Mücke. Eine schwärmende und blutrünstige Armee von 110 Billionen feindlicher Stechmücken patrouilliert über jeden Quadratzentimeter des Globus, mit Ausnahme der Antarktis, Island, der Seychellen…«
Die Stechmücke, so konstatiert der Autor habe mehr Menschenleben auf dem Gewissen als jede andere Todesursache in der Menschheitsgeschichte. Den Bogen schlägt der studierte Historiker, dessen Spezialgebiet – wie passend – die Geschichte des Militärs ist, vom alten Rom der Antike über die Kreuzzüge, den Kolonialkriegen, der Staatenentwicklung in Nord- und Südamerika bis zu den beiden Weltkriegen und der heutigen Situation. Dafür muss man sich etwas Zeit nehmen, aber es lohnt sich und wie gesagt, es liest sich wie ein Krimi, schließlich wurden schon im 4. Jahrhundert v. Chr. Überlegungen laut, zur Verteidigung in feindlichen Tunneln stechende Insekten freizulassen.«
2010 wurde auf einem Kongress von Stechmücken-Experten in Florida, so schreibt Winegard, das Thema »Maßnahmen gegen eine bio-terroristische Ausbringung mit Pathogenen infizierter Stechmücken« diskutiert. Kriege, so mutmaßt Winegard, hätten möglicherweise ein anderes Ende gehabt, wären nicht viele unheilbare Krankheiten übertragen worden, von Mücken. Malaria, Dengue, das West- Nil- Fieber oder Zika sind wohl die bekanntesten. Mücke gegen Mensch, keine Panzer, keine Waffen, nur kleinste Tiere mit sägeähnlichem Angriffswerkzeug.
Milliarden werden jährlich für die Forschung in Sachen Mücke ausgegeben, für ein Insekt, das seit 190 Millionen Jahren die Erde beherrscht, das am liebsten die Blutgruppe Null sticht, aber auch die anderen, und immer ist es das Weibchen. Der Klimawandel übrigens begünstigt die weitere Ausbreitung dieser Spezies mit den damit zusammenhängenden Krankheitsgefahren. Erste bedenkliche Untersuchungen kommen aus Japan.
Bei allen Fakten, die zur Vorsicht mahnen, die aufklären und höchst interessant ohnehin sind, bleibt Winegard auch ein versöhnlicher Satz: »Im andauernden Krieg unserer Welt gegen die Naturgesetze des Dschungels ist uns die Mücke vielleicht durchaus ähnlich. Schließlich versucht auch sie nur, zu überleben.«
Titelangaben
Timothy C. Winegard: Die Mücke
Das gefährlichste Tier der Welt und die Geschichte der Menschheit
Elsbethen: Terra Mater Verlag 2020
624 Seiten, 32 Euro
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