Aufrüstung

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Weshalb schaltete jemand im März einen Ventilator ein? Erst im Mai würde es heiß werden, so viel stand fest, die auch preislich noch einmal angehobene Saison begann im Mai. Die Abläufe im Lager waren lückenhaft organisiert.

Oder waren Ventilatoren neuerdings schick? War der Bürokrat aus Uelzen eingetroffen?

Was spräche gegen Uelzen, unterbrach Farb, Uelzen habe einen Hundertwasserbahnhof.

Was sollte das, direkt neben den Duschen einen Ventilator in Betrieb zu nehmen? Er würde nicht einmal mehr während des Duschens seine Ruhe haben. Auf dem Rückweg zur Liege, nahm Lassberg sich vor, würde er das Gerät abschalten.

Als er dann vom Salzmeer zurück war, lief es nicht mehr. Er war folglich nicht der einzige, den das beharrliche Dröhnen störte, das hätte er sich denken können. Nicht nur daß das Gerät unnötig Wind machte, es lärmte auch.

Im März bestand nicht der geringste Grund, einen Ventilator zu benutzen, März war keine Saison, das Lager war zur Hälfte belegt. Im Mai wurde es heiß, im Mai. Während der Sommermonate wurde die Hitze  unerträglich, erst im September waren die Hotels wieder profitabel gebucht.

Ein flacher, rechteckiger Blechkasten, auf die schmale Seite gestellt, vorn und hinten Drahtgitter, dazwischen der Propeller, sein Durchmesser eher vierzig Zentimeter als fünfzig, beinahe noch Zimmerventilatorformat, seitlich eine dreistufig einstellbare Schalttaste, ein Gerät wie aus der Haushaltsabteilung, völlig unverdächtig, doch gerade das unscheinbare Objekt zeitigt oft eine verheerende Wirkung, davor darf man keineswegs die Augen verschließen, und im März war der Ventilator nun wirklich fehl am Platz. Weshalb schaltete jemand, der wegen der hohen Temperaturen und der trockenen Luft anreiste, dieses Gerät ein?

Man wird dünnhäutig, es hätte wenig gefehlt, und Lassberg wäre davongelaufen, doch nüchtern betrachtet, wohin hätte er laufen sollen inmitten der Negev.

Ventilatoren gelten zu Unrecht als harmlos. Er erinnerte sich nicht, daß in En Gedi ein Ventilator aufgestellt gewesen wäre, nicht während seines ersten Aufenthalts. Das ist über zehn Jahre her. Nach zwei Wochen hatte sich ein übergewichtiger Däne einen Ventilator vom Gästehaus zum Strand geschleppt, inoffiziell, einen einzigen, und jeden Tag legte sich dieser Mensch in den Luftstrom.

Wer einen schwachen Kreislauf hat, hat am Toten Meer nichts verloren. Wer heimische Zustände wünscht, bleibe zu Hause, von einem bestimmten Körpergewicht an verfügt die zuständige Behörde ein Einreiseverbot. Das wäre ein objektives Kriterium, die Israelis nehmen es doch sonst so genau, einem Araber sähen sie nicht das geringste nach.

Schön und gut, sagte sich Lassberg, er sei kein Unmensch, ein einzelnes Gerät wie damals in En Gedi sei zu verkraften, man rückte eben die eigene Liege einige Meter weiter.

Doch im Lager waren die Ventilatoren ausgeklügelt über das Gelände verteilt, sehen Sie sich das bloß einmal an, entsetzlich, das Lager war hochgerüstet mit Ventilatoren. Als ob irgendjemand sich in En Bokek  aufhielte, um seine Kreislaufschwäche zu kurieren!

Generalstabsmäßig in Sechserketten auf den Boden montiert, stets knapp zwei Meter von der hohen Sichtschutzplane entfernt, bildeten die Ventilatoren einen strategischen inneren Ring mit einem Knick in mittlerer Höhe, ein langgezogenes Oval, das die Form des Lagers nachzeichnete.

Lassberg glaubte in ihrem Dröhnen einen bedrohlichen Rhythmus zu hören, die unerbittliche Monotonie tat in den Ohren weh: Niemand entgeht uns, tönten sie, niemand entgeht uns.

Sogar in der Mitte des Lagers waren Geräte placiert, je vier, die Luft wurde flächendeckend bewegt.

Die Macht des Faktischen sei erdrückend, Widerspruch sei zwecklos, wandte Belten ein, deshalb verstehe er nicht, worüber Lassberg sich aufrege, Belten war wenig hilfreich.

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