/

Der Zauber der Stoffe

Kulturbuch | Avalon Fotheringham: Der Zauber Indiens

Stellen sie sich einfach vor, sie wären in London, genauer gesagt, im Westen der Stadt, in Kensington, im Victoria and Albert Museum. Hier lagern rund 10000 indische Stoffe. Textilien, die in Farbe und Form, in Materialien und Machart ein langes und spannendes Stück Geschichte Indiens erzählen. In diesem Buch werden rund 700 Stoffe präsentiert. BARBARA WEGMANN lädt ein zu einem kleinen Museumsrundgang, Pardon, zu einer Buchbesichtigung.

Der Zauber Indiens»Von den gröbsten Blockdrucken bis hin zu feinsten Brokatstoffen bezeugt die erstaunliche Vielfalt indischer Textilien eine über Jahrtausende ungebrochene Tradition von Handwerkskunst, Innovation und Ideenaustausch.«

Bereits um 6000 vor Christus sollen in Südasien Textilien hergestellt worden sein, so heißt es, aber die frühen Stoffe überlebten nicht, nur anhand archäologischer Funde weiß man um die Geschichte. Aber immerhin: die erhaltenen Textilien sind bis zu rund 2000 Jahren alt, dokumentieren eine feine Technik, eine hohe Kunst und ein farbenfrohes Bild.

Jedes Jahr im Frühjahr bei Vollmond ist es in Indien wieder soweit: das Holi-Fest, das Fest der Farben, eine uralte Tradition aus dem Hinduismus, wird rund zwei Tage ausgiebig gefeiert und so bunt geht es nicht überall auf der Erde zu. Farben symbolisieren den Frühling, die Lebensfreude, an den Tagen sind alle Menschen gleich und die Farben stehen für Toleranz und Vielfalt. Farben und Indien, das gehört zusammen. Auch viele der hier gezeigten Textilien beweisen das.

Blättert man das üppig bebilderte Buch durch, so hat man den Eindruck, viele der Stoffe könnten durchaus aus moderner Produktion stammen, die Muster so fröhlich, bunt, frisch, zeitlos. Geometrische, florale oder figürliche Muster. Und doch sind es Arbeiten aus den vergangenen Jahrhunderten. Verschiedene Farben und Muster lassen auf die verschiedenen Regionen der Herstellung schließen. Arbeiten, die mit ihren Darstellungen und der Bearbeitung, zum Beispiel jener unschätzbar wertvollen Stickerei einzigartig sind. Baumwolle, Seide und Brokat in Hülle und Fülle – für festliche Anlässe auch verziert mit Perlen, goldenem Garn, Pailletten und Metallverzierungen.

Man darf bei einem Rundgang durch dieses spezielle Buch-Museum eines ganz sicher nicht denken und erwarten: eine langatmige Aufzählung und Auflistung verschiedener Stoffe. Die dazugehörigen, oft viel zu kurzen Texte und Erläuterungen sorgen vielmehr für Neugier und Interesse. Schließlich sind indische Stoffe überall auf der Welt zu finden, und waren in der frühen Geschichte wertvolle Handelsware, wurden gegen Gewürze beispielsweise getauscht. »Die schiere Menge indischer Stoffe, die zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert exportiert wurden, bildet einen großen Schatz an Textilien, die überall auf der Welt erhalten sind.«

Und als sei es Geschriebenes, lassen sich aus Stoffen, ihrer Verarbeitung und ihren Mustern Rückschlüsse auf gesellschaftliches Leben und Regionen ziehen, spiegeln Stoffe so ein wichtiges Stück indischer Geschichte wider.

Avalon Fotheringham ist im Victoria and Albert Museum Kuratorin für die indische Abteilung. Es sind wahrhaft textile Schätze, die sie hier präsentiert, egal ob es »antike Fragmente, heilige Tempeltücher, luxuriöse Hofkleidung, Stoffe und Kleidungsstücke des täglichen Gebrauchs« sind. Das einem Katalog ähnliche, sehr umfangreiche und seinem Inhalt entsprechend wertvolle Buch ist ein Anfang. Nun wissen wir ja, wo das Victoria and Albert Museum liegt …

| BARBARA WEGMANN

Titelangaben
Avalon Fotheringham: Der Zauber Indiens
Über 700 Stoffe
Hildesheim: Gerstenberg 2020
400 Seiten, 50,00 Euro
|Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Gedankenreise ins Fremde

Nächster Artikel

Von Hölderlin bis Jünger

Weitere Artikel der Kategorie »Kulturbuch«

Die köstlichen Rezepte des Herrn Wondrak

Kulturbuch | Janosch / T. Prüfer: Herr Wondrak kocht so wunderbar Man muss nur den Namen »Janosch« aussprechen, und umgehend hat man seine unsterblichen Figuren vor Augen. Wenn dann noch Co- Autor Tillmann Prüfer hinzukommt, sich liebevolle Darstellung und bezaubernde Komik in Text und Bild mischen, dann ist ein Kochbuch der ganz besonderen Art entstanden und gelungen. Von BARBARA WEGMANN

Kampf um Troja

Kulturbuch | Eberhard Zangger: Die Luwier und der Trojanische Krieg Wer nach Tikal oder sagen wir nach Angkor Vat verreist und sich über Land und Leute informiert, dem wird nicht entgehen, dass überall ein starkes Interesse daran besteht, die eigene Kultur und die eigene Geschichte zu sortieren. Von WOLF SENFF

»Guter Nazi, böser Nazi?«

Menschen | Manfred Wieninger: Die Banalität des Guten Das Böse hat Konjunktur. Die Jahrestage von Erstem und Zweitem Weltkrieg sorgen für einen steten Schub an Darstellungen von Abgründigem. Warum blicken wir so selten auf diejenigen, die sich in dieser Zeit ein Minimum an Menschlichkeit bewahrt haben? Ist Gutes zu tun einfach zu banal – oder in einer Zeit des Opportunismus viel zu schwierig? Das fragt sich Biografieforscher JÖRG FUCHS angesichts der Lektüre von Manfred Wieningers Buch ›Die Banalität des Guten‹.

Gehen, um sich selbst zu finden

Kulturbuch | Norbert Parucha: Meditatives Wandern Wer beim Unterwegssein die ganze Konzentration auf das Erreichen des Zieles lenkt, geht möglicherweise sich selbst verloren. ›Meditatives Wandern‹ dagegen vermittelt das Wiedererlernen der Bewusstheit. Norbert Parucha hat dazu einen handlichen Wanderbegleiter mit anregenden Übungen, Texten und Impulsen verfasst. Von INGEBORG JAISER

Die Macht der Worte

Kulturbuch | Stephen Greenblatt: Die Wende. Wie die Renaissance begann Über die Renaissance ist viel geschrieben worden, aber dieses ist ein Buch, in dem ein Autor einem anderen nachspürt und diesem dann eine sagenhafte Verantwortung in die Schuhe schiebt. Ein Werk soll Ursprung eines neuen Zeitalters sein, wegbereitend für Generationen, bedeutungsschwangere Prophezeiung der intellektuellen Elite. Stephen Greenblatt forschte in Die Wende. Wie die Renaissance begann über eine fast vergessene philosophische Strömung. VIOLA STOCKER ließ sich auf eine sagenhafte Reise ins Herz einer bibliophilen Gesellschaft ein, der es gelang, Worte vor dem Vergessen zu bewahren, die Jahrzehnte später Europas ethisches Grundkonstrukt