Draußen herrscht eine Affenhitze. Aber in diesem Sommer ist alles anders. So anders, dass ein gedanklicher Ausflug in die Antarktis auch nicht abwegiger ist als alles andere, was man gerade tun – beziehungsweise eben nicht tun – kann. ANDREA WANNER ließ sich darauf ein.
Okay, mein Wissen über die Antarktis ist mehr als begrenzt. Das erste, was mir dazu einfällt, sind Pinguine. Das kriegt man irgendwann mit, dass die nicht am Nordpol leben, sondern am Südpol. Und dann weiß ich noch, dass Amundsen das Rennen gegen Scott gewann: Er war 1911 als erster Mensch am Südpol. Viel mehr fällt mir nicht ein. Also ist ein Buch über die Antarktis vielleicht gar nicht so übel, um ein bisschen mehr zu erfahren.
Über den Wettstreit der beiden Forscher erfährt man eine ganze Menge. Die Gestaltung ist grandios: Ausgeklappt ist die Doppelseite fast einen Meter breit. Von links startet Amundsen, die Route von Scott ist auf der rechten Seite. Das gemeinsame Ziel, der Südpol, versteckt sich im Buchfalz am oberen Rand. Das Ganze ist auf einer Landkarte arrangiert, die Wege mit den Lagern unterwegs sind eingetragen. Wichtige Daten fehlen ebenso wenig wie Fotos wie ein kleiner Brief von Amundsen an Scott oder ein Blick auf die New York Times, die nach der Rückkehr Amundsens am 9. März 1912 titelt: »Capt. Amundsens Full Story Of His Dash To The South Pole With Four Of His Men And 18 Dogs«.
Das Buch räumt gleich mit ein paar vermeintlichen Selbstverständlichkeiten auf. Weil eine Kugel keinen Anfang und kein Ende hat, gibt es auch kein oben und kein unten. Unser Globus und die Landkarten sind Konventionen, die man sich durchaus mal genauer anschauen kann. Das tut das Buch. Und dann erzählt es vom südlichsten Kontinent der Erde, der eigentlich Antarktika heißt, und der einzige ist, der nie von Menschen bewohnt war.
Die Fakten rund um das andere Ende der Welt sind überwältigend und werden überraschend und anschaulich präsentiert. Jede neue Doppelseite ein neues Abenteuer. Wir dürfen einen Blick unter Wasser werfen, erfahren, welche Tiere unter diesen extremen Bedingungen leben, was es mit dem Antarktis-Vertrag auf sich hat und warum uns das alle angeht.
David Böhm, Absolvent der Akademie für Bildende Künste in Prag, nähert sich dieser fremden Welt mit Neugier und Respekt, beides ist immer spürbar und beides steckt an. Er stellt philosophische Fragen wie die nach dem »Nichts«, dass es angeblich in der Antarktis gibt, verrät uns, dass es eigentlich nicht einen, sondern vier Südpole gibt – und vergisst natürlich auch die Rekorde nicht, die zur Antarktis gehören: Sie hält den Kälterekord, den Trockenrekord mit weniger Niederschlag als in der Sahara, den Höhenrekord als höchster Kontinent der Welt und tatsächlich auch den Windrekord.
Man kann gar nicht aufhören aufzuzählen, was hier vor einem aufgeblättert wird, wunderbar gestaltet und mit vielen witzigen kleinen Details wie die Seitenzahlen, die auf dem Kopf stellen und ständig an die Frage nach dem oben und unten erinnern. Oder der Pinguin, der auf dem Vorsatzpapier über Eisschollen watschelt …
Ich erinnere mich an mein Erdkundebuch und könnte heulen: Kein Mensch hat ja versucht, so unser Interesse zu wecken. Dass ›A wie Antarktis‹ für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert ist: klar. Den Ausflug dorthin auf Papier sei allen ans Herz gelegt: ein aufschlussreicher Perspektivenwechsel, der unverzichtbar ist.
Titelangaben
David Böhm: A wie Antarktis
Ansichten vom anderen Ende der Welt
Aus dem Tschechischen von Lena Dorn
Düsseldorf: Karl Rauch 2019
76 Seiten, 22 Euro
(Kinder-)Sachbuch ab 6 Jahren
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