Rupert ist zehn und seine Familie ist arm. Und dann landet er aus Zufall bei den reichen Rivers. Eine Begegnung, die nicht ohne Folgen bleibt. Von ANDREA WANNER
Schule ist okay. Dort ist es wenigstens geheizt und Rupert hört für ein paar Stunden auf, zu frieren. Zuhause ist es eisig, seine Kleider sind löchrig, warme Schuhe oder einen Ma ntel besitzt er nicht. Und zu essen gibt es in der kinderreichen Familie immer viel zu wenig. Die Browns sind wirklich bitterarm, der Vater ohne Arbeit und das wenige, das die Mutter verdient, reicht nie über die Runden. Das Essen wird aus den Abfällen anderer Menschen zusammengesucht.
Das Gratisfrühstück in der Schule bekommen sie nicht, weil die älteren Brüder die Familie durch den Diebstahl von Katzen in der ganzen Stadt in Verruf gebracht haben. Es geht ruppig zu in dieser Familie, aber irgendwie funktioniert es. Ruppert hängt vor allem an seiner jüngeren Schwester und versucht ansonsten sich so unauffällig wie möglich zu verhalten und vor allem der unberechenbaren Mutter nicht in die Quere zu kommen.
Dann sorgt ein Missgeschick dafür, dass sich so einiges in Ruperts jungem Leben ändert. Er macht sich wie immer auf den Weg zur Schule, voller Vorfreude auf Wärme und Ruhe. Nur um festzustellen, dass seine Spuren im Schnee die einzigen weit und breit sind und das Schulgebäude verlassen und leer daliegt. Rupert hat vergessen, dass Weihnachten ist.
Ein zweites Missgeschick befördert ihn auf dem Heimweg kopfüber in der Garten der Rivers. Und dann an deren reich gedeckten Weihnachtstisch (das Essen gibt es wegen der Köchin bereits am Vormittag). Rupert kann sein Glück kaum fassen. Und es wird noch besser: es gibt Spiele, bei denen Rupert so viele Dinge gewinnt, dass er zu Hause die ganze Familie damit beschenken kann. Und am glücklichsten ist er über ein Paar Winterstiefel. Aber: wie gewonnen so zerronnen. Am Ende des Tages landet er zu Hause: mit leeren Händen.
Polly Horvath spielt mit den Gefühlen der jungen Leserinnen und Leser, dass einem schwindelig wird. Man fühlt mit, freut sich mit, leidet mit. Und das ist erst der Anfang, denn Rupert hat durchaus einen bleibenden Eindruck bei den Rivers hinterlassen. Es folgen nächtliche Ausflüge mit der Dame des Hauses in ein Restaurant, mit dem Onkel eine Zeitreise in einer selbst gebauten Zeitmaschine, mit einer angeheirateten Tante zu deren Bankschließfach, mit einem weiteren Onkel zu einem Herrenschneider … Die Superreichen entpuppen sich dabei als dermaßen mit sich selbst beschäftigt und Lichtjahre entfernt von den alltäglichen Problemen der weniger Privilegierten, dass man nur den Kopf schütteln kann. Für Rupert bedeutet das, dass quasi jedes Mal die versprochenen und teilweise bereits vor ihm stehenden und duftenden Leckereien nicht in seinen Mund und seinen knurrenden Magen wandern.
Man ärgert sich beim Lesen über so viel Gedankenlosigkeit und Ignoranz, wünscht sich eine Fortsetzung wie im Märchen, wo der Betteljunge dann doch noch zu Reichtum gelangt. Pustekuchen. Rupert ist Rupert. Rupert ist arm, hat Stolz und ist in der glücklichen Lage, Dinge dennoch schön zu finden und zu genießen.
Das gibt zu denken. Vielleicht wird doch noch alles gut. Abenteuer reiht sich an Abenteuer, der staunende Rupert verliert die Hoffnung nicht, dass sich sein Leben ändern könnte.
Und Polly Horvath präsentiert ein unerwartetes Ende. Klar, Geld allein macht nicht glücklich. Aber die unterschiedlichen Lebenswelten von Superreichen und denen, die kaum genug zum Überleben haben, gibt einem doch zu denken.
Titelangaben
Polly Horvath: Super reich
(Very Rich, 2018). Aus dem Englischen von Anne Brauer
Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben
293 Seiten. 18 Euro.
Kinderbuch ab 10 Jahren
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