Schwarz-Weiß-Sehen erwünscht

Sachbuch | Torsten Andreas Hoffmann: Die Magie der Schwarzweiß- Fotografie

Vielleicht ist dies ja ein Buch gerade für die grauen und oft düsteren Tage des Herbstes oder den weißen Schnee des Winters. Es ist, als stünden die Wintermonate diesem Buch geradezu Pate, denn wenn in der Natur die Farbe vorübergehend in den Winterschlaf fällt, werden andere Eindrücke lebendig, kommen andere Stimmungen auf, erhalten die Dinge eine andere Aussage. So auch im Bild, findet BARBARA WEGMANN

sw-FotografieMan sollte sich bemühen, die Dinge des täglichen Lebens und der Politik nicht schwarz-weiß zu sehen. In der Fotografie ist das anders. Hier ist es manchmal sogar erwünscht: »In der heutigen Zeit haben wir es mit einer großen Sinnesüberflutung zu tun. Die Schwarz-Weiß-Fotografie ist geeignet, die Sinne wieder zu sensibilisieren.« So heißt es zu Beginn eines in der Tat tollen Buches. Sparsamer mit Reizen gehe es in Schwarz-Weiß zu, alles sei nicht so geschwätzig wie in Farbe getunkte Bilder, alles sei »auf das Wesentliche gerichtet«. Und schnell wird bei den über 300 Aufnahmen klar: hier wurde der Farb- Stecker gezogen und plötzlich erhalten Fotografien einen völlig anderen Ausdruck. Aber: »…sparsamer mit Reizen«? Stimmt das wirklich?

Ich finde, man wird man schnell eines Besseren belehrt: die Farben sind verschwunden, ja, aber gewachsen ist die Aussage, die Interpretation des Motivs. Da wird plötzlich etwas herausgestellt, etwas hervorgehoben, durch Weglassen von etwas, verändert sich die Aussage des Bildes. Und das Bild erhält eine ganz besondere Magie. Das sind doch enorme und extrem schöne Reize. »Schwarz-Weiß-Fotografie ist Abstraktion und Reduktion der manchmal vor Farben schreienden Wirklichkeit.« Zu lernen, von Beginn an in Schwarz-Weiß zu sehen und sich nicht von Farben ablenken zu lassen, das ist das Ziel dieses ausführlichen, gut gegliederten Buches, das sich an anspruchsvolle Amateure und Profis in der Fotografie wendet.

Das umfangreiche Buch gliedert sich in vier Teile, es beginnt mit den Erläuterungen, was die Schwarz-Weiß-Fotografie als Ausdrucksmittel überhaupt ausmacht. Teil 2 widmet sich den verschiedenen Genres, der Landschafts-, Architektur-, Streetfotografie. Aber natürlich geht es auch um Menschen, und der Autor macht deutlich, dass für ein aussagekräftiges Porträt »ein Lächeln weniger geeignet« ist. »Hier gilt es, einen Moment zu erwischen, der möglichst viel über die Geschichte eines Menschen erzählt, die wahre Geschichte mit ihren Widersprüchen und Abgründen.« In Schwarz-Weiß sind die Ergebnisse oft umwerfend, bilden nicht nur Gesicht oder Mensch ab, sondern gehen in die Tiefe, auf der Suche nach dem Charakter.
Letztlich geht es in Teil 3 und 4 um Komposition und die technischen Voraussetzungen.

Torsten Andreas Hoffmann ist Fotograf, Buchautor und er leitet Workshops. Und: Die Schwarz-Weiß-Fotografie ist sein Schwerpunkt. Kein Wunder, dass das Buch viel Leidenschaft für dieses Thema ausstrahlt, auf 412 Seiten eine Menge vermittelt und nahebringt. Manchmal hätte ich mir, einfach zur Dokumentation, den Vergleich gewünscht, Farbbild gegenüber Schwarz-Weiß-Bild.

Aber da unsere Fantasie lebhaft mitspielt, wir das farbliche Original, ob wir wollen oder nicht, vor Augen haben, ist schnell zu erkennen, welche Kraft ein Bild haben kann, wenn die Farbe fehlt. So wird das Buch zu einer Entdeckungsreise, neue Blickwinkel, neue Interpretationen, eine ganz besondere Ästhetik, nicht nur im Herbst und Winter.

| BARBARA WEGMANN

Titelangaben
Torsten Andreas Hoffmann: Die Magie der Schwarzweiß- Fotografie
Schwarzweißmotive erkennen und stimmungsvolle Bilder gestalten
Heidelberg: dpunkt.verlag 2020
402 Seiten, 44,90 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Humorvoller Tragiker

Nächster Artikel

Sinn

Weitere Artikel der Kategorie »Sachbuch«

Rufer in der Wüste

Michael Schulte- Markwort: Burnout-Kids. Wie das Prinzip Leistung unsere Kinder überfordert Michael Schulte-Markwort entwirft mit ›Burnout-Kids. Wie das Prinzip Leistung unsere Kinder überfordert‹ ein düsteres Szenario. Kinder und Jugendliche, die Leistungsträger der künftigen Gesellschaft, sind ausgebrannt und lebensuntüchtig. Überforderung, Leistungsdruck und Zukunftsängste quälen Teenager. Sturm und Drang mutiert zu Überanpassung. Doch VIOLA STOCKER findet, dass die Eltern hilflos zurückgelassen werden. Was tun?

So fremd, so vertraut

Gesellschaft | Christine Ax: Reise ins Land der untergehenden Sonne. Japans Weg in die Postwachstumsgesellschaft Wir erhalten einen Einblick, wie viel anders eine Gesellschaft sein kann, die wir ohne viel nachzudenken zu den Industriegesellschaften zählen. Japan ist eine etablierte Industriegesellschaft im Kreis der G7 und der G20, und Christine Ax zeigt uns in ihrem schmalen Bändchen, welche besondere Stellung Japan im Kreis dieser Nationen einnimmt. Von WOLF SENFF

Den ökologischen Fußabdruck mitdenken

Sachbuch | Zug statt Flug

In Zeiten von Corona könnte das ein neuer Trend werden: ›Zug statt Flug‹, klingt verlockend, und dem Klima tut’s allemal gut. So werden aus 312 Seiten 52 Angebote, über die man tatsächlich einmal nachdenken sollte. Wann sind Sie das letzte Mal mit dem Zug gefahren? BARBARA WEGMANN nimmt sie mit auf die Reise.

Vom Ende her gedacht

Gesellschaft | Hermann Bausinger: Ergebnisgesellschaft Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. In der Physik bezeichnet Leistung die umgesetzte Energie in Relation zu einer Zeitspanne. Der Weg – also der zeitliche Ablauf – ist hier das Ziel! Übertragen auf die Gesellschaft müsste also das Wirken durch die Zeit den Begriff der »Leistung« gleichfalls ausdrücken. Das Erleben, das bewusste Fortschreiten mit und in der Zeit, sollte somit Maßstab unseres Denkens und Handelns sein. JÖRG FUCHS begibt sich auf die Suche nach dem Verhältnis von Ergeben und Erleben.

Vier Leben für die Aufklärung

Sachbuch | Wolfram Eilenberger: Geister der Gegenwart

Der Philosoph Wolfram Eilenberger hat den dritten Band seiner Trilogie, die uns die Philosophie des 20 Jahrhunderts nahebringt, veröffentlicht: Nach ›Zeit der Zauberer‹ (2018) und ›Feuer der Freiheit‹ (2020) liegt nun der Band ›Geister der Gegenwart – Die letzten Jahre der Philosophie und der Beginn einer neuen Aufklärung‹ vor. Das Projekt einer neuen Aufklärung verweist auf eine zentrale Feststellung Kants, dass wir in keinem »aufgeklärten Zeitalter« leben, sondern in einem »Zeitalter der Aufklärung« mit offenem Ausgang. Von DIETER KALTWASSER