Vom Bildermachen in den Zeiten vor der Pandemie
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Ob Scampi, Knödel, Cordon bleu,
Ob Wachtel oder Grützwurst, bis hin
Zum Semifredo und zur Crème Brulée –
Was immer auf den Tisch kommt,
Ganz egal: Die Herrlichkeit der
Küchen dieser Welt – sie wird,
Bevor sie ihren Weg durch
Unsre Körper nimmt, geknipst
Wie auf Befehl:
Die Handys hoch
Vor dem Genuss
Und Bilder machen
Noch und noch
Und wie noch nie,
Als ließe sich das
Leben, sieht man sie,
Auch anderswo von
Anderen entfachen.
2
Sie sah so fertig aus, so glücklich
Und noch immer wie erregt und
Sagte: Nimm mich auf, so wie
Ich bin, jetzt gleich, und
Lehnte sich zurück. Ich
Tat es, sah im Display sie
Und wieder sie und tippte
Auf den kleinen weißen
Kreis am Rand
Und Klick.
Das Handy hoch
Und Bilder machen
Noch und noch
Und wie noch nie
Als ließe sich das
Leben, sieht man sie,
Im Nachhinein entfachen, als
Könnten wir einander und uns selbst
Begegnen wie zum ersten Mal
Mit frischen Augen, du und ich,
In jedem neuen Bild von uns
Aus unsrer eignen Hand, die
Wir mit unsren Handys
Aus der Tasche ziehn.
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Ich stand an Deck und
Zog es aus der Tasche
Kurz nach Mitternacht und
Hörte, wie der blonde Hans
Von unten sang „Ach, komm
Doch süße Kleine, sag nicht nein“,
Sah auf dem Display beinah nichts
Als Nacht und drückte ab und sah
Ins Dunkle, blickte wieder hin: Das
Kleine Viereck zeigte einen Mastenwald
Und hinter Wolken einen halben fahlen
Mond und ganz viel dunkles Blau und
Ich erschrak: das Objektiv sah
Mehr als meine Retina.
Die Handys hoch
Und Bilder machen
Noch und noch
Und wie noch nie
Als ließe sich das
Leben, sieht man sie,
Im Nachhinein entfachen,
Als könnten wir uns selbst
Begegnen wie zur Kinderzeit
Mit frischen Augen und der
Himmel immer blau und dann
Mit einem Mal – wir ahnen es
Und wollen es nicht wissen –
Nie mehr, in keinem neuen
Bild von uns aus unsrer
Eignen Hand, die wir
Mit unsren Handys
Aus der Tasche ziehn,
Millionenfach in jedem
Augenblick an jedem
Ort auf Erden.
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Da lagen sie am Rand der
Autobahn und bluteten und
Blaulicht links und rechts.
Wir zogen dran vorbei und
Sahen hin und wieder weg,
Und einer von uns hielt
Mit seinem Handy drauf,
Einmal und noch einmal,
Cool bis ans Herz hinan.
Die Handys hoch
Und Bilder machen
Noch und noch
Und wie noch nie,
Als ließe sich das
Leben, sieht man sie,
Im Nachhinein entfachen,
Als könnten wir uns selbst
Begegnen wie zur Kinderzeit
Mit frischen Augen und
Danach nie mehr in keinem
Neuen Bild von uns aus
Unsrer eignen Hand, die
Wir mit unsren Handys
Aus der Tasche ziehn,
Millionenfach in jedem
Augenblick an jedem Ort
Auf Erden: Bild um Bild um
Bild, bearbeitet, geteilt, ins
Netz gestellt, geliked, und
In den Nächten in den großen
Städten funkeln die Arenen –
Blitzlichtgewitter unsrer Handys –
Wie Schalen voller Diamanten,
Bis daß der erste Tag des Ekels
Kommt, der übergroße Überdruß
Ganz ohne Vorwarnung.
Ganz ohne Vorwarnung ist er
Jetzt da und bleibt und bleibt, und
Ohne Aussicht auf ein Quäntchen
Trost ruft er dir zu: Lass ab,
Es reicht, jetzt keine Bilder mehr,
Nie mehr, die Zeit wird knapp.
Nichts mehr aus zweiter Hand
Und keine halben Sachen:
Das Leben ließ sich nie,
Das Leben läßt sich nie,
Im Nachhinein entfachen.
| MARTIN JÜRGENS
Martin Jürgens, geb. 1944, lebt in Berlin; er war dort Hochschullehrer, arbeitete als Regisseur für Theater in Berlin, Münster und Köln, er publizierte diverse literarische und wissenschaftliche Arbeiten und verfaßte Hörspiele für Radio Bremen und den WDR. Viele seiner Lyrik-Beiträge für ›Konkret‹ erschienen unter dem Titel ›Frau Merkel sieht auf ihrem Schuh ein Streifenhörnchen, das sich putzt‹ (2015).