Völlig inkorrekter Wunsch
Mit einem Hauch deines Atems
und mit deiner warmen Hand,
mit der Ausstrahlung deiner Augen
und einem ganz tiefen Blick,
steck mich an mit dir.
Tritt mir ganz nahe
und komm dicht an mich heran,
lehn dich an mich beim Sprechen
und halte die Hand nicht vor,
damit du mich infizierst.
Nimm deine Maske vom Gesicht,
wie ich mich auch entkleide
von jedem trennenden Stoff,
wende dich mir vollkommen zu,
um dich mit mir anzustecken.
Es ist eine gutartige
Erkrankung, die uns gesund
macht für den anderen,
für gemeinsame Heilung
und ganz von innen heraus
Erziehung des Auges
Mit jedem Blick Übungen
in genauem Hinsehn,
an den Rändern sitzt es meist,
was verschleiert ist, sich verbirgt
und leicht aus der Sicht fällt.
Dort eindringen mit den Augen,
wo die Oberfläche dünn ist
und die Wirklichkeit aufplatzt,
wo das große Loch entsteht
für die Öffnung ins Neue.
Häufig enthüllt sich im Schweifen,
was sich dem direkten Blick
verschließt und in der Spiegelung
sieht man das Urbild deutlicher,
fallen die Scheuklappen ab.
Wenn man die Augen auswischt
mit quellklarem Wasser,
reinigt sich das Beobachten
und das Hinschaun wird schärfer,
dringt fast in die Dinge ein.
Die andere Seite des Bildes
Vorne der schöne Schein,
die genau abgemalte Welt,
hinten fasern Fäden aus,
hängen vom Keilrahmen herab,
angeschmutzt und überflüssig.
Aufkleber auf der feinen Leinwand
enthüllen die Geschichte
des Bildes, zeichnen seine Spur
durch die Museen nach,
sein Name mit Filzstift notiert.
Die Blicke prallen vom Öl ab,
keiner dringt durch nach hinten,
dort herrscht die Gegenkunst,
das Handwerk der Holzverkeilung,
der Nagel des Zimmermanns.
Einmal im Jahr die Bilder umdrehn
und ihre Rückseite zeigen,
ihr rohes Gemachtsein,
ihre Herkunft von Faden und Leim,
auch daß sie angeschmutzt sind.
Peter Engel, 1940 in Eutin/Holst. geboren, lebt als freier Schriftsteller, Kritiker und Kunstsammler in Hamburg, er veröffentlichte Lyrik, Kurzprosa, Aufsätze und Rezensionen in Zeitschriften und Anthologien sowie mehrere Lyrikbände; die hier wiedergegebenen Gedichte sind noch