»Sie waren in jeder Zeile enthalten, die ich gelesen habe« (Dickens, Great Expectations)

Jugendbuch | Cath Crowley: Das tiefe Blau der Worte

Für Rachel scheint das Leben nur noch aus Verlusten zu bestehen. Am besten, man schweigt sie tot, findet Rachel. Und macht damit nicht nur sich selbst das Leben noch schwerer. In einer Buchhandlung findet sie Trost. Von ANDREA WANNER

Das tiefe Blau der WorteEs ist keine normale Buchhandlung, in der Rachel nach ihrer Rückkehr einen Job findet. Sie kennt die Buchhandlung aus der Zeit, ehe sie mit ihrer Mutter und ihrem Bruder weggezogen ist. Sie kennt die Treffen der Leserinnen und Leser dort, die über Bücher und das Leben reden. Sie kennt den Betreiber, der voller Idealismus mit gebrauchten Büchern handelt. Sie kennt George, dessen Tochter und Henry, seinen Sohn, die große Liebe ihres früheren Ichs, der sein Herz aber an Amy verloren hat. Sie kennt die Briefbibliothek, in der die Bücher stehen, die nicht verkauft werden. Man kann darin lesen, Sätze und Wörter unterstreichen und darf Kommentare hinterlassen. Man kann auch kleine Briefe hineinlegen und so mit einem anderen Menschen in Kontakt treten.

Jetzt ist sie zurück, voller Trauer und unfähig darüber zu sprechen. Ihr Job ist es, die Briefbibliothek zu katalogisieren, denn die unrentable Buchhandlung soll verkauft werden. Zwischen Büchern und Worten sucht sie Ablenkung und Trost und findet am Ende zum Glück genau das, was sie braucht.

Cath Crowleys Liebeserklärung an Buchläden, wie man sie nur noch selten findet, erschien bereits 2016 auf Englisch, 2018 als gebundene Ausgabe. Es ist eine wunderschöne Geschichte über das Verlieren und Finden, über Träume und Realität, über Verrat und Loyalität und natürlich über Bücher und das Lesen. Die Liste der Bücher, die darin auftauchen, ist lang und anregend. Man stößt auf T.S. Eliots ›Gesammelte Gedichte‹, Patrick Ness, Ernest Cline, Neil Gaiman, Flannery O’Connor, Nick Hornby, Kelly Link, Douglas Adams, Charles Dickens, Derek Walcott. Bücher wie ›Summer Skin‹ von Kirsty Eager finden Erwähnung, ›Das Schicksal ist ein mieser Verräter‹ von John Green oder ›Rosenkranz und Güldenstern‹ von Tom Stoppard.

Während sich Konflikte zuspitzen und sich Liebesgeschichten entwickeln, finden wir im Hintergrund Bücher, die neugierig machen, an die wir uns erinnern, die wir gelesen haben oder lesen möchten. Schicksale und Ereignisse, die uns zum Lachen bringen oder uns traurig machen, über die wir uns ärgern und die wir nie vergessen werden.

Und jenseits der Geschichte von Rachel ist es vor allem das, was das Buch zu etwas Besonderem macht: Es erzählt davon, was Literatur ist und sein kann.

Titelangaben
Cath Crowley: Das tiefe Blau der Worte
(Deep Blue, 2016). Aus dem Englischen von Claudia Feldmann
Hamburg: Carlsen 2018, 2020
396 Seiten, 8,99 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Der Söldner und das Mädchen

Nächster Artikel

Mord als Liebesspiel

Weitere Artikel der Kategorie »Jugendbuch«

Zickzackwege

Jugendbuch | Kate de Goldi: Abends um 10 Manchmal ist das Leben wie Treibsand. Jeder Schritt muss sorgfältig überdacht werden. Am allerbesten wählt man nur sichere Wege, die man in- und auswendig kennt. Aber manchmal hält das Leben ungeahnte Überraschungen bereit. ANDREA WANNER begleitet den 12jährigen Frankie auf neuen Wegen.

Alles unter Kontrolle?

Jugendbuch | Jenny Jägerfeld: Der Schmerz, die Zukunft, meine Irrtümer und ich Erwachsenwerden ist eine Herausforderung und es ist oft nicht leicht, zu erkennen, wo die eigenen Probleme aufhören und die der Erwachsenen anfangen. Die 17jährige Maja sucht und findet ihren eigenen Weg. Von ANDREA WANNER

Anna, wo ist deine Schwester?

Mirjam Pressler: Wer morgens lacht (Jugendbuch ab 15) Annas ältere Schwester Marie verschwand kurz vor ihrem achtzehnten Geburtstag. Verstanden haben sich die beiden nie. Sieben Jahre später, Anna ist inzwischen Anfang zwanzig, erkennt sie, dass sie sich erinnern muss. An Marie, an ihr gemeinsames Leben in dem kleinen Haus ihrer Eltern. Sonst droht das Trauma sie zu verschlingen. Mirjam Pressler legt mit Wer morgens lacht einen Roman vor, der tief an die schmerzlichsten Wunden rührt, die Familienbeziehungen schlagen können. Von MAGALI HEISSLER

Rettung durch die magische Kugel

Jugendbuch | Siri Pettersen: Bubble

Kine ist ein normaler Teenie, und ihr stinkt die Schule, und ihre Mutter geht ihr auf die Nerven. Dann findet sie eine Kugel, in die sie sich retten kann. Aber auch das hat seinen Preis. Und das muss Kine auch erst mühsam und unter Lebensgefahr lernen. Von GEORG PATZER

Vertrieben

Jugendbuch | Susanne Hornfeck: Torte mit Stäbchen Die Vergangenheit gilt oft als verstaubt und langweilig. Dabei kann sie sehr aktuell sein. Susanne Hornfeck erzählt eine deutsche Geschichte, die doch um die halbe Welt reicht. Ganz gelingt das Unterfangen nicht, aber einige Blickwinkel darin sind aufschlussreich, gerade um heutige Verhältnisse klarer zu sehen. Von MAGALI HEISSLER