Vom Werden und Vergehen

Kinderbuch | Bernadette Gervais: Von Zeit zu Zeit

Die Zeit ist ein seltsames Phänomen, das sich nur schwer fassen lässt. Wie schön, dass Bernadette Gervais für das Vergehen der Zeit passende Bilder findet, freut sich ANDREA WANNER.

Von Zeit zu ZeitGenauer gesagt sind es immer vier Bilder, die eine kleine Geschichte erzählen. Und wie in jeder Geschichte vergeht vom ersten bis zum letzten Bild Zeit. Die Dauer ist ganz unterschiedlich lang, mal ist es nur ein kurzer Moment, ein anderes Mal sind es viele Jahre. Immer ist Zeit vergangen.

Ein Fliegenpilz und eine Nacktschnecke zum Beispiel. Auf dem ersten Bild entdeckt die Schnecke den Pilz, auf Bild zwei und drei nagt sie Löcher in den Pilz, um sich auf dem vierten Bild satt von dannen zu machen. Oder die vier Bilder zum Igel, der sich – eins, zwei, drei, vier – zur Kugel zusammenrollt. Oder die Geschichte vom Schmetterling: auf Bild eins noch ein Ei, auf dem zweiten eine Raupe, dem dritten eine Puppe und auf dem vierten schließlich der Schmetterling. Die Komposition ist streng: schwarzer Grund für den kurzen Text in Weiß auf der linken Seite, rechts ebenso eine dunkle Grundfarbe, die von einem weißen Kreuz in vier Felder unterteilt wird, jedes fasst eine Szene.

Die Darstellungen sind reduziert aber realitätsnah, reduziert auf das Wichtige, auf das, was den Gegenstand, das Tier oder die Pflanze ausmacht. Die Gliederung des Textes ähnelt einem Gedicht: Jedem Bild ist ein Vers zugeordnet, der einen Satz oder auch nur ein Wort umfassen kann. Auch hier herrscht auf den ersten Blick eine eigentümliche Strenge, die durch eine Nummerierung von jeweils 1. bis 4. entsteht. Augenzwinkernd aufgebrochen wird diese formale Struktur durch den Witz der Texte: »1. Der Apfel. 2. Knurps! 3. Knurps, knurps, knurps! 4. Das Kerngehäuse!« So wird die fast wissenschaftliche Analyse zeitlicher Abfolgen zum augenzwinkernden Spiel mit Gedanken, Worten, Assoziationen und Bildern.

Man sollte sich Zeit nehmen für dieses Bilderbuch, auf sich wirken lassen, was man da entdeckt. Die Zeit ist eine physikalische Größe, die eine Abfolge von Ereignissen beschreibt. Das ist ebenso banal wie letztlich unvorstellbar. Albert Einstein hat die Zeit so beschrieben: »Zeit ist das, was man an der Uhr abliest.« Tja. Ein bisschen näher kommen Große und Kleine dem Vorher und Nachher mit diesem wunderschönen Bilderbuch.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Bernadette Gervais: Von Zeit zu Zeit
(En quatre temps, 2020) Aus dem Französischen von Sarah Pasquay
Hildesheim: Gerstenberg 2020
64 Seiten, 16 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

1 Comment

  1. Ich zitiere aus Ihrem Text: “ Die Zeit ist eine physikalische Größe, die eine Abfolge von Ereignissen beschreibt. Das ist ebenso banal wie letztlich unvorstellbar. Albert Einstein hat die Zeit so beschrieben: »Zeit ist das, was man an der Uhr abliest.«
    Der erste Satz des Zitats beschreibt nicht Zeit, sondern nur Dauer, die messbar ist. Der Satz von Einstein ist keines keineswegs eine Definition. Man kann an der Uhr nur Dauer ablesen – nicht Zeit, denn als reale empirische kosmische (Erde ist Teil des Kosmos) existiert sie nicht. Man sollte also KInder nicht solchen Unsinn erzählen!

    Beste Grüße

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Laura

Nächster Artikel

Allein gegen Freund und Feind

Weitere Artikel der Kategorie »Kinderbuch«

Vorfreude

Kinderbuch | Sonja Danowski: Die Tage, bevor Jaron kam

Jaron feiert seinen dritten Geburtstag. Von seiner großen Schwester Mara wünscht er sich etwas ganz Besonderes: Sie soll ihm aus ihrem Tagebuch vorlesen. In dem hat sie die Zeit festgehalten, bevor Jaron auf die Welt kam. Eine wunderschöne Liebeserklärung an den kleinen Bruder, findet ANDREA WANNER.

Auf der Suche nach einem Zuhause und einer Heimat

Kinderbuch | Alea Horst: Manchmal male ich ein Haus für uns

Laut UNHCR lag die Zahl der Flüchtlinge Ende 2020 weltweit bei über 26 Millionen, darunter die Hälfte unter 18 Jahren. Insgesamt waren mindestens 82,4 Millionen Menschen gezwungen, aus ihrer Heimat zu fliehen. Wir können es uns nicht vorstellen, was das bedeutet. Die Heimat, liebe Menschen und Dinge, die einem wichtig waren, zurückzulassen. Aufzubrechen ins Ungewisse, wo die grundlegenden Rechte auf Bildung, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung oder Bewegungsfreiheit keine Gültigkeit haben. ANDREA WANNER freut sich über den Mut, darüber in einem Kinderbuch zu erzählen.

Far, far away

Kia Orana. Kinder der Cook Inseln/Südsee zeichnen, malen, erzählen Rarotonga, Aitutaki, Atiu, Mangaia, Manuae, Mauke, Mitiaro, Palmerston und Takutea: Nie gehört? Manihiki, Nassau, Penrhyn, Pukapuka, Rakahanga und Suwarrow: keine Ahnung, was das sein soll! ANDREA WANNER freute sich über einen exotischen Ausflug.

Freunde

Kinderbuch | Sandra Ladwig: Wollen wir tauschen? Jeder hat sein Zeugs. Sein Zuhause, seine Spielsachen, seine Klamotten. Das muss aber nicht so sein. Tona und Pauli zeigen, wie aufregend es sein kann, Dinge zu tauschen. ANDREA WANNER hatte Spaß an dem Projekt.

Der Frühling ist da!

Kinderbuch | Kai Pannen: Mach die Biege, Fliege Hat denn schon mal jemand ernsthaft über die möglichen Folgen des Frühjahrsputzes nachgedacht? Immerhin macht so eine Aktion, bei der die Wohnung wieder richtig auf Vordermann gebracht wird, zwei sympathische Zeitgenossen obdachlos. ANDREA WANNER verzichtet aufs Staubsaugen und Schrubben – und widmet sich stattdessen den neuesten Abenteuern von Karl-Heinz und Bisy.