Ein bisschen überrascht ist frau schon darüber, dass es heute noch so ein Buch braucht. Wie kann ein natürlicher, körperlicher Vorgang etwas Verbotenes sein? Aber wenn dem tatsächlich so ist, dann ist dieses Jugendbuch vielleicht genau das richtige, findet ANDREA WANNER.
Das Thema braucht sich nicht zu verstecken, aber allein ein Rot dominertes Cover, der Titel ›Alles ganz normal‹ und sehr indirekte Hinweise auf dem Klappentext: Da würde mehr Offenheit gut tun. So kommt die Geschichte erst einmal eher etwas kitschig daher.
Zwei Mädchen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, stehen im Mittelpunkt und berichten jeweils aus ihrer Perspektive. Camilla hat ihre Mutter verloren, jetzt zieht der Vater mit ihr und ihrem kleinen Bruder zu seiner neuen Lebensgefährtin. Das bedeutet nicht nur einen Schulwechsel und den Verlust der bisherigen Freundinnen. Die neue Schule ist außerdem ganz anders, die Mitschülerinnen und Mitschüler Lichtjahre von dem entfernt, was Camilla kennt. Und ihre neue Schwester ist der absolute Alptraum. Luna dagegen ist eine Influencerin mit einer Million Followern. Alles scheint ihr leichtzufallen und zuzufliegen. Nur muss sie das Ganze vor ihrer Mutter geheim halten, die überhaupt nichts von Social Media hält. Und der Vater lebt als Forscher am anderen Ende der Welt. So traumhaft, wie ihr Leben auf den ersten Blick scheint, ist es doch nicht.
Und dann landet Camilla ausgerechnet in der Klasse von Luna und wird, weil diese wie fast immer zu spät kommt, auf deren Platz verfrachtet. Kein guter Start. Und es wird noch schlimmer. Denn ausgerechnet in diese Zeit, in der aller Halt wegbricht, fällt ihre erste Periode. Camilla ist überfordert, das Ganze ist ihr total peinlich und sie hat keine Ahnung, woher sie Unterstützung bekommen könnte.
Die gibt es am Ende reichlich. Vorher müssen sich aber viele Menschen mit dem Tabuthema Menstruation auseinandersetzen. Immerhin geben laut einer 2017 entstandenen Umfrage der erbeerwoche – eine Seite, deren Besuch sich in diesem Zusammenhang durchaus lohnt: 60 Prozent der Mädchen an, eine negative Einstellung zu ihrer Blutung zu haben. Und Fakten wie der, dass der erste TV-Spot mit roter Menstruationsflüssigkeit erst 2017 erschien und vorher immer blaue Flüssigkeit gezeigt wurde, sind schon erstaunlich.
Fazit: Wenn man so ein Buch auf den Markt bringt, dann bitte noch offensiver und direkter verraten, um was es geht. Und dann dafür sorgen, dass wirklich viele Mädchen es in die Hand bekommen und erfahren, dass sie nicht alleine sind. Da setzt die italienische Feministin Roberta Maracso schon an der richtigen Stelle an. Und natürlich gibt es auch neben der Regelblutung eine ganze Menge Themen, die angesprochen und in eine durchaus unterhaltende Story eingebunden werden.
(*)Widmung von Roberta Marasco für Maria
Titelangaben
Roberta Marasco: Alles ganz normal
(Fazzoletti rossi 2020). Aus dem Italienischen von Ulrike Schimming
Hamburg: Carlsen 2021
190 Seiten, 12 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren
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